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Ausgabe:

1901 Nr. 8

Spalte:

221-223

Autor/Hrsg.:

Thiele, Ernst

Titel/Untertitel:

Luther‘s Sprichwörtersammlung 1901

Rezensent:

Bossert, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 8.

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erft c. 1115 ein Klofter in Obernkirchen. Fifchbeck fetzt
er ebd. vor 955. Das Verzeichnifs der Heiligen S. 366
hätte das ganze Gebiet umfaffen follen. Endlich folgt
Ii eine Reihe Analekten, nämlich die Kaffenordnung der
Herzogin Elifabeth zu Braunfchweig - Lüneburg von
Tfchackert. M. Gerhard Omeken's Unterricht von der
Vifitation 1557, von Oberlehrer Dr. Schnell in Güftrow
mit kritifcher Beleuchtung von Knodt's Biographie
Omeken's, und ein Melanchthon-Autograph von 1547 in
deffen Annotationes in evangclia aus der einfügen Bibliothek
des Herzogs Otto von Braunfchweig, welche er
der Kirche zu Harburg fchenkte. 2. Urkunden über
Efchershaufen-Luerdiffen und Schorfteineshagen und
Dachtmiffen. 3. Miscellen. Hier beleuchtet der fchwäbi-
fche Katechismusforfcher Haller den Gebrauch des braun-
fchweigifchen Katechismus in Württemberg, der eine
Zeit lang den Brenzifch-Lutherifchen fammt der fog.
Kinderlehre verdrängen zu wollen fchien und erft 1855
verboten wurde. Der Grofsvater des Ref. wurde 1793
bei fonftiger grofser Anerkennung vom Vifitator getadelt
, dafs er in feiner Gemeinde Nellingen bei Efs-
lingen etwas zu rafch und voreilig mit Einfuhrung diefes
Katechismus ftatt der Kinderlehre, welche die Alten
bei der Katechifation nachzulefen gewohnt waren, vorgegangen
fei (Acten des Dek. Stuttgart). Den Schlufs
bildet ein Bericht Kayfer's über die neuerfchienene Literatur
zur niederfächfifchen Kirchengefchichte. Hoffentlich
aber giebt Kayfer im nächften Jahrgang die Fortfetzung
feiner Gefchichte der Hannover'fchen Kirche.

Nabern. G. Boffert.

Thiele. Pred. Ernft, Luther's Sprichwörtersammlung. Nach
feiner Handfchrift zum erften Male herausgegeben
und mit Anmerkungen verfehen. Weimar, H. Böhlaus
Nachf, 19/00. (XII, 448 S. gr. 8.) Geb. M. 10.—

Mit Recht hat Thiele, den wir als tüchtigen Mitarbeiter
an der Weimarer Lutherausgabe kennen, die
zum erften Male aus dem unzweifelhaft echten Original
herausgegebene Sprichwörterfammlung Luthers dem
Lutherbiographen Köftlin gewidmet, der in feinem
grofsen Werk immer wieder auf die Freude Luthers
am deutfchen Sprichwort hingewiefen hat. Köftlin war
es auch, der zuerft auf die bis 1889 verfchollene Sammlung
von Sprichwörtern von Luthers Hand aufmerkfam
machte und endlich 1889 durch unteren deutfchen Landsmann
D. Schöll in London ihren Verbleib in der Biblio-
theca Bodleiana in Oxford feftftellte, welche diefe Handfchrift
IC62 für 900 M. erkauft hatte. Denn damals fand
fich Niemand, der diefe Handfchrift um 300 Thaler für
eine deutfche Bibliothek erwarb. Man mufste fchon
froh fein, wenn Wander für fein grofses Werk eine nur
die Hälfte der Urfchrift umfaffende, mit Lücken und
Fehlern behaftete Abfchrift aus der Hand einer Dame
benützen konnte.

Die Handfchrift beweift die allmähliche Entftehung
der Sammlung, die auf 34 Seiten 489 Sprichwörter giebt.
Luther las das Gefchriebene fpäter durch, ftrich, ergänzte,
machte Randgloffen, die feine Empfindungen oft in naiver
Weife wiedergeben. Er fammelte aus dem Volksmunde
wie aus der Literatur. Thiele nimmt an, dafs Luther
mit feiner Sammlung die Anderer, welche feine Unzufriedenheit
erregten, erfetzen wollte. Das trifft in erfter
Linie Agrikola (1529—I532)> dem Luther vorwirft, er
habe nur ,poffen undt fluch zufammen gelefen, damit er
ein gelechter macht1, dann aber auch Seb. Franck (1541),
der dem Eheftand und weiblichen Gefchlecht zur Unehre
viele Sprüchwörter habe drucken laffen. Hätte Thiele
feinen Belegftellen aus der Erlanger Lutherausgabe immer
die Zeit des Erfcheinens der betreffenden Schrift beigefügt
, dann wäre er wohl felbft zu einem beftimmteren
Ergebnifs über die Entftehungszeit gekommen. Dem
Text S. 3—24, der einen werthvollen Beitrag zur Cha-

rakteriftik Luthers bietet, läfst Thiele einen Kommentar
mit Wörterverzeichnifs S. 25—440 folgen, in dem er
jedes einzelne Sprichwort in feiner Bedeutung feftzu-
ftellen fucht, den Wortfinn erläutert, und Belegftellen in
erfter Linie aus Luthers Werken, aber auch aus der
ganzen einfchlägigen Literatur beibringt. Hier fleckt
eine unfäglich mühfame Arbeit und umfaffendes Wiffen,
wie eine faft verblüffende Vertrautheit mit Luthers
deutfchen Werken. Man mufs mit der volksthümlichen
Literatur jener Zeit etwas bekannt fein, um die grofsen
Schwierigkeiten zu ermeffen, welche die kurzen viel-
fagenden Worte, oft auch die Randgloffen dazu dem
Erklärer bereiten, wie oft nicht nur der Sinn, fondern
auch die Worte dunkel find.

Im Nachfolgenden giebt Ref. einige Beiträge zur
weiteren Aufhellung dunkler Stellen, um das lebhafte
Intereffe zu bekunden, mit dem er Thieles Arbeit verfolgte
. S. 47, Nr. 17 ift ,Er reyt' wohl doppelfinnig
und vielleicht die Abkürzung des fränkifchen Sprichworts
,Der Reu ift ein Schelm, er reit (d. h. reut und
reitet) hinten nach' (vgl. die vom Ref. gefammelten fränkifchen
Sprichwörter in der Befchreibung des Oberamts
Crailsheim, herausg.v.ftat.Landesamt S.128). ZuS.48, Nr.18
,auf den efel fetzen' vgl. J. Ratz, Vom Tanzen Bl. E. 2,
wo Ratz erzählt, wie er feinem theologifchen Gegner
Melch. Ambach feine Unwiffenheit in Gegenwart von
Freunden nachwies, ihn dann befchämt flehen liefs und
triumphirend nach Heidelberg ritt. Vgl. Bl. f. württb.
KG. 1893, S. 36. S. 53, Nr. 23 ift Salzmefte für den Süddeutschen
unverständlich. — S. 66, Nr. 40 Zwey mal zu
feere. Vgl. Occidit tmseyos crambe rcpctitci magisttos
(Juvenal). — S. 67, Nr. 41 fachte hier im Gegenfatz zu
gewaltfam, ftürmifch. Zu S. 78, Nr. 78 vgl. xai öw rixvov.
Zu S. 80, Nr. 54 vgl. Apoc. 22, 11. Zu S. 81, Nr. 56. Die
berühmte Stadt, von der Melanchthon redet, ift wohl
Erfurt, von deffen grofser Glocke Luther in der Wart-
burgpoftille fpricht Fl. A. IO2, 23. Wenn Luther Nr. 56 zu-
nächft an Albrecht von Mainz und Magdeburg dachte,
dann bildet fein abgekürzter Name Alber wohl die
Brücke zu Nr. 57. Zu Nr. 58 ift E. A. 31, 404 nicht
heranzuziehen. Denn jene Stelle hat eine andere Bedeutung
, als etwas Thörichtes, Ueberflüfüges thun. Dort
will Luther fagen, wenn das Verbot des Kelchs
im Abendmahl mit der Gefahr des Verfchüttens begründet
würde, dann dürfte man auch keine Hofen mehr
anziehen, weil einmal jemand fleh betrinken und dann ....
könnte. S. 102, Nr. 82 fcheint Thiele mifsverftanden zu
haben, wenn er es vom Dienft mehrerer Herrn verlieht,
während es doch nur fagt: folche Leckerbiffen, wie Hirn,
machen nicht fatt. Nr. 87 u. 470 find in ihrem Sinn doch
von Nr. 86 u. 469 verfchieden. Thiele deutet letztere ganz
richtig, .feiner Rede nicht den geringsten Zwang anthun'.
Aber dort ift die Rede von einem, der nicht einmal Solange
fchweigen könnte, bis eine Spinne einen Faden
über feinen Mund gezogen hätte. S. Iii, Nr. 92 handelt
vom grundlofen Schelten über einen, dem man nichts
mit Recht anhaben kann. Er stinkt, denn er hat ein
Gefchwür im Ohr. Zu S. 114, Nr. 96 vgl. das Gegen-
theil im Horazifchen emunetae naris, zu 115, Nr. 97 vgl.
Pf- 34, 20. Zu S. 129, Nr. 116 Schemel auf die Bank
stellen vgl. die treffliche Erklärung von Henifch S. 181,
den Thiele erft von Nr. 155 an benützt hat. S. 133,
Nr. 122 ift dem Ref. der Schlufsfatz unverständlich: Die
Redensart enthält wohl eine starke Verneinung ähnlich wie
Nr. 128. Denn Nr. 122 ift einfach die Parallele zu Nr. 121,
nur in negativer Wendung. S. 146, Nr. 131 hat mit einer
bestimmten Localität nichts zu thun, fondern heifst wohl:
Mit Schalkheiten umgehen. Das tertium comparationis
ift der Bergmann, der Hauer. Zu S. 160, Nr. 145 vgl
Henifch 487. S. 162, Nr. 147 gilt auch von den Brand-

r! Ürn- Zu S>l65' Nr- 153 vgl* Henifch50i. S. 166, Nr. 155
ift die Verlegenheit gemeint, mit der ein Abgewiefener
aus der Thüre stürzt und über den davor liegenden Hund