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Ausgabe:

1901 Nr. 7

Spalte:

203-205

Titel/Untertitel:

Neue sächsische Kirchengalerie.I. Band und II. Band 1901

Rezensent:

Bergner, Heinrich

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203

Theologifche Literaturzeitung. 1901. Nr. 7.

204

ab. Mit Schleiermacher, Herbart, Lotze u. A. hält
er es für falfch, dafs die vernünftige Einficht allein über
den fittlichen Charakter des Wollens entfcheide. Kant
hält das Wollen für gut, das ein Ausdruck der mit fich
felbft einigen Vernunft ift, das alfo durch nichts Anderes
beftimmt ift, als durch den Gedanken der vom Bewufst-
fein felbft erzeugten Gefetzmäfsigkeit oder ,durch die
blofse Form des Gefetzes'. Ohne Zweifel ftellt fich der
Verf. eine grofse Aufgabe, wenn er diefen Gedanken
Kant's widerlegen will. Aber gerade deshalb hätte er
nicht fo lange bei wirklichen oder vermeintlichen Unge-
nauigkeiten Kant's verweilen follen. Die Sache kann
nur dadurch gefördert werden, dafs wir uns in jenen
Gedanken vertiefen und uns mit ihm auseinanderfetzen.
Der Widerfpruch des Verf.'s gegen diefen Grundgedanken
Kant's wird ja erft völlig verftändlich werden, wenn er
feine eigene Auffaffung des Sittlichen vorgelegt haben wird.
Aber fchon jetzt darf nicht verfchwiegen werden, dafs der
Verf. in der Behandlung diefes Punktes irrige Deutungen
der kantifchen Lehre, die leider gerade in der theologi-
fchen Ethik ein Heimathsrecht zu befitzen fcheinen,
wiederholt. Die blofse Form des Gefetzes, die die Form
des Wollens ausmachen foll, bedeutet bei Kant nicht
die erfahrungsmäfsig durchführbare Allgemeinheit der
Maxime, auch nicht das ,Du follft' des kategorifchen
Imperativs. Kant will damit fagen, dafs das Wollen
nur dann ein wahres fei, wenn es, was auch immer
fein befonderer Inhalt fein möge, fich felbft als eine ewige
Ordnung denke. Jedes Wollen, das nicht diefen Charakter
der bewufsten Gefetzlichkeit trage, fei unlauter. Dafs
der Verf. auch diefen Gedanken Kant's ablehnen würde,
ift freilich wohl bemerkbar. Der Verf. verfügt über eine
hohe Kraft eindringender Ueberlegung. Es ift fehr zu bedauern
, dafs er fie nicht aufgeboten hat, um Kant in
diefem Hauptpunkt zu widerlegen. Durch den Hinweis darauf
, dafs ,gerade die individuelle fittliche Entfcheidung
die fpecififch werthvolle Sittlichkeit fei', ift gegen Kant
nichts auszurichten. Diefe Einwendungen follen den
Werth des trefflichen Buches nicht herabfetzen. Wie
fehr der Verf. durch feine ruhige gründliche Art zu
feffeln weifs, werden auch andere Lefer erfahren. Ein
Hauptmangel der theologifchen Ethik feit hundert Jahren
ift das immer mehr fich verlierende Bedürfnifs, auf die
Arbeit der Philofophen gründlich einzugehen. Für die
Gefchwindigkeit, mit der man das zu erledigen pflegte,
find die betreffenden Abfchnitte in Luthardt's Ge-
fchichte der Ethik typifch. Es ift fehr erfreulich, dafs
der Verf. mit diefer Tradition brechen will.

Marburg. W. Herrmann.

Neue sächsische Kirchengalerie. Unter Mitwirkung der fäch-
fifchen Geiftlichen herausgegeben von Paft. D. Buchwald
. I. Band, u. II. Band, Liefg. 1—8. Leipzig,
A. Strauch, 1900. (948 u. 296 Sp. 4.)

In Liefergn, ä M. —.40

Seit 1837 erfchien die Kirchengalerie Sachfens, ein
Werk, das gröfstentheils aus Beiträgen der damals am-
tirenden Geiftlichen beftand und dadurch einen ganz
eigenen Reiz der Mannichfaltigkeit erhielt. Noch heut
lieft man die gemüthvollen Schilderungen von Land und
Leuten mit Behagen, wenn auch der hiftorifche Quellenwerth
nicht mehr fehr hoch fleht. Trotz mancher Uebel-
ftände hat fich der Leiter der neuen Kirchengalerie, der
verdiente Lutherforfcher G. Buchwald, entfchloffen, diefen
Weg monographifcher Bearbeitung durch die Pfarrer
weiter zu gehen, und die äufsere Einrichtung ift fo getroffen
, dafs jede der 28 Ephorien einen befonderen Band
füllen wird. Nach den vorliegenden erften Bänden zu
urtheilen, wird eine kurze Gefchichte der Ephorie vorausgehen
, diefer folgt die der Ephoralftadt und der übrigen
Parochien nach alphabetifcher Ordnung. Im Einzelnen

ift es dann auf Schilderung der Lage, Begrenzung, Bewohner
, der Ortsgefchichte, der kirchlichen Entwickelung,
der Kirchen, Pfarreien, Schulen u. f. w. und auf einen
Katalog der Pfarrer und Lehrer abgefehen.

Leider tritt vorerft die Thätigkeit des Herausgebers
fehr in den Hintergrund. Es wäre doch von grofsem
Nutzen gewefen, wenn er der Sammlung wenigftens einen
Abrifs der fächfifchen Kirchengefchichte und -verfaffung,
der Ephoralgrenzen und Vibrationen, womöglich mit einer
Karte, vorausgefchickt hätte. Auch hätte er das fo ermüdend
feftgeftellte ,urfprüngliche Dunkel', welches narur-
gemäfs die Gefchichte aller Orte umgiebt, und die Ver-
fuche, ,es durch mehr oder minder anfprechende Vermuthungen
aufzuhellen', ein wenig einfchränken können.
Ebenfo konnten die Erklärungen der Ortsnamen geftrichen
oder doch mit der am Schlufse des erften Bandes von
Prof. Dr. G. Hey gegebenen Ueberficht in Einklang gebracht
werden. So offenbare Fehler und Verfchreibungen
wie I. 166. 1507 ftatt 1517, I. 759 1551 und 1554 (Kunz von
Kaufungen) ftatt 1451 und 1454, II. 119 Z. 11 1635 ftatt 1365
und die Erklärung von Burgltadel mit Burgfcheune I. 162
hätte er nicht flehen laffen dürfen. Ob die Gleichfetzung
von Batzenftein I. 686 mit dem Begleiter Luther's auf der
Wormfer Reife Pekkenftein irgend einen Anhalt hat, konnte
ich leider nicht controlliren.

Es war nicht zu erwarten, dafs die Wendung der
modernen Gefchichtswiffenfchaft, die Sympathie für das
Innerliche, die treibenden Kräfte und Stimmungen des
Volkslebens, die Kultur- Wirtfchafts- und Kunftgefchichte
in dem Werke fich äufsern würde. Die meiften Verfaffer
bleiben demnach an den überlieferten äufseren .Fällen'
hängen, wozu natürlich Kriege und Landesplagen, die
Hufiteneinfälle, der 30jährige, der 7jährige und die
napoleonifchen Kriege, aber auch fonft Mord, Todfchlag
und Brände das meifte Material liefern. Schwerer zu beklagen
ift es, dafs nicht wenigftens die focialen, religiöfen
und kirchlichen Verhältnifse der Gegenwart gleichmäfsig
und treu gefchildert werden. Als mufterhaft erfcheint in
diefer Hinficht nur der Artikel von A. Tietze über Neuhaufen
. Durch offene Darlegung, auch der Schäden und
Gebrechen würde doch der Mit- und Nachwelt, vor allem
den Geiftlichen felbft ein befferer Dienft geleiftet als durch
die gleichmäfsige Schönfärberei, welche zu den fonftigen
Klageliedern und der Aufrichtigkeit und Strenge der alten
Pfarrer in grellem Gegenfatz fleht. So mufs man Vieles
zwifchen den Zeilen lefen. Ein gewiffer Auffchwung des
Kirchenthums läfst fich nur an dem blühenden Vereinsleben
und den kirchlichen Bauten verfolgen. Ueberaus
productiv fcheint die Zuckerbäckergotik der fechziger
Jahre um Leisnig gewefen zu fein.

Die einzelnen Auffätze find fehr verfchieden. Ganz
knappe, ja geradezu dürftige wechfeln mit umfänglichen,
bei denen der letzte Rehbock I. 648 und die Kaifer
Wilhelmmedaille des Stelleninhabers I. 908 nicht vergehen
find. So find auch die Perfonalnachrichten bald
weit ausgefponnen, bald auf Namen und Jahreszahlen be-
fchränkt. Darin möchte man für die Fortfetzung mehr
Gleichmäfsigkeit wünfchen. Recht lebensvoll ift die Art,
wie einzelne Verfaffer die Urkunden in kurzen Auszügen
und Wendungen zum Reden gebracht haben. In diefer
Beziehung zeichnen fich die Berichte von Dr. Klette über
Etzdorf und von Starke über Dorfchemnitz aus.

Immerhin liegt in der Sammlung eine Fülle von Stoff für
alle Zweige theologifcher und gefchichtlicher Forfchungen
vor. Befonders intereffant find die zahlreichen Neufiede-
lungen des 17. Jahrh. im Erzgebirge durch böhmifche
Exulanten, der Gebrauch von rothen Mefsgewändern, der
bis in den Anfang des 18. Jahrh. belegt ift und die An-
wefenheit bekränzter Chorknaben beim Abendmahl.

Wie die alte Kirchengalerie mit lithographifchen Anflehten
geziert war, fo ift die neue mit Anflehten der
Ortfchaften, Kirchen und Pfarreien in Zinkätzungen nach
Photographien ausgeftattet. Diefes Hilfsmittel dient fehr