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Ausgabe:

1900 Nr. 6

Spalte:

173-176

Autor/Hrsg.:

Diekamp, Franz

Titel/Untertitel:

Die origenistischen Streitigkeiten im sechsten Jahrhundert und das fünfte allgemiene Concil 1900

Rezensent:

Jülicher, Adolf

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'73

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 6.

174

Differenzen begreifen ficli leicht aus der Freiheit des
Schreibers. Wie weiterhin noch Differenzen entftanden,
veranfchaulicht gut die Beobachtung, dafs die für einzelne
Worte wie ntjQ, v;. xg u. ä. angewandte Goldfchrift erft
nachträglich in freigelaffene Spatien eingefügt wurde:
dabei ifl es dem Schreiber paffirt, dafs er z. B. Mt. 1187
jct]q und vg beidemal vertaufchte und Mt. 1228 ev 6ax-
rvX" h7 für Iv xvi 6v fchrieb.

Die Bedeutung der neuen Handfchrift liegt nun darin,
dafs fie einerfeits 2 als nicht ifolirt daftehend erweift,
andererfeits uns den in 2 fehlenden Text des Lc. und Joh.
zum gröfsten Theil bietet. Iff die Vermuthung richtig,
dafs wir hier officielle kirchliche Prachtftücke aus der
Zeit Juftinians, für eine der hauptftädtifchen Kirchen be-
ftimmt, vor uns haben, fo gewährt das einen wefentlichen
Auffchlufs für die Textgefchichte. Fr. Kauffmann meinte
noch in feinen Studien über die Vorlage der Bibelüber-
fetzung des Ulfilas neben den Predigten und Commen-
taren des Chryfoftomos1 für den conftantinopolitanifchen
Text Handfchriften erft aus dem 8. Jahrhundert zu haben:
N2 repräfentiren jetzt die Zwifchenftufe. Es ift ein Mifch-
text deffen Charakter Robinfon in einer Notiz im Guardian
1896 m. E. nicht ganz zutreffend dahin beftimmt, dafs
eine Handfchrift von neutralem Typus («B) durch forg-
fältige Correctur mit der antiochenifchen Recenfion in
Uebereinftimmung gebracht fei. Letztere, der conftan-
tinopolitanifche Text, bildet vielmehr die Grundlage, in
die bald LAA der Claffe KBLRX& bald folche von KM/7,
bald auch fyrolateinifche (D it. syr.) eingefprengt find.
Die Entwickelung diefer Mifchung vom 4.—8. Jahrhundert
gilt es einmal forgfältig zu ftudiren. An den Citaten bei
Markos nionachos habe ich gelegentlich eine Probe angefleht
, die zu fehr beachtenswerthen Beobachtungen
führte: hier Aromen noch die merkwürdigflen LAA zu-
fammen. Später wird alles Charakteriflifche weggeglättet
bis zu gänzlicher Farblofigkeit. Sanday findet es in feiner
trefflichen Studie über den Text von cod. 2 (Studia
Biblica I 103—112) verwunderlich, dafs ein fo alter Zeuge
fo wenig originale LAA aufweift. Mir fcheint das bei
einer Handfchrift des 6. Jahrhunderts ganz natürlich. Wo
hat denn die Zeit Juftinian's überhaupt noch viel Ur-
chriftlich-Originales? Es ift die Zeit vollendeter Anpaffung
des Chriftenthums an das griechifche Wefen. Das fpiegelt
fich auch in dem Bibeltext.
Jena. v. Dobfchütz.

Diekamp, Priv.-Doc. Dr. Franz, Die origenistischen Streitigkeiten
im sechsten Jahrhundert und das fünfte allgemeine
Concil. Münfter.Afchendorf, 1899. (IV, 142S.gr.8.) M.3.50

Erft kürzlich hat Franz Diekamp, Lehrer der katho-
lifchen Theologie in Münfter, durch eine Monographie
über Hippolytos von Theben fich vielfache Anerkennung
erworben; noch verdienftlicher erfcheint mir feine neuefte
Arbeit, deren Ziel es ift, die Stellung des 5. ökumeni-
fchen Concils 553 zu den origeniftifchen Streitigkeiten
jenes Jahrhunderts genauer als bisher zu beftimmen. Drei
Parteien flehen in diefer Frage feit Jahrhunderten einander
gegenüber. Die eine behauptet, das Concil habe den Ori-
genes und feine Lehren auf Grund befonderer Berathungen
verurtheilt; die nur lateinifch vorhandenen Acten
des Concils, die freilich blos einmal im Vorbeigehen den
Origenes erwähnen,feien unvollftändigund bezögen fich nur
auf die erfte Hälfte der Sitzungen jener Synode. Im
geraden Gegenfatz hierzu wollten P. Halloix und Jean Garnier
, die neuerdings in Vincenzi einen fanatifchen Anhänger
gefunden haben, jede Verurtheilung des Origenes
durch die Synode, womöglich fogar die durch den Kaifer
Juftinian ableugnen; die von Origenes handelnden Sätze

1) Der Gedanke, diefe zur Grundlage eines fortlaufenden Textes zu
machen, war nicht eben glücklich. Manches erfcheint da als Befonder-
heit des Textes, was nur freie Wiedergabe ift.

I in den Acten feien Interpolationen. Hefele in feiner Con-
! ciliengefchichte tritt für die vermittelnde Anficht ein, wonach
die Synode 553 zwar über Origenes nicht verhandelt,
wohl aber im elften Anathematismus ihn als Häretiker
verurtheilt und damit die Entfcheidung der ovvoöog h-
6/jiiovaa von Konftantinopel i. J. 543 beftätigt habe. Diekamp
gelangt zu einem zwifchen der erften und der dritten
Hypothefe liegenden Refultat; weder Unvollftändigkeit
der Acten noch Interpolationen in ihnen giebt er zu, die
Anathematifirung des Origenes im II. Canon ift echt,
aber — dies der Unterfchied von Hefele — die ovvodoe
tvö>/uovOa von 543 ift nicht die einzige, die über die
| Ketzereien des Origenes verhandelt hat, dies ift auch 553
gefchehen und feitens der Theilnehmer an der ökumeni-
fchen Synode, jedoch ehe fie fich als ökumenifche Synode
conftituirt hatten, vielleicht im März 553, während die
erfte Sitzung der Synode, die als ökumenifche fich nur
mit der Dreicapitelfrage zu befaffen hatte, am 5. Mai 553
ftattgefunden hat.

In durchaus ruhiger, umfichtiger und fachkundiger
Erörterung führt D. diefem Ziele entgegen. In Abfchnitt I
giebt er grundlegende Bemerkungen zur Chronologie der
Streitigkeiten, in II den Verlauf der origeniftifchen Streitigkeiten
des 6. Jhdts. von etwa 514 an, wo einige Ori-
geniften, deren geiftiges Haupt bald der Paläftinenfer
Nonnos wurde, in die ,neue Laura' eintraten, bis zur Spaltung
der Origeniftenpartei in zwei fich heftig befehdende
Parteien, die der Ifochriften und der Tetraditen (c. 547),
und der dadurch herbeigeführten neuen Unruhen unter
den paläftinifchen Mönchen, die bald nach 553 mit der
endgiltigen Vertreibung der allein noch in der Oppofition
verbliebenen Ifochriften aus der ,neuen Laura' endeten.
Abfchnitt. III befchäftigt fich mit der Synode von 553,
1 prüft die Zeugen für und wider eine Verdammung des
Origenes, um in § 15 S. 129—138 die Ergebnifse knapp
zu formuliren. Eine Zeittafel S. 139 fr. Hellt dann noch
in willkommener Weife die Liften der Patriarchen von
Jerufalem und der dortigen ,Aebte der gröfsten Laura'
zwifchen 458 und 570 auf, endlich die Reihe der im Buche
nachgeprüften oder neu feftgeftellten auf unfer Thema
bezüglichen ,Ereignifse'.

Einzelheiten, zum Theil Druck- oder Schreibfehler
bedürfen der Verbefferung, fo S. 37 n. xeifUkiaQxm,
S. 15 n. Anormahtät. S. 20,25 1« 301 ft. 300. S. 128," Z 7
v- u- 373 378. S. 109,18 Mitte des 7. Jhdts. ft. 6. S. 65 n.
werden Theophanes und Cramer's Anecdota Paris, ver-
wechfelt, S. 54 n. 2 fehlt se vor condicione, S. 87'col. 3
doch wohl LEQtcov vor exxöxreiv. Zu S. 10 n. 1 ift zu bemerken
, dafs wenn die Addenda Cotelier's zur Vita Sabae
als den Tag der Ernennung Juftinians zum Mitkaifer den
5. April nennen, hier ein durchfichtiges Verfehen vorliegt;
ftatt ut/vl yixQiXUco xtuxrcp (!) t^c XQmrtjq Ivövxxlmvnq
wird gemeint fein (i. Axq. xqcot^j rrjg xtuxzije ivö.. was
genau auf den 1. April 527 pafst.

Solchen kleinen Mängeln flehen weit erheblichere
und zahlreichere Verdienfle gegenüber, die fich der Verf.
durch Feftlegung der in der Kirchengefchichte des 6. Jhdts.
noch fall durchweg falfch oder unzuverläffig angefetzten
Daten erworben hat. Die forgfältige Ausnützung der
über die verfchiedenen Schriften des Mönchsbiographen
r v. a0" ScythoPolis verftreuten genauen chronologi-
! jenen Angaben, vor allem die Verwendung eines befferen
I 1 extes der fo wichtigen Vita Sabae — hatte fich doch um
Cotelier's Nachträge in feinen Monnmcnta III hinter dem
' Ipdex fall Niemand gekümmert —, hat hier den meiften
| Gewinn eingebracht; doch find auch andere Quellen, da-
■ runter der neu edirte Zacharias Rhetor und mit gebüh-
I render Schätzung Euagrius und die afrikanifchen Ver-
theidiger der drei Capitel herangezogen worden, und
' r'u^t~^ vermag D- uns einen aus der Wiener Hand-
j Ichnft bedeutend verbefferten Text der 15 Anathematis-
men der Conftantinopler Synode gegen Origenes zu bieten
. Ich glaube nicht blofs, dafs durch fyftematifches