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Ausgabe:

1900 Nr. 6

Spalte:

177-182

Autor/Hrsg.:

Schmitz, Jos.

Titel/Untertitel:

Die Bussbücher und das kanonische Bussverfahren 1900

Rezensent:

Mueller, Karl

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177

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 6.

178

Schmitz, Weihbifch. DD. Herrn. Jos., Die Bussbücher und
das kanonische Bussverfahren. Nach handfchriftlichen
Quellen dargestellt. Die Bufsbücher und die Bufs-
disciplin der Kirche. 2. Band. Düffeldorf, L. Schwann,
1898. (XII, 741 S. gr. 8.) M.. 30. —

Der Verf., der vor wenigen Monaten als Weihbifchof
von Köln geftorben ift, hatte fchon 1883 ein umfangreiches
Werk über denfelben Gegenftand veröffentlicht.
Er bezeichnet daher das neue noch umfangreichere Buch als
zweiten Band. Der erfte Band hatte vor allem feftftellen
wollen, was die Bezeichnung Poenitentiale Romanum bedeute
: von da aus follte dann die Gefchichte der Bufsbücher
conftruirt werden. Der zweite fetzt diefes Ergebnifs im
Wefentlichen voraus, bringt aber neue Gründe und Materialien
dafür, geht zugleich dem irifch-angelfächfifchen
Zweige näher nach und vei folgt die Combinationen aus
beiden genauer. Die Bufsbücher flehen durchaus im
Mittelpunkt. Was der Titel fonft noch nennt, bildet nur die
Vorausfetzung, und Schm. greift nur heraus, was für die
Entffehung der Bufsbücher von Bedeutung ift. Ich kann
es daher aufser Acht laffen: es ift auch dem Inhalte nach
grofsentheils verfehlt.

Der Name Poenitentiale Romanutn hatte fchon
andere Canoniften befchäftigt. Wafferschleben hatte
darin ausgedrückt gefunden, dafs ein Beichtbuch im
ganzen Umfang der Kirche, nicht blofs in einer einzelnen
Landeskirche gebraucht worden oder brauchbar erfchienen
fei. Hildenbrand dagegen hatte darin den Glauben
der Zeit gefehen, dafs diefe in der ganzen Kirche gebrauchten
Bücher aus Rom flammen, ähnlich wie das
von den liturgifchen Büchern, den Ordines Romani,
Missalia, Poutificalia Romaua gelte. Schmitz hatte fich
ihnen in der Hauptfache angefchloffen, in gewiffem Sinne
ihre beiden Meinungen combinirt, aber die Thefe Hildenbrands
und damit die Spitze überhaupt anders gewandt:
römifch heifst ein Bufsbuch, weil es gemeinkirchlich ift;
gemeinkirchlich aber heifst es, weil es nicht nur nach
dem Glauben der Zeit, fondern wirklich, wenigstens
feinen Vorlagen nach, aus Rom ftammt, in der römifchen
Kirche gebraucht wurde. Typifch dafür ift die Angabe
Halitgars: P. R. quod de scrinio Romanae ecclesiae ad-
sumpsimits. Dem P. R. flehen alfo gegenüber die Bufsbücher
einer Landeskirche, in der nicht das gemtin-
kirchliche, fondern ein particuläres Recht gelte. Als folche
Kirchen läfst er nur gelten die irifchen und die angel-
fächfifchen. Das ganze Feftland, Gallien und Spanien auch
in der Zeit der germanifchen Reiche, gehören zum Geltungsbereich
des gemeinen Kirchenrechts. Gemifchte
Erzeugnifse feien erft im Frankenreich entstanden, als
durch Columba und feine Nachfolger irifche und angel-
fächfifche Ueberlitferungen mitgebracht und fpäter mit
den römifchen Bufsordnungen verfchmolzen worden feien.

Als die hauptfächlichen Unterfcheidungsmerkmalc
der beiden Gruppen hatte Schm. bezeichnet, dafs die
Satzungen der römifchen entweder einfach canoncs oder
wenigstens aus ihnen unmittelbar abgeleitet feien und
darum legislatorifch fprechen, während die irifch-angel-
fächfffchen judicia, Weisthümer, Sätze hervorragender
Kirchenmänner bringen und fich als Privatarbeit zu erkennen
geben. Die römifchen feien ferner unmittelbar
für die Praxis bestimmt und deshalb auch in der Regel
mit einem Ordo, den liturgifchen Formularien für die
Feier der Bufse verbunden; die andern verfolgen doctri-
näre Zwecke und brauchen daher keinen Ordo. In den
römifchen endlich feien die Sünden nach einem Schema
geordnet, das offenbar auf die ,Lex Dei' des 4. Jhrhts. zurückgehe
und (aber hiefür ift der Beweis ganz ungenügend)
officielle römifche Tradition fei; in den irifch-angelfäch-
lifchen dagegen liegen in der Regel die acht Capitalfünden
Caffians zu Grunde. Jene beginnen mit dem Mord, diefe
mit der Unzucht o. ä. — Es ift fchon von den Kritikern des
ersten Werkes bemerkt worden, dafs diefe Charakteristik

nicht durchzuführen fei, jene Merkmale nirgends rein
auftreten, und man wird auch gegen jene Spitze in der
Bedeutung des Wortes Romanum von vorn herein fagen
müffen, dafs die Jahrhunderte der Bufsbücher wirklich
nicht im Stande waren, zu beurtheilen, ob ein Buch that-
fächlich aus Rom stammte oder nur datür galt. Es kommt
auch dazu, dafs das Prädicat Romanum in den Handfchriften
keinem einzigen beftimmten Bufsbuche der älteren Zeit
ertheilt wird; weder das des Halitgar noch die von Schm.
neu entdeckten und als römifch prädicirten nennen fich
fo. Das Prädicat erfcheint immer nur als Bezeichnung
von Quellenstücken: ex P. Ro. o. ä., und es ift bisher nie
gelungen, damit auf bestimmte Bücher zu kommen.

Die Thefe des Verfs. ift denn auch faft allgemein
abgelehnt worden. Aber er wurde nicht entmuthigt. Er
hat abermals reiches neues handfchriftlich.es Material beigebracht
, für vorhandenes die Hff. neu verglichen, vermehrt
und unterfucht, mit diefem neuen Material neue
Wege einzufchlagen versucht und fein Ergebnifs überall
nur bestätigt gefunden. Es liegt viel ehrliche Arbeit und
faure Mühe in dem Buche. Das wird jeder anerkennen
müffen, der es ftudirt hat; es erweckt immer wieder In-
tereffe und manchmal faft Spannung, und doch fcheidet
man fchliefslich unbefriedigt.

Neu gefunden und herausgegeben hat Schmitz einen
Ordo und vier Bufsbücher. Neue Collationen hat er
gemacht zu 15, aber das Ergebnifs ift meist recht unbedeutend
: es ist eine ganz unverhältnifsmäfsige Belastung
des Buches, dafs alle diefe zum Theil fehr umfangreichen
Bücher gleich ganz neu gedruckt wurden. Vollends un-
verftändlich aber ift, dafs eine Anzahl von Bufsbüchern einfach
aus Martene und Mabillon wiederabgedruckt wurden,
obwohl fie auch bei Wafferfchieben stehen (S. 323 ff., 327fr.,
333 fr) 34° ff)- Das ift diefelbe Praxis, nach der auch
in I eine ganze Zahl aus W. einfach abgedruckt wurde.
Hätte man nun wenigstens eine neue praktifch angelegte
| Sammlung der Bufsbücher wie bei W. Aber die Drucke
! find über das ganze Buch zerftreut, hie und da mitten
unter kritifchen Erörterungen! Dazu ift der Druck oft
1 ganz verzweifelt eingerichtet. Ich kann nur dem gratu-
liren, der fich da glatt durchfindet.

Die Sprache ift fchwerfällig, oft barbarifch ungelenk.
1 >ie Citate find nur zu oft von rückfichtslofer Falfchheit,
Autorennamen wie Büchertitel entstellt, Bände- und Seitenzahlen
unrichtig, die Beweife oft von höchster Willkür,
gänzlich unbewiefene und unbeweisbare Behauptungen
als Grundfätze behandelt, auf die man die weiteftgehen-
den Schlüffe bauen kann. Das Regifter ift im Verhältnifs
zur Maffe des Materials kurz und öfters unvollfländig
und ungenau. —

Ich habe lange vor dem Buche gefeffen. Der Verfuch,
ein einheitliches Bild davon zu gewinnen, kostete die gröfste
Mühe, und ich bin nicht ganz ficher, ob ich feinen Sinn durchaus
getroffen habe. Jedenfalls aber habe ich den Gedanken
bald aufgeben müffen, zu prüfen, wie weit fich feine An-
fchauung an den Quellen durchführen laffe oder ob die
neuen Quellen erlauben, ein anderes Ergebnifs festzustellen.
Das Material ist fo unendlich complicirt, dafs jeder nicht
ganz oberflächliche Verfuch fofort dazu führen mufs,
die Arbeit ganz von Anfang an noch einmal zu machen,
ein neues Buch zu fchreiben. Ich mufs mich alfo darauf be-
fchränken, einige Grundlagen zu prüfen und im Zufammen-
hang damit in kurzen Zügen ein Bild von der ganzen
Conftruction zu geben.

Römifchen Urfprung und canonifchen Inhalt hatte
Schm. in I den von ihm entdeckten P. Valicell. I. u. II.
Casiueuse und Arundcl. fowie dem P. Rom. Halitgars
zuerkannt. In II. kommt er darauf an manchen Punkten
zurück, doch nur einmal in gröfserem Zufammenhang.
B. 252—308. Ich mufs von vornherein bemerken, dafs
mir der Verfuch vollständig mifslungen zu fein fcheint,
den Schm. I gemacht hat, die rein canonifchc Herkunft
der Materialien diefer Arbeiten zubeweifen. Aber auchm.t