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Ausgabe:

1900 Nr. 4

Spalte:

112-114

Autor/Hrsg.:

Gelzer, Heinrich

Titel/Untertitel:

Die Genesis der byzantinischen Themenverfassung 1900

Rezensent:

Dobschütz, Ernst

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 4.

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Stellen (S. 199), verglichen mit dem, was der Verfaffer
S. 209, 14—18 vorträgt, verbieten es an Johannes von Da-
maskos als Verfaffer zu denken. Schon Montfaucon fprach
trotz der im Cod. Coisl. überlieferten Ueberfchrift das
Werk dem Johannes Philoponos zu. Seine Meinung theilen,
von Corder und Le Quien, dem Herausgeber der Werke
des Damasceners, abgefehen, unter den Neueren Ufteri,
Külb und Gafs. Dafs Nauck, durch Sachkunde nicht
befchwert, fich herbeiliefs, das Büchlein ,die abgefchmack-
tefte aller Salbadereien' zu nennen, ift verzeihlich. Wenn
er fich aber zu dem Urtheil verflieg: ,Dafs jemand arglos
genug fein konnte, ein folches Fabricat äufserfter
Barbarei dem Philoponus zuzufchreiben, grenzt an das
Unglaubliche': — fo ift das nicht blofs bedauerlich, fondern
grenzt thatfächlich ,an das Unglaubliche'. Nach
dem, was wir heute über Philoponos, einen der glänzend-
ften Vertreter griechifchen Schriftthums im 6. Jhrh., und
feine wiffenfchaftliche Bedeutung für Philofophie, Theologie
und Sprachwiffenfchaft wiffen, Dinge, die ich in
der Wochenfchr. f. klaff. Philol. 1898, Nr. 5, Sp. 118 ff.,
befonders Ludwich und Chrift berichtigend, in über-
fichtlicher Zufammenfaffung beleuchtet habe, ift es durchaus
unftatthaft, fo wie hier Nauck oder wie Chrift, deffen
ähnlich geartete Beurtheilungsvveife ich a. a. O. Sp. 121/122
gebührend zurückgewiefen, noch von Philoponos zu reden.
Der Beweis, den Walter (S. 199—207) aus forgfältiger
Vergleichung der Gedanken, der befonderen, eigenartig
gefafsten Lehren, des fprachlichen Ausdruckes und der
Rückverweifungen der vorliegenden Schrift, befonders
mit Aeufserungen des Philoponos in der Schrift von der
Weltfchöpfung für die Abfaffung der erfteren durch Johannes
Philoponos erbringt, ift ein fo überzeugender und
zwingender, dafs eine gegentheilige Meinung — am we-
nigften eine durch die ganz vereinzelte Ueberlieferung
im Cod. Coisl. fo fchwach geftützte — überhaupt gar
nicht in Frage kommen kann. Was wollte Philoponos
mit diefer feiner Schrift? Der Ueberfchrift (pzi. zy
toeißxäiösxdry xyg osXi/vyg szgb üiäg xov vopixov miOfo.
to uvöxixov rov xvgiov yiyovE öeIjivov xcu cog ov rov
ctfivbv zözt fiEzä xcöv ficdhyxcöv icpcc/EV 0 XgiOxog) ent-
fprechend handelt er über die Frage, ob Chriftus das
gefetzliche Paffah oder ein myftifches gefeiert hat. Von
der Ueberzeugung aus. Chriftus habe am 13. des Monats
feinen Jüngern das Myfterium übergeben, bekämpft er die
Meinung derjenigen, welche ihn mit dem gefetzlichen
Paffahmahl ein myftifches haben verbinden laffen, d. h.
der fogenannten Quartodecimaner. Und fo zeigt er erftens,
Jefus habe nur bis zu der Zeit, wo er von Johannes
getauft wurde, den jüdifchen Brauch befolgt. Zweitens
behauptet er, Jefus habe am 13. Tage des erften
Monats das Abendmahl eingefetzt vor dem gefetzlichen
Paffah und Hellt es durchaus in Abrede, dafs dies irr-
thümlich oder abfichtlich am 15. Tage, wie einige
meinen, gefchehen fei. Drittens folgert er aus des Herren
Worten (Luc. 22,15): ,Mich hat herzlich verlanget, dies
Ofterlamm mit euch zu effen, ehe denn ich leide', er
habe nicht das alte, vom Gefetz vorgefchriebene, fondern
ein neues, myftifches Paffah feiern wollen. Hierauf
wendet er fich zur Löfung der Widerfprüche in den Angaben
der Evangeliften über den Tag des Herrenmahles.
Er befeitigt diefelben einmal fo, dafs er erklärt, die Worte
des Matthäus (26,17) und Marcus (14,12) zy crgcözy zcöv
dtvticov bedeuteten daffelbe wie zy ergo xcöv agvuqiy, und
fod'ann, dafs er durch viele Beifpiele zu beweilen fuchr,
die Stelle des Lucas (22,7): yX&ev 6h y yut^ga^cöv ä^v/icov
xXz. fei gleichbedeutend mit yyytgev 6h y weßa> xcöv
ctC,v(icov. JJdvxcov ovv. fagt er (S. 221), xcöv öoxovvxcov
avxin'uixiiv Xv&evxcov aXyihhöxaxov lösl/d-y XotJtov, bxi
fiy zb zvjtixbv xal voUfdW ^döya Iv xcö pyorixm öe'ütvco
fiezd xcöv iiad-yxmv tcpaysv 6 Xgioxog, xo zyg^jtcdaiäg
Xi-yco öia&rixyg, dXXct to lötov xcu dXijvivbv to xyg xcuvT^g
öia&yxrjg' > Jtäv yag jtaXaiovuEVOv xul yygüoxov tyyva
acpaviouov ■ zy xaivy xoivvv öict&yxy xägovßy öixcäog y

j jtaXcud vjieycögsi. Gewiffermafsen anhangsweife erklärt
Philoponos am Schluffe des Werkchens, wie aus einer
anderen feiner Schriften, fo könne man auch aus diefer
feiner Erörterung erfehen, dafs Mofes die Nacht mit dem
vorhergehenden, nicht mit dem folgenden Tage verbunden
habe. — Offenbar hätte es diefer theologifche
Inhalt der Schrift, welcher derfelben ein ganz beftimmtes
dogmengefchichtliches Gepräge verleiht und ihr eine
ganz beftimmte Stelle innerhalb der Entwickelung der
Kirchenlehre anweift, dem Herausgeber nahe legen follen,
die grofse Streitfrage der alten Kirche, welche die Schrift
berührt, wenigftens zu erwähnen. Selbftveriländlich meine
ich das nicht in dem Sinne, dafs er Anlafs nahm, die
ganze Frage der Pafchaftreitigkeiten etwa im Zufammen-
hange darzulegen, das verlangt niemand von einem Philologen
. Wohl aber durfte er auf die Stellen hinweifen,
aus denen für jeden an die Schrift Herantretenden weitere
fachliche Belehrung zum Verfländnifs derfelben zu fchöpfen
fei. Und da hätte, um nur eine der hier in Betracht kommenden
Schriften zu nennen, Schürer's Comntentatio hi-
stoxica ,De controversiis pasclialibus secuudo p. Chr. n.
saeculo exortisi {Lipsiae MDCCCLXIX) mit ihren reichen
Literaturangaben (S. 1—6) ihm in diefer Hinficht er-
wünfchte Auskunft geben können. Wenn ich endlich
hervorhebe, dafs dem Texte drei Indices fich anfchliefsen,
S. 223: Index locorutn scripturae sacrae, S. 224: Index
nominum und S. 225—229 ein ganz befonders genauer
und darum für fernere fprachliche und fachliche For-
fchungen werthvoller Iudex verborum, fo ift alles dasjenige
zur Sprache gebracht, was zur Kennzeichnung und
Empfehlung diefer in erfter Linie in denDienft der theolo-
gifchen Wiffenfchaft fich Hellenden philologifchen Leiftung
pflichtgemäfs gefagt werden mufs.

Wandsbeck. Johannes Dräfeke.

Geizer, H., Die Genesis der byzantinischen Themenverfassung.

(Abhandlungen der philologifch-hiftorifchen Claffe der
Königl. Sächfifchen Gefellfchaft der Wiffenfchaften.
XVIII. Bd. No. V.). Leipzig, B. G. Teubner, 1899.
(134 S. 4. Mit 1 Karte). M. 4.40

Diefe dem Theologen fcheinbar fehr fernliegende
Abhandlung verdient aus doppeltem Grunde hier Erwähnung
.

Zunächft ift die Kenntnifs der Civil- und Militair-
beamten-Hierarchie des Rhomäerreiches auch für den
Kirchenhiftoriker von Belang: nimmt doch die Geiftlich-
keit innerhalb der Hofranglifte von Byzanz einen nicht
unbedeutenden Platz ein. Und Geizer verlieht es in
feiner lebendigen, vielfach freilich zum Widerfpruch
reizenden Art, durch Pieranziehung analoger Verhältnifse
aus der Gegenwart dem Lefer jene Zuftände anfehaulich
zu machen; er hat auch die Mühe nicht gefcheut, zu
diefem Zwecke umfangreiche Tabellen und eine Ueber-
fichtskarte zufammenzuftellen. Der Grundgedanke der
Abhandlung, die Herleitung der Themenverfaffung aus
[ der Uebertragung der Civilverwaltung an die Militairchefs,
angebahnt im /.Jahrhundert, fyftematifch durchgeführt
durch Leon den Ifaurier, befchäftigt uns hier weniger.
Aber die hier zum erften Male unter Verwerthung der
von Schlumberger gefammelten Siegel und der durch
de Goeje zugänglich gemachten orientalifchen Quellen
geführte Unterfuchung ergiebt nebenbei manchen werthvollen
Einzelbeitrag zurGefchichte derPatriarchate,fowie des
für diePapftgefchichtefo wichtigenExarchates. Für die kirchliche
Geographie von Bedeutung ift der S. 65 ff. erbrachte
Beweis, dafs zwar officiell für die kirchlichen Sprengel die
alte konftantinifch-theodofianifcheProvincialeintheilung bis
auf Leon den Ifaurier fortbeftand, aber auf den Concilien
des 7. Jahrhunderts die Bifchöfe nach der damit durchaus
nicht immer übereinftimmenden neueren Provincial-
eintheilung unterfchrieben. Ueberhaupt wird die S. 72 ff.