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Ausgabe:

1900 Nr. 6

Spalte:

171

Titel/Untertitel:

Novum Testamentum vulgatae editionis 1900

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 6.

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Ueberhaupt wird beim Blick auf das ganze Werk
gefagt werden dürfen, dafs dasfelbe zwar viel Anregung
bietet, aber auch manche Aufhellungen, deren Richtigkeit
ftark in Zweifel zu ziehen ift.

Göttingen. E. Schürer.

Novum Testamentum vulgatae editionis. Ex vaticanis editi-
onibus earumque correctorio critice edidit P. Michael
Hetzenauer, O. C. (Studium biblicum Novi Testa-
menti catholicum. Libri critici.) üeniponte, Libreria
academica Wagneriana, 1899. (656 S. 8.) M. 3. —

Hatte die Württembergifche ßibelanftalt mit ihrer
zweifprachigen Ausgabe des N. Ts. zugleich Separatausgaben
beider Texte vtranftaltet, fo hat fich der Verleger
der in diefer Zeitung Jahrgang 1899, No. 10 Sp. 294 be-
fprochenen Innsbrucker Ausgabe nachträglich zu dem
gleichen Verfahren entfchloffen. Zuerft erfcheint hier der
lateinifcheText, offenbar ein ftereotypirterNachdruck! Das
beweift die abfolute äufserliche Uebereinftimmung, z. B.
auch in fehlerhaften Typen an der gleichen Stelle, die Art
der Correcturen, die meift ungenau in der Zeile ftehen
(Joh. 133s erfcheint noch eine Spur des getilgten t in Form
eines unmotivirten Punktes), und vor allem ein ganz merkwürdiges
Verfahren in der Bogenzählung. Bei den Evangelien
find nämlich wie die Seitenzahlen fo auch die
Bogenzahlen der gr.-lat. Ausgabe einfach beibehalten,
fodafs hier 1—36 Halbbogen (S. 1—288) bedeuten; weiterhin
mufsten, da im zweiten Bande der gr.-lat. Ausgabe die
Bogenzählung neu begann, die Zahlen verändert werden:
37—58 bedeuten ganze Bogen (S. 289—640); gewifs ein
bibliographifches Curiofum!

Hetzenauer hat nach dem Vorwort den Text iterum
cum correctorio atque editionibus vaticanis dili-
gentissime verglichen. Am Schluffe zählt er 61 ver-
befferte Stellen auf, theilweife Minutien der Interpunktion
und Schreibweife, aber auch wichtigere, welche hier für
die Befitzer der früheren Ausgabe notirt feien: Lc 42 con-
summatis 4- Ulis, 825 quid, Jo 61 abiit -f- Jesus, 1333 dixi
(ft. dixit), Act 738 et cum, 1027 convenerant, 1627 custos
carceris, et vitlens ianuas apertas carceris, eva-
ginato (p. hom. ausgefallen), 182 Judaeum, Apc 199 qui
(ft. quid). Ob hiermit nun erreicht ift, ut hic textus
perfecte conveniat cum textu vaticano, vermag Ref.
nicht zu beurtheilen. Das Beftreben, möglichfte Genauigkeit
zu erzielen, ift jedenfalls anzuerkennen. Aber es fei
nochmals — gegenüber dem critice des Titelblattes —
betont, dafs wir es hier nicht mit einer kritifchen Ausgabe
des Textes des Hieronymus, fondern mit einer forg-
fältigen Reproduction des clementinifchen Textes zu thun
haben.

Die Synoptifche Tabelle unter dem Stichwort Evangelium
ordinatum' ift wiederholt, aufser den Approbationen
auch die Widmung an Leo XIII. und das Schreiben
Rampolla's. Dagegen fehlen die ganzen Vorreden, fowohl
die des Hieronymus als die der editio Clementina; aus
letzterer ift nur ein Satz herausgehoben, den mit dem
Original zu vergleichen lehrreich ift.

Erft nach Fertigftellung der griechifchen Sonderausgabe
follen die Additamenta, d. h. die kritifche Erörterung
der Methode, folgen, die uns in befonderem
Mafse intereffiren werden.

Jena. v. Dobfchütz.

Cronin, H. S., M. A., Codex Purpureus Petropolitanus. The

text of codex N of the gospels edited with an intro-
duetion and an appendix. (Texts and Studies. Vol. V.
No. 4.) Cambridge, University Press, 1899. (LXIV,
108 S. gr. 8.) Sh 5. —

Von der feit Wettftein mit N bezeichneten, mit Silber I
und Gold auf Purpurpergament gefchriebenen Pracht-

handfehrift waren bis 1876 nur 12 in Rom, Wien und
London zerftreute Blätter bekannt; 1876 kamen 33 von
Sakkelion gefundene, von Duchesne publicirte Blätter in
Patmos hinzu, 1896 gab Gregory in der Theol. Lit. Ztg.
No. 15 Sp. 393 Bericht über die Auffindung weiterei
184 Blätter.') Diefe find inzwifchen nach St. Petersburg
gekommen. Hier hat fie auf Robinfons Veranlaffung
Dean Cronin unterfucht und bietet uns nun in diefem,
dem Metropoliten Antonios von St. Petersburg gewidmeten
Heft eine Ausgabe aller bisher bekannt gewordenen Theile
der Handfchrift.

Ueber die Genauigkeit der Ausgabe, für die mit
Recht v. Gebhardt's Ausgabe des Rossanensis (T. u. U. I4)
zum Mufter genommen ward, könnte nur urtheilen, wer
die Handfchrift felber eingefehen hat. Die Aufiöfung
der Abkürzungen wäre wohl beffer unterblieben (man
weifs nun z. B. nicht, ob die fonft ganz unbezeugte Ver-
taufchung der Formen legovOakr/u und isgoOoXvpa Lc 242f.
wirklich der Handfchrift angehört); ebenfo die Ver-
fchiebung der Majuskeln von der Wortmitte an den Anfang
, und ihre Setzung am Capitelanfang.

Für die patmifchen Blätter folgt C. dem Abdruck von Duchesne.
S. XLIII A. 3 notirt er allerdings die Abweichungen der von Tifchendorf
benutzten Abfchrift Sakkelions. Diefe hätten aber mindeftens unter den
Text gehört, und wären gröfstentheils unter Vergleich von 27 in den Text
aufzunehmen gewefen. H. v. Gebhardt, der mich hierauf aufmerkfam
macht, hat die jetzt der Leipziger Univerfitätsbibliothek gehörige Abfchrift
Sakkelions nochmals verglichen. Danach ftimmt zV-Sakkelion mit
27 gegen iV-Duchesne an 19 Stellen überein: in den von Cr. erwähnten
656i 84, 30, iO|, ,4, 15, llt3, 1432, 53. 65 (pcOT.) 1 5t (ovox.) — die andern
fallen fort, da Tifchendorf hier die LAA von N nicht oder falfch giebt —
733 öaxxvXovg, 93 Xeiav, 17 aXaXov, 32 rjyvoovv (ft. fjyvoovv D.),
lo15 nttiSiov, 16 xaxrjvXoyi, h20 e&QctßUCvriv, I464 evoyov; umgekehrt
an 4 Stellen: 653 nQOOioguiO&rjoav S., 9,7 öiSaoxeXe mit sie S., 923 om
to S., i432 ye&o. S. Kleinere Differenzen find: 727 aavzrj D„ avavxrj S.;
945 oxavdaJ.ei'Qr] D., Xi'Qv S.; io, xaxtSev D., xaxti&ev S. An den ver-
wifchten Stellen fol. 26. 27 haben bald D., bald S. einzelne ßuehftaben
mehr gelefen. Mc. 193, wird nach D. (vgl. 2) N für xx nspiooov in
Anfpruch zu nehmen fein, während Tifchendorf nach S. non liquel no-
tiren mufste.

In dem Fragment der capp-tab zu Lc. (p. XXVI) würde ich ergänzen
[£y' negi tov ensQOJxnoavxog [xov iv]] nXovotov.

Die mit unendlichem Fleifse und minutiöfer Gründlichkeit
gearbeitete Einleitung handelt in den elften beiden
Capiteln von der Gefchichte und der Structur der Handfchrift
. Aus alten Lagen- und Blattzählungen läfst fich
nachrechnen, dafs nach einer Zerftörung, bei der u. a.
die jetzt in Rom und London bewahrten Blätter abgetrennt
wurden, etwa im 12. Jahrh. c. 240 Blätter neu zu-
fammengebunden wurden. Dann mufs das Ev. Joh. (mit
dem Schlufs des Lc.) einmal abgetrennt worden fein;
hier findet fich eine eigene jüngere Lagenzählung, und
ein mit Wahrfcheinlichkeit darauf bezogener Eintrag im
Cod. Beratinus (y?) bezeugt, dafs es damals in Ephefus
als Autograph des Apoftels Johannes verehrt ward. Später
aber ward diefer Theil wieder mit der anderen Sammlung,
von der allerdings inzwifchen ein Theil nach Patmos gekommen
war, vereinigt: fo fand er fich jetzt, abergläubifch
verehrt, in dem kappadokifchen Orte Sarmufahly (JSagftfj
OaxXrj). Die Zufammengehörigkeit aller Theile zur gleichen
Handfchrift fleht aufser Zweifel. Eine überfichtliche
Tabelle legt deren urfprünglichen Beftand dar. Aufser
den vier Ew. enthielt die Handfchrift ficher Capiteltafeln,
möglicher Weife auch, wie IS, am Anfang Miniaturen.

Das 3. Capitel erörtert den Textcharakter. Dabei
fällt zunächft die faft abfolute Uebereinftimmung mit dem
auch der Ausftattung nach faft gleichen Codex Rossanensis
(7j_7) auf. Es kann nicht zweifelhaft fein, wie
v. Gebhardt bereits 1883 erkannte, dafs beides Schwefter-
handfehriften find, aus einer Vorlage gefloffen. Die
wenigen, von Cr. mit Recht unter dem Text gebuchten

1) Es befremdet, diefe Notiz Gregory's fo wenig wie deffen Be-
fchreibung von at in den Prolegom. I 382 fr. bei Cronin erwähnt zu finden.
Letztere bot jedenfalls die befte Zufammenftellung deffen, was man bisher
über die Handfchrift wufste, weit klarer, als was bei Scrivener-Miller
*l 139 fr. fleht.