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Ausgabe:

1900

Spalte:

118-120

Autor/Hrsg.:

Freund, Julius

Titel/Untertitel:

Huttens Vadiscus und seine Quelle 1900

Rezensent:

Köhler, Walther

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M7

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 4.

tigen Sünde losfprach und darüber eine litcra absolutionis
ausstellte, fpiegelt fich nur die populäre (Auffaffung feines
Treibens, wie fie durch den Verkauf von Ablafsbrief en
hervorgerufen wurde. Denn der Werth derfelben beftand
gerade darin, dafs fie zukünftige Sünden betrafen.
Daher fpricht mit der ihm eigenen Unbefangenheit Johann
von Paltz von litterae indulgentiales sive confessionalia
quoad futura peccata. Diefe zukünftigenSünden waren
nun allerdings eingefchränkt durch eine Claufel, die wir
in manchen Ablafsbriefen (fo gleich in den älteften gedruckten
von 1454) finden: der Brief follte feine Kraft
verlieren, wenn man ex confidentia hujus remissionis händigte
. Dafs man es für nöthig hielt, eine folche Claufel
hinzuzufügen, ift höchft bezeichnend. Diefe Auffaffung
der Confessionalia als indulgentiac ad futuros casus, pro
peccatis adhuc committendis war einem Chemnitz noch
fehr wohl bekannt, wie auch der milde Camerarius von
dem rediniere veniam factorum faciendoruinque redet.
Auch ift Luther keineswegs der erfte, wie P. meint, der
vom Verkauf zukünftiger Sünden gefprochen hat. So
fchreibt Joh. Aventin (fpäteftens 1533) von Tetzel: ,Der
erlaubet auch künftige fünd und vergabs'. Vor allem
aber hätte P. fich hier daran erinnern follen, dafs fchon
faft zwanzig Jahre vor dem Erfcheinen der betreffenden
Schrift Luthers öffentlich und von Reichs wegen
der nämliche Vorwurf erhoben worden ift. Die Nürnberger
Gravamina führen eine deutliche Sprache: ,Und
hat fich folcher Ablafs je zu Zeiten nicht allein auf die
gegenwärtigen und zukü nft ig en Sünden der Lebendigen,
fondern auch auf die Seelen im Fegefeuer, wo man Geld
für fie eingelegt, dafs man damit fie gewifslich erlöfe,
erftreckt'.

3. Tetzel foll den Ablafs blofs als ,Straferlafs' verkündet
haben. Aber hat er fich denn nicht nach feiner
Instruction richten müffen? Von diefer aber gesteht P.
zu, dafs fie als die erste Hauptgnade des Ablaffes die
Verföhnung mit Gott (oder ,die Vergebung der
Sündenfchuld') und die Tilgung der Fegefeuerstrafen
hinstellt (S.9irT.). Aber freilich, wir werden belehrt: was
hier (man beachte: in der Befchreibung der ersten und
zwar unfchätzbaren [qua quidem gratia majus nihil dici
potest) Ablafsgnade) von Sündenvergebung gefagt wird,
,i(t nicht auf den Ablafs, fondern auf die der Gewinnung
des Ablaffes vorhergehende Reue und
Beichte zu beziehen' (S. 92). Damit berührt P. die für
das Wefen des von Luther angefochtenen Jubelablaffes
entfcheidende Hauptfrage. Ich habe in einer Univerfitäts-
fchrift, die demnächst in erweiterter Gestalt im Buchhandel
erfcheinen foll, dem Leipziger Reformations-Programm
von 1897 (,Das Wefen des Ablaffes am Ausgange
des Mittelalters', 11 Bogen in 4), den Beweis zu führen
unternommen, dafs in diefen Jubelablafs das Bufsfacra-
ment mit hineingezogen ift, fo dafs er mit Recht allgemein
als Ablafs von Pein und Schuld (a poena et
a culpa) bezeichnet wurde. P. hat diefe Auffaffung in
der vorliegenden Schrift bekämpft, leider ohne feinen
Lefern eine einigermafsen deutliche Vorstellung von ihr
zu geben; doch hat er das früher und fpäter in feiner
fonftigen Polemik gethan (f. Hiftor. Jahrb. XIX, 1898,
S. 638, Zeitfchr. für kathol. Theol. XXIII, 1899, S. 49
S. 423 f.) Zu einer Auseinanderfetzung mit ihm ift hier
nicht der Ort Nur Eins will ich bemerken. P. fällt
wiederholt unwillkürlich in Wendungen, die fich meiner
Definition bedenklich nähern. So lefen wir S. 96, ,dafs
man in einem gewiffen Sinne ganz wohl fagen konnte,
dafs der Menfch durch die Abiäffe frei werde von aller
Strafe und Schuld'. Desgl. S. 94: ,Mit Rückficht auf
diefe den Beichtvätern ertheilten Vollmachten kann man
mit Recht fagen, dafs das Jubiläum fich nicht blofs,
wie der eigentliche Ablafs, auf die Nachlaffung der
Sündenftrafen, fondern auch auf die Vergebung der Sündenfchuld
beziehe'. Gefetzt, P. wäre im Recht mit feiner
Behauptung, dafs das Jubiläum blofs in Folge der

; Ertheilungbefonderer Vollmachten an dieBeicht-
! väter zur Befreiung von Strafe und Schuld führte, fo
bliebe doch immer die Thatfache bestehen: es ift hier
das Sacrament der Bufse in ein Geldgefchäft eingefügt
worden, das den wohlklingenden Namen Jubiläum', ,das
gnadenreiche Jahr', ,die Gnade' führte. Daher der fchnei-
dende Hohn des Spott-Vaterunfers: Papa noster — di-
mitte nobis peccamina nostra, sicut et nos remittimus pe-
j cunias nostras. Daher die Irreführung des ,armen un-
verftendigen volcks', das die hier verknüpften Dinge nicht
reinlich zu fondern vermochte und daher (fo fchrieb ein
hervorragender Mann im Jahre 1519) .gewifslich glaubte
und dafür gehalten, als ob fie allein in krafft des Ablafs
on mittel von allen iren fünden entpunden und dadurch
zur feligkeit gefürdert wurden'. Und ift denn nicht um
die Mitte des 16. Jahrhunderts von kirchlich-autoritativer
Seite für dringend nothwendig erklärt, dafs die Prediger
dem Volke fleifsig einfchärften: per indulgentias non
remitti culpam, ut quaestöres plerique, cauponantes
verbmn Dei, /also et temerarie jactitant, sed iis solum
prodesse, qui ab omni peccato mortali liberi et immunes
cum Deo in gratiam redierunt, quae non nisi per sacra-
menta re vel voto suscepta sitt An wem aber lag die
Schuld?

Leipzig. Th. Brieger.

Freund, Julius, Huttens Vadiscus und seine Quelle. Difs.
Marburg, 1899. (Lund, E. Malmftröm.) (36 S. 4). M. 1.40

Eine philologifche Doctor-Differtation, die auch für
den Kirchenhistoriker von Intereffe ist. — Als Anhang
feiner Ausgabe des Huttenfchen Vadiscus hatte Böcking
(Hütt. op. IV 262 ff.) eine lateinifche und deutfche Tria-
denfammlung zum Abdruck gebracht, erftere als Auszug
aus Huttens Dialog bestimmend '), über letztere nur unbestimmt
fich äufsernd; er liefs offen, ob jene deutfchen
Triaden gleichfalls aus dem Vadiscus ausgezogen oder
theilweife felbftändig feien. (S. 262 Anm.) Dav. Friedr.
Straufs (Gef. Werke VII S. 288 f.) erklärte beftimmter
jene für eine Quelle Huttens und Crotus Rubeanus für
den Verfaffer. Die nähere Begründung diefer Anficht,
die Straufs fich verfagt hatte , bietet nun Freund, Lector
der deutfchen Sprache an der Univerfität Lund, und
fucht fie mit Gefchick und in forgfältiger Methodik
durchzuführen. Unterstützt durch den in der Typen-
yergleichung wohlerfahrenen Bibliothekar Johannes Luther
in Berlin, bestimmt Verf. zunächst die verfchiedenen
Drucke jener deutfchen Triaden und weift einen Wittenberger
Druck von Johannes Grunenberg als die Vorlage
eines Leipziger und Augsburger Druckes in fehr umsichtiger
Weife nach. Aber wenn er nun ferner eine
weitere Reihe von um einen Strafsburger Druck fich
gruppirenden Drucken als von dem Wittenberger Druck
gleichfalls abhängig zu erweifen fucht, diefen damit zum
Urdruck stempelnd , und wenn er dann eine Ueberein-
ftimmung Huttens mit der fecundären Gruppe von
Drucken feststellt und daraus ,die F rage nach dem Ver-
hältnifs der deutfchen Triaden zum Vadiscus in der
Hauptfache entfchieden' (S. 14) fein läfst, fo vermag
ich diefer Beweisführung, fo verblüffend fie auf den
ersten Anblick wirkt, nicht zuzustimmen. Denn der
Oberfatz, der Strafsburger Druck (S) fei von dem Wittenberger
(W) abhängig, erfcheint mir unrichtig. F. fucht
die Abhängigkeit aus zwei Lesartenunterfchieden zu erweifen
. Erftlich lieft W: ,Drey Ding hatt rhom am meyften,
alte türm, vorgifftig wurm, fchendliche Kirchenn', hingegen
S: ,Drey Ding etc____verwüste Kirchen'. F. mufs

felbft zugeben, dafs ,zu den alten Thürmen . . . die ver-

1) Übrigens find die von O. Clemen aus dem Druck der lamenta-
tioncs Petri mitgeteilten Triaden (Z. K. G. XIX S. 446 ff.), wie der Vergleich
zeigt, gleichfalls Auszug aus Hutten, nicht Original, wie Clemen
meint.