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Ausgabe:

1901 Nr. 9

Spalte:

251-253

Autor/Hrsg.:

Diehl, Wilhelm

Titel/Untertitel:

Die Bedeutung der beiden Definitoralordnungen von 1628 und 1743 für die Geschichte des Darmstädter Definitoriums 1901

Rezensent:

Köhler, Walther

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251

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 9.

252

Scheler, Dr. Max F., Die transscendentale und die psychologische
Methode. Eine grundfätzliche Erörterung zur
philofophifchen Methodik. Leipzig, Dürr'fche Buchh.,
1900. (181 S. gr. 8.) M. 4.—

Methodologifche Unterfuchungen bringen ftets die
Gefahr mit fich, dafs man zu fehr nur über die zu erörternden
Gegenftände redet, ftatt dafs man diefe felbft
deutlich und klar zur Anfchauung und Geltung bringt.
Auch der Verf. ift jener Gefahr infofern nicht entgangen,
als feine Darftellung überwiegend unruhig wirkt, und feine
Ausführungen zum Theile fehr abftract und allgemein
gehalten find. Dennoch gewinnt man aus ihnen einen bald
mehr bald weniger deutlichen Eindruck von der viel-
verfprechenden philofophifchen Begabung des Verf., deffen
fcharfer Blick und fichere Auffaffung mit ausgedehnter
Sachkenntnifs und gefundem Urtheil verbunden find. Nach
einer gründlichen Befprechung der transfcendentalen
Methode, deren Mängel fcharfünnig aufgedeckt werden,
und nach einer erheblich kürzeren Prüfung der pfycho-
logifchen, genauer pfychologiftifchen Methode, wird die
Frage gefleht: ,wie wir uns auf die Weife der Wiffen-
fchaft des geiftigen Lebens, das der Pfychologie trans-
fcendent blieb und vor der transfcendentalen Methode
feine Wirklichkeit nicht erweifen konnte, bemächtigen
können'. Als geeignet, diefe Frage zu löfen, erfcheint
dem Verf. die von Eucken fo genannte ,noologifche
Methode' der philofophifchen Grundwiffenfchaft oder der
kritifchen Metaphyfik', wie der Verf. fie bezeichnet. Jene
Methode ift ,ein Verfuch, die bei Kant theils zu wenig
gefchiedenen, theils in Widerfpruch zu einander geratenden
Methoden der Transfcendentalphilofophie und Trans-
fcendentalpfychologie principiell zu einigen. Ihre grundlegenden
Begriffe find: Arbeitswelt und geiftige Lebensform
'. In die Wirklichkeit des Geiftes hinein führt nämlich
allein die That, die als urfprüngliche überhaupt die
Lebensform alles Geiftigen ift. So ermöglicht der Geift
einerfeits die Arbeitswelt felbft, d. h. ,die gemeinfam anerkannten
Werkzufammenhänge der menfchlichen Cultur';
anderfeits gewinnt er aus diefer fich fortfchreitend immer
mehr bereichernden Arbeitswelt feinen concreten Inhalt.
Die geiftigen Inhalte aber find keine durch Selbftbe-
obachtung zu erkennenden ,pfychifchenThatfachen',fondern
fie führen den mit ihrem Sein einheitlich und unzertrennlich
verbundenen Anfpruch zu gelten mit fich.

Da der Verf. die von ihm felbft vertretenen Anflehten
vielmehr nur in knappen Umriffen angedeutet, als pofitiv
begründet und nach allen Seiten hin durchgeführt hat, fo
ift über fie aus vorliegender Schrift auch noch kein
material zureichendes Urtheil zu gewinnen möglich.

Bonn. O. Ritfchl.

Diehl, Pfr. Lic. Dr. Wilhelm, Die Bedeutung der beiden
Definitorialordnungen von 1628 und 1743 für die Geschichte
des Darmstädter Definitoriums. Eine Studie zur Ge-
fchichte des heffifchen Kirchenrechts. Giefsen, J.
Ricker, 1900. (44 S. Lex. 8.) M. 1.60

In einem Auffatze über ,die alten heffifchen Definitorialordnungen
und das Definitorium der Obergraffchaft' j
(deutfehe Ztfchr. f. Kirchenrecht Bd. IX 1899) hatte Diehl
den überrafchenden. äufserft werthvollen Nachweis erbracht
, dafs das Inftitut des Definitoriums, in welchem j
man bisher mit K. Köhler eine Schöpfung des 17. Jahrhunderts
und eine Vorftufe der Confiftorien gefehen hatte,
bis in das Jahr 1537 zurückreiche und kirchenrechtlich
als fynodale Inftitution zu würdigen fei. Den kurzen Ab-
fchnitt (IV) feiner damaligen Studie: ,aus der Gefchichte !
der Definitorien von 1617 an' ergänzt jetzt vorliegende
Unterfuchung. D. würdigt die Definitorialordnungen von
1628 und 1743 in ihrer kirchenrechtlichen Bedeutung. Die
Ordnung von 1628, für die Obergraffchaft beftimmt, war

von K. Köhler in den Quartalblättern des hiftor. Vereins
für das Grofsherzogthum Heffen 1882 publicirt worden,
die von 1743 hatD.'s unermüdlicher Spürfinn in der Acten-
abtheilung der grofsherz. Oberconfiftorialregiftratur entdeckt
; man wufste bisher überhaupt nicht um ihre Exiftenz.
Die Bedeutung der Ordnung von 1628 für die Gefchichte
der Definitorien fucht D. aus einem Vergleiche derfelben
mit der Ordnung von 1617 (für Oberheffen Giefsener Theils)
feftzuftellen. Läfst fich zeigen, dafs in der neuen Ordnung

1. der Einflufs der Pfarrer bei der Superintendentenwahl
fall ganz befeitigt 2. den Definitoren das Recht des alleinigen
Vorfchlages bei der Befetzung landgräflicher
Pfarreien befchränkt 3. der Einflufs des Superintendentenamtes
, insbefondere durch die Forderung eines Reverfes
(f. darüber Diehl: Zur Entftehungsgefchichte der Religions-
reverfe. Deutfehe Ztfchr. für K.recht Bd. X) eingefchränkt
und 4. dem gegenüber der landesherrliche Einflufs ge-
fteigert wird, fo bezeichnet die neue Definitorialordnung

1 in der That,eine das Anfehen der Definitorien fchmälernde
Umgeftaltung der alten kirchlichen Verfaffung' (S. 7) Die
Ordnung von 1743 führt die Entwickelung wiederum ein
gut Stück weiter; fie ift ein .Vorftofs gegen die Definitorial-
verfaffung zu Gunften des confiftorialen Syftems' (S. 29).
Es tritt alfo hier noch einmal zu Tage, dafs Definitorium
und Confiftorium nicht eine geradlinige Entwickelung
darftellen (fo K. Köhler), fondern Gegenfätze find. Im
Einzelnen beftimmen fich die neuen Verfügungen von
1743 fo: 1. foll das Examen vor der Vocation abgehalten
werden. Das Examen wird dadurch ,zu einer Nach-
forfchung über die objective Würdigkeit eines Kandidaten
j für die Führung des Pfarramts, ganz abgefehen von
den befonderen Verhältniffen einer beftimmten
j Stelle' (S.28). Ein Examen bereits angeftellter Pfaner im
Falle einer Wegmeldung zu einer neuen Stelle fällt dem-
I entfprechend fort; die Entwickelung ift alfo eine analoge
| der Umbiegung des jedesmaligen Einweifungsactes zur
einmaligen Ordination, nur dafs diefe Entwicklung viel
1 früher anfetzt (cf. Rietfchel: Luther und die Ordination)

2. der Einflufs der Definitoren auf die Pfarrbefetzung wird
weiter befchränkt dadurch, dafs fie bei Gelegenheit einer
Pfarrvakanz von den Pfarrern und Kandidaten zwei oder
drei ,tüchtige Subjecte' dem Confiftorium vorfchlagen
follen. Eventuell kann das Confiftorium aber auch ohne
das Votum der Definitoren vorgehen.

Gegen die neue Ordnung erhob fich lebhafte Oppo-
fition, ihre Durchführung gelang nicht. Die alte Ordnung
bleibt beliehen, daneben dringen dann merkwürdigerweife
auch Elemente der neuen Ordnung ein, aber in anderem
Sinne als dem urfprünglich gemeinten. So z. B.
gehen Stellenexamen und Examen ohne Rückficht auf
Anftellung neben einander her; letzeres wird dazu benutzt
, um über die Herren Kandidaten etwas ftrengere
j Aufficht zu führen. Auch der Vorftofs des Confiftoriums
gegen das Definitorium in der Frage der Pfarrbefetzungen
mifslang; letzteres hat feine alten Rechte ausgeübt.

D.'s Ausführungen, von denen wir nur kurz die
Refultate notiren konnten, find in bekannter gewandter
Form gefchrieben und durch zahlreiche Beifpiele belebt.
Eine Frage möchte Ref. aufwerfen: Die Definitorialordnung
von 1628 nennt fich ,verbefferte Ordnung', weift
mithin auf eine ältere Ordnung als auf ihre Vorlage zurück.
D. glaubt diefelbe in der Ordnung von 1617 zu fehen
(S. 7 ff.). Aber liegt es nicht näher an die frühere bereits
im 16. Jahrhundert vorhandene Definitorialordnung der
Obergraffchaft zu denken? Von einer folchen wiffen wir
zwar einftweilen nichts, aber fie mufs doch vorhanden ge-
wefen fein, fo gut wie die Definitoren vorhanden waren. Die
Ordnung von 1617 war doch nur für Oberheffen Giefsener
Theils beftimmt, und es fcheint mir doch zweifelhaft, ob
eine für die Ob er graffch a ft geltende Ordnung nach jener
fich als ,verbefferte' bezeichnen konnte. Die von D. nach-
gewiefenen offenkundigen Uebereinftimmungen der Ordnungen
von 1617 und 1628 würden fich dann fo erklären,