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Ausgabe:

1900 Nr. 5

Spalte:

139-141

Titel/Untertitel:

Tractatus origenis de libris ss. scripturarum 1900

Rezensent:

Harnack, Adolf

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139

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 5.

140

grofse Lücke am Schlufs alfo ergänzen: ai ä[öEXycög
GvXXaßovGctt.

Berlin. A. Harnack.

Tractaius Origenis de libris ss. scripturarum detexit et edidit
Petrus Batiffol, sociatis curis Andreae Wilmart.
Parisiis, Apud Alph. Picard et filium, 1900. (XXIV,
226 S. gr. 8.)

Diese 20 Tractate hat Batiffol vor ein paar Jahren
in einem Codex von Orleans saec. X. (= F), olim Floria-
censis, entdeckt und in der Rev. bibl. internat. T. V. (1896)
p. 434ff. kurz befchrieben. Es glückte ihm dann, noch
eine zweite Hdf. in St. Omer saec. XII (= B), olim
St. Bertini, zu finden. Auf Grund derfelben (,B meli-
oris ?iotae est in sensu, non vero in orthographial) ift die
vorftehende cditioprinceps von Batiffol hergestellt worden;
den Cod. von Orleans hat Wilmart abgefchrieben, der
auch den Apparat zu den Tract. 16—20 ausgearbeitet hat.
,Simul textum correximus,1 fchreibt Batiffol, dnterpunximus,
restituimus; simul textum typis traditum sanavimus, quo-
niam vero novissimarum curarum auctor sum, in me so/um
convertantur philologarum telal. Die Tractate find
in alter Zeit ausgefchrieben worden, aber nicht eben
häufig. In dem Gloffarium eines Anfileubus saec. VIII
vel IX find fie unter dem Namen des Origenes benutzt.
Ifidor von Sevilla hat fie ftillfchweigend verwerthet. Dafs
er fich für feine allegorifchen Auslegungen u. a. auf Origenes
und Victorinus beruft, ift wichtig. Dafs Evagrius
fie in feiner ,Altercatiol ausgefchrieben hat, hat Batiffol
in der Rev. bibl. T. VIII (1899) p. 337 ff. zu zeigen gefacht
; in den Prolegg. ftellt er es ficher, dafs Hilarius
für feinen Pfalmencommentar den TractatenManches verdankt
. Hieraus folgt, dafs diefelben um d. J. 360 vorhanden
gewefen find. Batiffol zeigt ferner, dafs fie aus
dem Griechifchen gefloffen find, denn ihr Bibeltext ift
ad hoc aus der LXX überfetzt und fie wimmeln von
griechifchen Wörtern, von Redensarten und Wendungen,
die nur aus dem Griechifchen verftändlich find. Endlich
— diefe Tractate find wirklich gehaltene Homilien. Unter
der Vorausfetzung, dafs fie dem Origenes angehören,
können fie daher nur von Victorinus von Pettau
flammen; denn aus der Zeit zwifchen 250 und 350 ift kein
anderer lateinifcher Ueberfetzer bez. Bearbeiter des
Origenes bekannt. Etwas kurz führt Batiffol diefen Beweis
— er wird durch Vergleichung der bisher bekannten
Stücke des Victorin nachzuprüfen fein—, aber ich glaube
nicht, dafs er erfchüttert werden wird.

Dafs aber die Homilien wirklich dem Origenes gehören
, bedarf keines umftändlichen Beweifes, fo ficher
ift ihr origeniftifcher Charakter. Fraglich ift nur, wie
ftark Victorin in den Text des Origenes eingegriffen hat.
Diefer mühfamen Unterfuchung hat fich Batiffol noch
nicht unterzogen; er hat nur auf Einiges hingedeutet,
was ficher auf Rechnung des Victorin zu fetzen ift.
Victorin hat die ,Patripassiani den ,Sabellius' und den
,Praxeas' eingeführt (den letzteren hat er auch in feine
lateinifche Bearbeitung des hippolytifchen Syntagmas
aufgenommen, die wir jetzt am Schlufs des tertullianifchen
Tractats ,De praescriptione' lefen); er hat im 17. Tractat
grofse Abfchnitte aus Tertull. de resurr, wörtlich übernommen
, an die Stelle der origeniftifchen gefetzt und fo
die Auferftehungslehre des Origenes in ihr Gegentheil
verkehrt, ja den Origenes (ftillfchweigend) bekämpft.
Er hat Tract. 10 p. 108 gefchrieben (nach dem Citat
Rom. 12, 1, angeführt mit peatus apostolus Paulus diät):
,sed et sanctissimus Barnabas: Per ipsum offer imus, rnquit,
deo laudis hostiam labiorum confitentium nomini eins1:
(= Hebr. 13, 15). Diefe Citationsformel ift intereffant;
Tertullians bekannte Stelle im Tractat ,De pudicitia' hat
nun eine Parallele erhalten. Bei Origenes las Victorin den
Vers unzweifelhaft als Pauluscitat (ein folches folgt auch

fofort wieder); aber er felbft kannte den Hebräerbrief als
Barnabasbrief und prädicirte ihn dementfprechend. Dafs er
ihn in feiner Bibel gelefen hat, läfst fich der Stelle nicht
oder jedenfalls nicht mit Sicherheit entnehmen; man beachte
auch, dafs er den Barnabas nicht ,Apoftel' genannt hat.

Was uns Batiffol in feiner Ausgabe gefchenkt
hat, ift ein Fund von hohem Werthe — es ift ein
Doppelgefchenk; denn wir haben zwanzig bisher unbekannte
Homilien des Origenes erhalten, und diefe in
der Bearbeitung eines Schriftftellers, den wir längft näher
kennen zu lernen begehrten. Aber dafs es ein Doppelgefchenk
ift, beeinträchtigt andererfeits den Werth, fo
lange wir nicht ficher wiffen, wo Origenes aufhört und
Victorin anfängt. Im Allgemeinen beftätigen diefe Homilien
vollkommen das Urtheil, welches Hieronymus an
verfchiedenen Stellen über die Schriftftellerei des Victorin
gefällt hat. Seine Charakteriftik — Victorin habe die
practatus Origenis non ut interpres, sed ut auctor proprii
operis1 überfetzt — giebt einen Fingerzeig, dafs wir in
zweifelhaften Fällen den Text als Eigenthum nicht diefes,
fondern jenes (fo das Apokalyptifche in Horn. 18) anzu-
fehen haben. Deshalb kann man fragen, ob man diefe
Homilien unter die Werke des Origenes aufnehmen foll;
doch werden fie im Anhang eine Stelle finden dürfen;
denn fie enthalten doch Vieles, deffen origeniftifcher Ur-
fprung unzweifelhaft ift.

Die erften 6 Homilien beziehen fich auf Verfe der
Genefis, hom. 7,8,9 auf folche des Exodus, hom. 10 Levit.,
hom. 11 Num., hom. 12—14 Jofua, hom. 15 II Reg.,
hom. 16 Jesaj., hom. 17 Ezech., hom. 18 Daniel, hom. 19
Sacharj. und hom. 20 Acta Apoft. (c. 2, 1. 2). Die Auswahl
ift auffallend und bedarf noch einer näheren Unterfuchung
.

In dem Apparat haben die Herausgeber den hand-
fchriftlichen Befund allem Anfchein nach treu wiedergegeben
; von Conjecturen haben fie einen fpärlichen, aber
beifallswerthen Gebrauch gemacht. Manches bleibt noch
zu thun übrig; so ift z. B. p. 159 Z. 3 nicht ,cappa
I fondern ,eta' zu lefen, und p. 139 Z. 1 ift ,quique' beizubehalten
, aber ,qui' nach ,prophetal einzufchieben.
! Leider find faft nur die directen Bibelcitate angemerkt
, auch diefe nicht überall mit der nöthigen Sorgfalt
(S. 84 ift Luc. 24, 26 zu ftreichen und Joh. 7, 39 dafür
einzuhetzen; die zweite Hälfte des als Citat bezeichneten
Spruchs ift nicht Citat); die grofse Menge der Anfpielungen
find überfehen.

Im Folgenden hebe ich einiges Intereffante hervor.
Die Trinitätslehre (p. 22. 33. 67. 68. 80. 148. 157) ift
nicht rein origeniftifch, fondern durch Tertullian ftark in
der Richtung auf das Nicänum beeinfiufst. P. 62 heifst
es, dafs die Schriftgelehrten aus dem Stamme Simeon
ftammen. P. 55: In der Zeit des Antichrifts wird kein
Abendmahl gehalten werden, ,quia sacrificum deo tunc
off er i non licet, propter quod sint omnia polluta atque
immunda1. P. 75: , Verbum Dei est panis vitae apostolica
traditione tractatus'. P. 80: ,{CItristus) omni pulchritudine
pulchrior est, omni formositate formosior.' P. 98: ,De
David secundum ordinem generationum nascitur sancta
Maria1. P. 116: Die Anordnung, Castratum non offenes
Domino" wird nicht auf Verfchnittene, fondern auf ,viri
reformati in femifias' gedeutet. P. 155: Johannes ift der
Vorläufer Chrifti in der Unterwelt. P. 165: Joh. 7, 38
wird richtig von Jefus felbft, nicht von den Gläubigen
verftanden. P. 178: ,Gratia cArismatis1 — für die Ge-
fchichte der Firmelung von Bedeutung. P. 179: der Wirth
im Gleichnifs vom barmherzigen Samariter ift der ,angelus
ecclesiae"; das ift für die Gefchichte der Auslegung von
Apoc. 2. 3 wichtig. P. 180—190: Tertullians Tractat
De resurr, ift hier fo ftark ausgefchrieben (f. o.), dafs
diefe Homilie für die Textkritik Tertullians etwas austrägt
. P. 188: Ein apokryphes Citat, das die Herausgeber
nicht identificirt haben. P. 195 f.: Eine eigenthümliche
Ausdeutung der Zahl 666. P. ig7f.: pVescit enim quid-