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Ausgabe:

1900

Spalte:

114

Autor/Hrsg.:

Demeuldre, Paul

Titel/Untertitel:

Frere Jean Angeli 1900

Rezensent:

Mueller, Karl

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Seite 1

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Tlieologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 4.

114

gebotene Würdigung Leons des Ifauriers künftig bei der
Darfteilung des Bilderftreites fehr zu berück fichtigen fein,
fowenig gerade hier alle Urtheile unbedingt zu unter-

felbe dienftbar gemacht hat, das ift für uns von
Intereffe.

Möge Gelzer's höchft anregende Studie dazu bei-

fchreiben find. | trageni dafs diefe lange Zeit verkannten Quellen in ihrer

Das höchfte Intereffe aber des Theologen beanfprucht j hohen Bedeutung für die Cultur- und die Religions-Ge

ein hier verfteckter .Exkurs über die Slaveneinbrüche
und die politifch-kirchliche Bedeutung des h. Demetrios',
nicht wegen der Erörterung über Fallmerayer's Slaven-
theorie und Hopfs PhilheUenismus, fondern wegen der
religionsgefchichtlichen Analyfe der Acten des h. Demetrios
(S. .53—64). Auf die Frage nach deren geschichtlicher
Grundlage geht Geizer nicht ein. Ihm kommt es
nur darauf an, die Art des Demetrioskultes im 7. und
8. Jahrhundert an der Hand der beiden Legendenfamm-
lungen über die Wunder des Heiligen von dem Erz-
bifchof Johannes von Theffalonich und einem Anonymus
zu charakterifiren: ,Das Chriftenthum der Theffalonikeer
befteht nur in Demetrioskult'. Der Heilige mit ^den
Beinamen ocooLxoXiq, qiXoxaxQiq, Xvxgmxrjq, xQoöxäxrjq,
vjtSQaoxiaxijg rf/c jtoXecoq ift .gleichfam die Perfonification
des antiken, griechifchen Polisgedankens', ,der Stadtgenius,
der mit der ihm anvertrauten Bürgerfchaft lebt und ftirbt',
,ein leibhaftiger Heros, welcher am hellen lichten Tage
in der derben materiellen Wirklichkeit feine Theophanien
vollzieht'. Geizer führt diefen faft zu göttlicher Höhe erhobenen
Märtyrer [fisxa frtov 6eojtöxt]q wird er genannt; vgl.
die ähnlichen Prädicate für die Theotokos in der von mir,
Chriftusbilder (T. u. U. N. F. IUI 263 **, abgedruckten
byzantinifchen Predigt) mit Recht als einen Zeugen gegen
die neuefte mythologifche Theorie ins Feld, welche alle
Heroen zu vermenschlichten Erfcheinungen des Lichtgottes
machen will. Aber indem er fich ganz Ed. Meyer's
Theorie von der Wiederholung der gefchichtlichen Ent-
wickelungsperioden aneignet und in fehr anfprechender
Weife die frühbyzantinifcne Epoche mit der mykenifchen,
das literaturlofe und doch legendendichtende 7. Jahrhundert
mit der Zeit Homer's vergleicht, betont er nicht
ftark genug, dafs eben doch ein wefentlicher Unterfchied
befteht. Wenn die Theffalonikeer auf Gott (d. h. Chriftus)
und den Stadtpatron Demetrios vertrauen, fo ift die
Erwähnung Chrifti doch nicht nur eine inhaltsleere
Phrafe. Und wenn der h. Demetrios in feiner Fürbitte
für feine Stadt, welche übrigens an Gen. 18 ein befferes
Vorbild hat als an Herodot VII 141, Chriftus vorhält,
dafs er doch felbft als Hirte fein Leben gelaffen habe
für feine Schafe, wenn er fein Vertrauen darauf gründet,
dafs Chrifti Erbarmen gröfser ift als die Sünden der
Stadt, fo zeigt fich hierin, dafs doch etwas Neues in den
vermeintlichen Kreislauf der Gefchichte eingetreten ift.
Demetrios ift ein chriftlicher, kein antiker Heros. Sein
Cultus trägt nicht nur dem monotheiftifchen, fondern
ebenfo auch dem fittlichen Gedanken des Chriftenthums
Rechnung. Man kann doch nicht mit Fug fagen, dafs
.Chriftus durch den &tbq jtoXiovxoq ArjfirjxQtoq nicht nur
erfetzt, fondern auch in allen feinen Functionen copirt
wird'. Vielmehr tritt Demetrios neben Chriftus als eine
anfchauliche Verdoppelung dtffen menfchlicher Seite,
feines aufopferungsvollen Erbarmens, feiner Sünderliebe,
u. f. f., d. h. eben der Züge, welche dem Chriftusbild der
Evangelien wefentlich find, während fie allerdings in dem
die damalige Frömmigkeit beftimmenden Bilde des Pan-
tokrator zurücktreten.

Wunderliches Ineinander heterogener Elemente in
dem frommen Bewufstfein des Volkes! Gewifs ift es
berechtigt und höchft dankenswerth, wenn uns fo die
Zuge altheidnifchen Wefens in dem chriftlichen Kultus
von kundiger Philologenhand aufgezeigt'werden. Aber
daneben bleibt es für die Theologie Recht und Pflicht,
das Chriftliche, das fich damit in einer für das Empfinden
jener Zeit ficher unlösbaren Mifchung verbindet, ebenfo
ftark zu betonen. Nicht, dafs fich Antikes erhalten hat
bis tief in chriftliche Zeit hinein, fondern wie das Chriftenthum
davon beeinflufst worden ift und wie es fich das-

fchichte beffer gewürdigt werden. Der Eifer für hagio-
graphifche Studien ift auf katholifcher Seite längft erwacht
; unfere Philologen unterftützen ihn warm; follten
wir zurückbleiben?

Jena. von Dobfchütz.

Demeuldre, Abbe Paul, Fröre Jean Angeli. Episode des
conflits entre le clerge seculier et le clerge regulier
ä Tournai (1482—1483). Bruxelles 1898, Hayez.
(59 S. gr. 8.)

Aus Bulaeus und D'Argentre kannte man fchon
lange das Urtheil der Parifer theologifchen Facultät über
Sätze, die ein gewiffer Minorit, Br. Angeli zu Tournai
gepredigt hatte. Sie bezogen fich namentlich auf das
Verhältnifs der geiftlichen Gewalt und der geiftlichen
Rechte des Weltclerus und der Bettelorden, fowie
auf die Gewalt des Papftes. Deren Umfang wurde
ebenfo unermefslich ausgedehnt, wie die Vorzüge
der Bettelorden vor dem Weltclerus gepriefen. Die
Parifer Facultät hatte über fie auf Antrag des Capitels
von Tournai 5. Febr. 1483 (a. St. 1482) ihr Urtheil abgegeben
, fehr zu Ungunften des Bettelmönchs. Das war
bisher alles gewefen, was man von der Sache wufste:
auch Frcdericq in feinem Corpus documentorum inquisi-
tiouis Ii. pr. Necrlandicae hatte nicht mehr gekannt. Nun
veröffentlicht Abbe Demeuldre, baccal. tut. can. weitere
Acten aus dem Nationalarchiv von Paris und dem
Cathedralarchiv von Tournai, die die Vorgefchichte der
Sache und den ganzen Procefs deutlich machen. Danach
ift Br. Angeli vom Parifer Convent als Faften-
prediger für 1482 nach Tournai gefchickt worden, hat
dort in verfchiedenen Kirchen gepredigt, ift dann vom
Capitel zum Widerruf aufgefordert worden, verweigert
ihn aber und wird dann fchliefslich auf Antrag des Capitels
vom königlichen Bailli genöthigt, die Predigt einzuheilen
. Nun verlangt das Capitel, die Minoriten von
Tournai follen die Sätze A.'s widerrufen. Sie weigern fich;
die fämmtlichen Pfarrkirchen der Stadt werden ihnen
gefperrt. Aber die Piatuskirche foll nach ihrer Angabe
dem Capitel nicht unterftehen; fie predigen alfo darin
weiter. Das Capitel bietet daher wieder den Bailli gegen
fie auf. Da appelliren die Minoriten an das Parifer
Parlament. Dort wird die Rechtsfrage über die Piatuskirche
erörtert; aber ehe es zum Urtheil kommt, mufs
die Facultät ihr Urtheil über die gepredigten Sätze abgeben
. Da es für fie ungünftig ausfällt, ziehen die
Minoriten es vor, mit dem Capitel einen Vergleich zu
Ichliefsen. Die Hauptfache ift, dafs nun Angeli's Sätze
von dem Convent feierlich in der Cathedrale von Tournai
widerrufen werden. Die Sache endigt auf allen
Seiten mit dem Siege des Capitels. — Die Acten bieten
alfo Intereffe für das Verhältnifs von Weltclerus und
Bettelorden, ebenfo wie für die Gefchichte der weltlichen
Gerichtsbarkeit in kirchlichen Sachen.

Oeslau. Karl Müller.

Paulus, Dr. Nikolaus, Johann Tetzel der Ablassprediger.

Mainz, F. Kirchheim, 1899. (VIII, 187 S. gr. 8.) M. 2.50

(Schlufs.)

Für die ,Ablafslehre' Tetzeis benutzt P. neben der
(Widerlegung' als eine ,Quelle erften Ranges' die Frankfurter
Theten, weiter die nach feiner Meinung wahrfchein-
lich auf Tetzel zurückzuführenden Predigten (die f. g.
Instntctio pro sacerdotibus), endlich als ,von viel gröfserer