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Ausgabe:

1901 Nr. 10

Spalte:

259-264

Autor/Hrsg.:

Titius, Arthur

Titel/Untertitel:

Die neutestamentliche Lehre von der Seligkeit und ihre Bedeutung für die Gegenwart. 2. Abth 1901

Rezensent:

Weiß, Johannes

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259

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 10.

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mit 2 Sam. 5, 6. 8 fleht. Auf nicht genügender Kennt-
nifs der israelitifchen Sitte beruht die Behauptung, dafs
Rüben durch feinen Umgang mit Bilhah keinen Frevel
begangen S. 53; verkehrt ift die Darlegung S. 52 über
die mangelhafte Heilighaltung der israelitifchen Ehe,
nicht minder die Bemerkung S. 27, dafs von den Israeliten
keinerlei Fett von Rindern, Schafen oder Ziegen ge-
geffen werden durfte, was mit feinem eigenen Urtheil
auf S. 31 in Widerfpruch fleht: thatfächlich war nur der
Genufs der Lev. 3, 3 f. 9 genannten und aus lauter Fett
beftehenden Stücke der Opferthiere verboten, nicht aber
der des mit dem Fleifch verwachfenen Fettes. Vgl.
ferner S. 29 f. über Dan. 1, 12 f., S. 33 über den Effig als
eine Art Delicateffe, S. 42 über die Ehe des Hofea u. f. w.

Nicht immer ift des Verf. Ideenverknüpfung durchfichtig
. So heifst es S. 160: ,Die Schwerhörigen und
Tauben erfuhren keinerlei Rücksichtnahme. Sehr treffend
fagt Lev. 19, 14 ,Du follft einem Tauben nicht fluchen
und einem Blinden nicht ein Hindernifs in den Weg
legen.' In dieser Faffung ift das Mifsbehagen in draftifcher
Weife zum Ausdruck gekommen, welches die Menfchen
in jener Zeit rückhaltlos im Verkehr mit Menfchen empfunden
haben dürften, die nicht hörten. Sonft hätte
fleh der Gefetzgeber zu einem folchen Befehl nicht
veranlafst gefehen.' Auf S. 153 findet fleh zu der Ver-
muthung, dafs Jofua und Kaleb wohl fchon in Aegypten
befchnitten waren, die Begründung: denn fie waren die
Einzigen, die in das verheifsene Land hineinkamen'
Und wenige Zeilen fpäter heifst es: ,Die durch Jahve
an diefer Stelle (Gen. 17, 1. ff.) gegebenen Befehle über
die Befchneidung find auf deffen eigene Anweifung vor
Jofua nicht zur Ausführung gekommen. Es heifst
nämlich Gen. 17, 9 ff. (folgt die Wiedergabe v. 9—14).'
Vgl. auch S. 105, Z. 4 v. u. bis Seite 106, Z. 4 v. o.
S. 110, Z. 1 v. u. bis S. in, Z. 2 v. o. S. 151, Z. 1 ff.
v. o. u. f. w.

Woher E. die auf S. 106 fleh findende Bemerkung
hat, dafs das Buch Judith um ICOO v. Chr. gefchrie-
ben ift, ift mir nicht bekannt. Die Angabe über des
Jefaja Wirkfamkeit: um 550 v. Chr. beruht offenbar auf
einer Verwechslung des fogenannten Deuterojefaja mit
dem Propheten der affyrifchen Zeit.

Unter der Literatur habe ich die Bezugnahme auf
die Arbeiten des gelehrten Arztes von Neuenahr Dr.
Frhrn. v. Oefele vermilst.

An Druckfehlern fei berichtigt: S. 78, Z. 16 v. o. lies:
im 3. Buch c. 13. S. 151, Z. 18 v. u. Ekron ft. Eskron
S. 159, Z. 16 v. u. und S. 160, Z. 5 v. o. lies Tobit
ft. Hiob.

Strafsburg i. E. W.Nowack.

Titius, Prof. Lic. Arthur, Die neutestamentliche Lehre von
der Seligkeit und ihre Bedeutung für die Gegenwart.
Der gefchichtlichen Darfteilung zweite Abtheilung:
Der Paulinismus unter dem Gefichtspunkt der Seligkeit
. Tübingen, J. C. B. Mohr, 1900. (IX, 290. S. gr. 8.)

M. 6.40.

Die zweite Abtheilung diefes gedankenreichen und
anregenden Buches (vgl. die Befprechung der erften Abtheilung
von Baldenfperger 1896, 318) soll hier für fleh
zur Anzeige kommen, während die dritte und vierte Abtheilung
eine eigene Befprechung erfahren werden. Ich
fchicke ein perfönliches Bekenntnis voraus. Ich habe aus
diefem ungewöhnlichen Buche Viel gelernt und bekenne
mich ihm dankbar als Schuldner. Aber ich kann nicht
verhehlen, dafs ich ein warmes und vertrauliches Ver-
hältnifs zu ihm nicht habe gewinnen können. Daran
hindert mich fchon die fchwerfällige umftändliche, an
Wiederholungen reiche Form. 29O Seiten allein für den
Paulinismus ift etwas gar zu viel, zumal da nur ein Aus-
fchnitt zur Darftellung kommt. Wenn der Verf. lagt,

er wolle nach Möglichkeit den Apoftel felbft zum Reden
bringen, uns Heutigen aber die Rolle des ftillen Beobachters
zuweifen, fo ift wohl nie ein Verfprechen fchlechter
gehalten worden. Gerade umgekehrt empfinde ich, dafs
der Apoftel hier nicht zu Worte kommt. Die Reflexion
des Verf. überwuchert die Darfteilung fo ftark, dafs ihre
Grundlinien oft nur mit Mühe zu erkennen find. Ferner
werde ich ein unbehagliches Gefühl nicht los; ich glaube
faft überall zu fehen, wie der Verfaffer des zukünftigen
dogmatifchen Werkes über die Seligkeit dem Hiftoriker
über die Schulter guckt und ihm Allerlei fuggerirt. Ich
mufs ausdrücklich anerkennen, dafs das Buch auch der
hiftorifchen Wiffenfchaft reichen Gewinn gebracht hat.
Aber der Entwurf des Ganzen verdankt nicht der hiftorifchen
Intuition, fondern dogmatifcher Conftruction fein
Dafein. Schon die Wahl des Themas und der (wirklich
häfsliche) Titel verraten den dogmatifchen Ausgangspunkt.
Zu Grunde liegt hier die religionsphilofophifche Erkenntnis
, dafs das Eigenthümliche einer Religion in ihrer An-
fchauung vom höchften Gut befteht. (I. p. 3. vgl. Kaftan,
Wefen d. ehr. Rel.2 p. 225 f.). Zugleich ift für jede
Religion characteriftifch ihre Anfchauung von Gott.
Daher wird die Darftellung eingeleitet durch eine Erörterung
,des Paulinifchen Gottesgedankens im Verhältnis
zur Seligkeit' und der religiöfen Zukunftserwartung des
Paulus. Es folgt eine Darfteilung der Paulinifchen
Grundftimmung und Stellung zur Welt, zuletzt in breiter
Darfteilung die Lehren von der Aneignung des Heils.
Hier erft begegnet das Problem der Rechtfertigung.
Diefe von der üblichen abweichende Anordnung ift
durch die Art des Themas bedingt. Es handelt fich um
eine Darftellung der Paulinifchen Religion von innen
heraus. So lebhaft ich diefen Verfuch begrüfse, er ift
wenigftens formell noch nicht gelungen. Eine Reihe
äflhetifcher Mängel des Buches, zahlreiche Wiederholungen
, Vor- und Rückverweifungen, Auseinanderreifsungen
von Zufammengehörigem find die Folgen diefer neuen Anordnung
. Wichtiger ift ein fachlicher Einwand, den ich
machen mufs.

Eine folche Darftellung aus dem Centrum heraus
bringt leicht die Folge mit fich, dafs Dinge, die bei
diefer Betrachtung auf der Peripherie liegen, in erheblicher
Verkürzung erfcheinen. So fallen hier ganze
Capitel der Paulinifchen Theologie, wie z. B. die eigentliche
Chriftologie, die Lehre vom Opfer Chrifti, entweder
ganz aus, oder fie werden doch nur fo geftreift, dafs
man von ihnen kein Bild bekommt. Dies Verfahren ift
für unfere heutige Theologie charakteriftifch; glücklicherweife
ift uns eine lebendige Erfaffung der wirklichen
Religion unendlich viel wichtiger geworden, als die Er-
forfchung jener fpeculativen und fcholaftifchen Probleme.
Ob fie aber auch dem Paulus fo in zweiter Linie geftanden
haben und ob nicht für ihn der Gedanke der Incarnation
gerade in der haarfcharfen Beftimmung von Rom. 8,3.
Phil. 2,7 religiös fehr wichtig war, möchte ich doch bezweifeln
. Ich behaupte, dafs man feine Anfchauung von
der Seligkeit garnicht richtig darftellen kann, wenn man
diefe Dinge nicht ausgiebig mit erörtert. Jene Verkürzung
tritt befonders ftark hervor bei der Gotteslehre. So
dankenswert es ift, dafs fie überhaupt einmal zur Darftellung
kommt, man erhält hier weder ein volles Bild,
noch wird fie hiftorifch verftändlich gemacht, wenn fie
nur ,in ihrem Verhältnifs zur Seligkeit betrachtet' wird.
Ich verftehe nicht, wie ein hiftorifch denkender Theolog fich
die Gelegenheit entgehen laffen kann, in reichgegliederter
Darfteilung zu zeigen, aus wie vielen und verfchiedenen
Wurzeln diefe Weltanfchauung ihre Kraft faugt, wie
mannigfaltige geiftige Strömungen in den paulin. Gottesbegriff
einmünden, wie hier Altteftamentliches, Jüdifches,
Helleniftifches, apologetifches, fpeculatives und religiöfes
Intereffe ein ganz merkwürdiges Mifchungsverhältnis
eingegangen find, das in der Perfon des Apoftels doch
eine wirkliche Einheit bildete. Und damit komme