Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1900 Nr. 3

Spalte:

90-91

Autor/Hrsg.:

Rade, Martin

Titel/Untertitel:

Religion und Moral. Streitsätze für Theologen 1900

Rezensent:

Lobstein, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1, Seite 2

Download Scan:

PDF

8g

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 3.

90

eewiffe Profse Verdienfte Rothe's anzuerkennen - die ' und Regel der religiöfen Gedankenbildung gebrauchen
Faffune des Wefens de Geiftes, die Betonung der Con- will' (S. 87-88). Mit vollem Rechte vertritt K. die unan-
gruenzgdes ££ und des religiöfen Lebens, die Ver- fechtbare Anficht, dafs der Wunderglaube eine Erkennt.
fheidnigun^ die Aufhellung j nifsweife Gottes ift die nicht caufal verrnktelt w.rd.

eines durchaus rationellen Begriffes der göttlichen All- Seme Darlegung leidet indeffen an manchen Unklarheiten,
macht _ die bReibend find trotz mangelhafter Durch- die z. Th. dadurch bedingt find dafs der Vf eine be-
führung 'Das wahrhaft Grofsartige in Rothe's Leiftung ! ftimmte Theorie des religiöfen Erkennens nicht zu befindet
er in dem Grundzuge feines Wefens, aus dem fitzen fcheint oder doch eine folche nicht confequent
Vollen zu fchöpfen und aus ganzem Holze zu fchnitzen; , handhabt. Im Uebrigen durfte von diefer Schrift gelten,
ferner darin, dafs Rothe die gefammte fyftematifche Theo- [ was Ref. fowohl rühmend als tadelnd in einer andern
logie, Dogmatik (allerdings nicht nach Rothe's Begriff) hier zweimal namhaft gemachten (S. 36.47) Unterfuchung
und Ethik in Einen Organismus zufammengewoben hat; end- zu bemerken Gelegenheit hatte (Theol Ltzt^92 Nr. 4).
lieh das frohe muthige Vertrauen auf die Siegeskraft der , Auch der erfte Abfchnitt des Buches (,Die Offenbarung'
religiöfen Mächte Der Verfaffer fchliefst feine Ausfüh- J S. 4—48) unterliegt manchen Bedenken; die drei Unter-
rungen mit einer" kurzen Charakteriftik von R ot he's abtheilungen Offenbarung in der Natur, in dem Gewiffen,
Perfönlichkeit. Auch wer nicht fein Schüler werden , in der heiligen Schrift, verlaufen wefentlich in der durch

Berlönlichkeit. .Auch wer nicht lein ücnuier werucn 1 ^ 1 fV'sc" ou!""' »u^u. n,1u,u,w ...
konnte im engeren Sinne hat ihm gegenüber wohl etwas J die Tradition fanctionirten Schablone und laffen die cen-
vom Gefühl des Jüngers gehabt; und Mancher von denen, trale Bedeutung der Perfönlichkeit, vor allem der Perfon
«u-a ~:_ ,„^m nPu/nrHen zu den Füfsen Chrifti, nicht zu ihrem Rechte kommen. Anerkennens-

werth ift die Belefenheit des Verfs., welcher übrigens auf

■vi., ^.mui uta g.nau. ,----------- _ —

welchen einft wie mir ,,innig wohl geworden zu den Füfsen
des lieben Mannes", wird, wann immer des Meifters Bild
in feine Erinnerung tritt, ftiller werden am inwendigen
Menfchen und Gott dafür danken, dafs er diefen Mann
hat kennen und lieben dürfen'.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Kessler, L, Über Offenbarung und Wunder. Göttingen,
Vandenhoeck&Ruprecht, 1899. (III, 94 S. gr.8.) M.2.40
.Wenn in unferen Tagen viele Chriften geneigt find,
den für die Gotteserkenntnifs der Schrift unverkennbar
hochbedeutfamen Begriff des religiöfen Wunders aufzugeben
und den der religiöfen Offenbarung, wenigftens fo
weit er mit dem Wunderbegriff zufammenhängt, ebenfalls
, dann ift dies ein Zeichen dafür, dafs Begriffe des
Welterkennens, welche für jene religiöfen Begriffe regulativ
find, eine ftarke Verfchiebung erfahren haben, und
dafs der Begriffsausgleich noch nicht gefunden ift. . . .
Die nachfolgende Studie über Offenbarung und Wunder
möchte in Bezug auf diefe beiden religiöfen Begriffe
einen Beitrag zu einem Begriffsausgleich liefern, wie er
von den durch Natur- und Gefchichtswiffenfchaft herbeigeführten
Veränderungen der Weltanfchauung gefordert
wird'. (S. 2.3.) Der Verf. hofft damit,Chriften einen Dienft
zu leiften, welche die Unhaltbarkeit des Standpunktes
fowohl der orthodoxen als der liberalen Theologie empfinden
'. ,Den gemeinfamen Irrthum beider Richtung'
fieht K. darin, dafs ,man die Gefchichtlichkeit der bibli-
fchen Offenbarung identificirt mit dem erft durch die
wiffenfehaftliche Gefchichtsforfchung herausgeftellten Begriff
einer Gefchichtlichkeit, die ein auf Grund allgemeiner
Naturgefetzmäfsigkeit und ihres Entwickelungs-
prineips reconftruirtes Bild der Vergangenheit von durchgängiger
Begreiflichkeit ergiebt'. (S. 85.) Der Grundgedanke
diefer Schrift trifft, nach des Verfs. ausdrücklicher
Erklärung, mit den ,paradoxen' Aeufserungen Herrmann's
(Chr. Welt 1898, Nr. 38) zufammen, welchen hier wohl
eine weitere Begründung gegeben werden foll: ,Es ift
ganz richtig, dafs wir jedes in der Welt nachweisbare
Ereignifs nothwendig auf das gefetzmäfsige Ergebnifs
feiner fich ins Grenzenlofe ausbreitenden Umgebung an-
fehen müffen. Es ift alfo widerfinnig, mit dem katholi-
fchen Chriftenthum und der alten Apologetik, den Nachweis
der Wirklichkeit von Wundern verfuchen zu wollen. Trotzdem
glauben wir an Wunder, wenn wir überhaupt an
den lebendigen, von der Welt unterfchiedenen Gott
glauben. Wenn wir diefe beiden Erkenntnifse nebeneinander
fefthalten, fo kommen wir, wie mir fcheint, zu
einem viel fchärfer ausgeprägten Dualismus, als ihn das
katholifche Denken jemals erreicht hat. Darin wird Jeder,
der das Jenfeits der Religion kennt, einen Fortfehritt zu
grofser Klarheit finden. Baumgarten dagegen (Chr. Welt
1898, Nr. 34) dient dem alten Chaos, wenn er auch hier

--- —~~*V. ....... V.1 W . —. »..,, --" -fc,---- ---

irgendwelche Vollftändigkeit der Literaturangaben keinerlei
Anfpruch macht. Zu bedauern ift, dafs ihm fowohl
die Schrift von Menegoz über den biblifchen Wunderbegriff
(1894), als auch die fruchtbare durch diefelbe
hervorgerufene Controverfe unbekannt geblieben ift.

Strafsburg i/E. P. Lobftein.

Rade, Pfr. D. Martin, Religion und Moral. Streitfätze für
Theologen. (Vorträge der theologifchen Conferenz
zu Giefsen. XIII. Folge.) Giefsen, J. Ricker, 1898.
(27 S. gr. 8.) Mk. —.60

Der in fechsThefen zufammengefafste Vortrag Rade's
ift erft geraume Zeit nachdem er in Giefsen (am 17. Juni
1897) gehalten worden war, im Druck erfchienen. Die
Thefen lauten wie folgt: ,1) Die deutfeh - evangelifche
Theologie unferer Tage vernachläffigt die ethifchen Probleme
. — 2) Die Ethik, auch die evangelifch-theologifche
hat vielfach den Zug gehabt, das Beftehende zu fanetio-
niren, und damit dem Ernft des chriftlichen Sittengefetzes
Abbruch gethan. - 3) Die Moral der Bergpredigt ift
durchführbar. — 4) Religion und Moral find felbftändige
Grofsen, die ebenfo getrennt wie vereint vorkommen —
5) Das Wefen des Chriftenthums ift die Identität von
Religion und Moral. - 6) Wer diefen Standpunkt als
,Moral,smus' verdächtigt, befchuldigt auch Chriftus des
Morahsmus.' Wir müffen dem Verf. aufrichtig dafür danken
, dafs er feine Ausführungen dem theologifchen Publicum
nicht vorenthalten hat. Wohl feiten ift das mul-
tutn m parvo glänzender verwirklicht worden. Nach den
yerfchiedenften Seiten gehen von diefem Vortrag die
fordernden Anregungen aus, fie find fowohl principieller
als praktifch - technifcher Art. Am unmittelbaren wird
vielleicht der ,in beneidenswerther focialer Unabhängiger
u u'ne Ethik dozirende Profeffor' durch die bitteren
Wahrheiten getroffen, welche der zugleich aus der lebendigen
Praxis und Erfahrung redende und die Einzelfragen
in das Licht der evangelifchen Grundfätze hellende Verfaller
mit rückfichtslofer Offenheit und Schärfe ausfpricht
Man lefe z. B. was R. von der reformatorifchen Werth-
Ichatzung des Berufs, und von den Conflicten, in welche
dieies Lehrftuck der herkömmlichen Ethik den Beobachter
der locialen Zuftände der Gegenwart treibt, bei der Behandlung
der zweiten Thefe fagt. ,Sieht man denn nicht,
oder will man nicht fehen, dafs eine Menge Lebens-
ftellungen überhaupt nicht mehr die Möglichkeit bieten
fich irgendwie im Dienfte chriftlicher Forderungen zü
wiffen und mit den Mitteln chriftlicher Rechtfchaffen-
ael^ZU Urbeiten?< (S'9)- v°n hervorragendem Intereffe
c ■* uBeSründung der 3. Thefe, welche R. nach zwei
-eiten hin vertritt gegen ,die Hiftorifch-Kritifchen, welche
den vviffenfehaftlich unanfechtbaren Grundfatz als Mafs | der Ethik der Bergpredigt nur eine Geltung für' die be-