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Ausgabe:

1901 Nr. 10

Spalte:

271-273

Autor/Hrsg.:

Eger, Karl

Titel/Untertitel:

Luthers Auslegung des alten Testaments nach ihren Grundsätzen und ihrem Charakter untersucht an der Hand seiner Predigten über das 1. und 2. Buch Mose (1524 ff.) 1901

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 10.

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leuchtet, indem er einen lombardifchen Bifchof den Erz- [ zogene Confequenz, alles was nicht ,Chridum treibt' durch
bifchof Chridian I. von Mainz fragen läfst, ob er alle ! religiöfe Kritik als fekundär bei Seite zu fchieben, fondern
Menfchen feines Bisthums kenne? Chriftian antwortete 1 allegorifirt entweder oder unterwirft fich unter ftarker
ihm lächelnd, er glaube, dafs fein Bisthum nicht kleiner I Betonung der formalen Infpiration der Schrift mit Ver-
fei, als die ganze Lombardei, der Lombarde dagegen ; zieht auf eine Erklärung demüthig dem göttlichen Worte,
trug die Namen aller ihm anvertrauten Schafe bei lieh. (Abfchnitt 2.) Luther geht, fichtlich — was Eger nicht
Wenn das dörfliche Intereffe geringer war, fo ift um ; befonders heraushebt — unter nominaliftifchen Einflüffen
fo mehr die Hingebung des Verladers anzuerkennen. Un- I (vgl. namentlich S. 23), fo weit, Gott die Abficht widerzweifelhaft
bedürfen wir regionale Aufarbeitung des ur- 1 vernünftiger Thatfachen zuzufchreiben. Gott macht fo
kundlichen Materiales für die Bifchofsliften, auch für das I fehr ,die Vernunft zum Narren', dafs Luther felbft be-
fpätere Mittelalter, in welches S. feine Arbeit nicht fort- kennt: „Wenns in der Schrift nicht Bünde, fo
gefetzt hat. Die Angaben der päpftlichen Regeften find glaubte ichs felber nicht; ich fpräche, es wäre erlogen",
einfeitig und unvolldändig, das zeigt fich auch hier wieder, i Einen gewiffen ,Ausgleich' (Abfchnitt 3) zwifchen den
S. hatte mehrfach Veranlaffung gegen Eubels aus den beiden heterogenen Momenten — der Auslegungsnorm
Regeften gefchöpfte Lifte Widerspruch einzulegen (z. B. j des „Chriftum Treibens" und der darren Infpiration der
S. 48). Nicht in jeder Beziehung foll S.'s Behandlung ; Schrift — ßndet Luther einmal darin, dafs fich ihm der
des Stoffes als Müder hingedellt werden. Er läfst fich Glaubensbegriff von der vertrauensvollen Hingabe der
knapper und überfichtlicher gruppiren, auch würde etwas i chridlichen Ferfönlichkeit an Gottes inChrido offenbarten
mehr kritifche Unbefangenheit gegenüber der Ueber- i Gnaden- und Liebeswillen' (S. 34) umbiegt zum Autori-
lieferung nichts fchaden. Fad hundert Seiten füllen die j tätsglauben, fodann auf der anderen Seite darin, dafs er
fechs Differtationen, von denen die erde uud dritte die uns unfafslichen und unbegreiflichen göttlichen Mafs-
fchon anderweit gedruckt id. Sie handeln 1. von S. Vic- I nahmen als lediglich an die Patriarchen gerichtet und
tor di Follenzo (= S. Victor di Milano), 2. über einige j daher für uns, obwohl wir den göttlichen Willen in ihnen
Quellen für das Leben des h. Eufebius von Vercelli, I verehren müffen, praktifch nicht verbindlich betrachtet.
3. über die Synode von Turin im Jahre 398, mit der ! Eine reinliche Scheidung gewinnt Luther auf diefe Weife
fich vorher Mommfen und Duchesne befchäftigten, 4. über freilich nicht, aber immerhin einen .Ausgleich',
die Fälfchung einiger Homilien des h. Maffimo von Turin Die Unterfuchung Egers id im Einzelnen reich an

durch Meiranefio, 5. über die Schriften des Claudius von J werthvollen Beobachtungen; es feien herausgehoben die

Turin (nach Dümmler), 6. über die Diöcefangrenzen (mit
Karte). — Die Ausdattung des Werkes macht der bekannten
Firma alle Ehre.

Marburg i. H. K. Wenck.

Eger, Karl, Luthers Auslegung des alten Testaments nach
ihren Grundfätzen und ihrem Charakter unterfucht an
der Hand feiner Predigten über das I. und 2. Buch
Mofe (1524 ff.). (Aus: Fedgrufs, Bernhard Stade zur
Feier feiner 25jährigen Wirkfamkeit als Profeffor dargebracht
von feinen Schülern.) Giefsen, J. Ricker, 1900.
(46 S. Lex. 8.) M. 1.40

Nicht um eine Darlegung der Exegefe Luthers als
an der Grammatik orientirter Schriftauslegung, die er
nur gelegentlich (S. 41) dreift, fondern um eine Prüfung
feiner praktifchen Bibelauslegung, alfo ,um eine Unterfuchung
wefentlich homiletifcher Natur' handelt es
fich für den Vf., die er an der Hand der Predigten über
Genesis und Exodus (1523 ff.) andellt. Diefe praktifche
Auslegung id in der That die Auslegung für Luther ge-
wefen, die grammatifch-wiffenfehaftliche Exegefe, über
welche fich freilich auch mancherlei fagen liefse, war ihm
nur Mittel für diefen Zweck, nie Selbdzweck. Des Näheren
bedimmt fich die praktifche Auslegung als Hineintragung
des chridlichen Lebensideals in das A.T.
Und da diefes Lebensideal wiederum im Glauben an
Chridus wurzelt, find .Chridus und der Glaube Mittelpunkt
und wefentlicher Inhalt der Schrift auch A. T.'s'
für Luther. (Abfchnitt 1.) Das wird im Einzelnen nach-
gewiefen; überall in den Patriarchengefchichten leuchtet
entfprechend der göttlichen Pädagogie der Glaube
durch, und die Sünden und Vergehen der alten Väter,
die nun einmal nicht abzuleugnen find, gelten als ,Strau-
cheln' und .Abirren vom Wege', dem auch die Heiligen
nicht entgehen können. Es bleibt trotzdem dabei, dafs
de .gläubige Chriden' find. Aber diefes Schema reicht
doch nicht in allen Stücken zur Erklärung aus. Dinge
wie Judas Blutfchande mit der Thamar, oder Ifaaks
.Scherzen' mit feinem Weibe u. a. finken zu tief unter
das Niveau des ,Heiligen' herab, Anderes, wie die
Schöpfung in fechs Tagen, und nicht in einem Moment,
erfcheint der Vernunft unfafslich, — Luther zieht demgegenüber
nun nicht die dem N. T. gegenüber zeitweilig geAusführungen
über das mofaifche Gefetz (S. 37 f.), über
die Unklarheit in der Auslegung der Polygamie der Patriarchen
(S. 33 f.), oder auch über die auf Grund des
oben fkizzirten Princips, das Unfafsliche als praktifch unverbindlich
zu erklären, gewonnene Möglichkeit, die Alle-
gorefe zu Gunden einer nüchternen Erklärung zurücktreten
zu laffen (S. 31 ff.). In dem Schlufsabfchnitt („Ab-
fchliefsendes über den Charakter von Luthers Auslegung
des A. T's.") geräth E. etwas ins Gedränge. M. E. wäre
hier eine fcharfe Umgrenzung der völlig veränderten
gegenwärtigen Situation für die a. t. Exegefe das Bede
gewefen. E. fühlt die Differenz fehr wohl, möchte de
aber nicht allzu fcharf erfcheinen laffen, um für Luther
einen Ehrentitel auch auf diefem Gebiete zu retten. Sehr
mit Recht betont E., dafs Luthers Verdiend um die
Schriftauslegung nicht darin gefunden werden darf, dafs
er den Grundfatz aufdellte, die Schrift zu verdehen, wie
die Worte lauten; denn diefer Satz id mit der prin-
cipiellen Einfchränkung zu verdehen: nisi articulus
aliquis fidei aliter cogat. (Weim. Ausg. XIV S. 97) Aus-
legungsprincip id durchweg die fides, und was Luther
an nüchterner, ,hidorifcher' Auslegung hat, id nicht in
feinem Garten gewachfen, fondern humanidifche Frucht.
Das hätte aber fchärfer hervorgehoben werden müffen,
dafs Luther in der IAxirung des dogmatifchen Aus-
legungsprincips durchaus auf mittelalterlichem
Boden dehen bleibt. Haben die Scholadiker ihre Dog-
matik im A. T. gefunden, fo er die feinige. Nur weil
feine .Dogmatik' höher deht als die ihrige, darum deht
auch feine Schriftauslegung höher. Dafs diefe Auslegung,
weil der lebendige Glaube die normo, interpretandi id
(allerdings mit Einfchränkung f. oben), vor datutarifcher
Erdarrung bewahrt (S. 42), id gewifs richtig, fowie auch,
dafs de dem Homileten brauchbare Winke giebt (S. 45),
aber das id eine Verfchleierung des Thatbedandes, dafs
,eine praktifche Auslegung in Luthers Weife nach feinen
eigenen Grundfätzen über den eigentlichen Verdand des
Bibelwortes als unentbehrliche Ergänzung eine von praktifchen
Rückfichten nicht beengte wiffenfehaftliche Er-
forfchung des wörtlichen Verdandes des A. T, verlangt'
(S. 45). Eine ,von praktifchen Rückfichten nicht beengte'
Auslegung, die Selbdzweck id und das odium der ,Un-
kirchlichkeit' zum mindeden auf fich ziehen kann, kennt
Luther gerade nicht; man darf de auch daher von ihm
nicht poduliren. Und wenn E. als eine Wirkung der