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Ausgabe:

1900 Nr. 3

Spalte:

88-89

Autor/Hrsg.:

Spörri, Hermann

Titel/Untertitel:

Zur Erinnerung an Richard Rothe 1900

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 3.

88

durchaus beherrfchende Stellung Zwingiis, der ,als der
Bifchof des ganzen Vaterlands und das Auge des Herrn'
(S. 88) nicht nur gilt, fondern auch auftritt, aber zugleich
Zürich zum Mittelpunkt der fchweizerifchen Kirche macht
und nicht ruht, bis die ganze Oftfchweiz der Kirche von
Zürich ,gleichförmig' gemacht ift, wobei auch der weltliche
Arm mit helfen mufs, wie z. B. gegen den wackern Jörg
von Watt. Man kann nicht fagen, dafs die lutherifche
Abendmahlslehre hervorragende Vertreter in der Schweiz
gegenüber von Zwingli gehabt hätte. Der bedeutendfte
ift Bened. Burgauer, der, wie hier beigefügt fei, bis 1545
in Tuttlingen war (Keim, Blarer S. 108), dann nach Isny
kam, wo er die Interimszeit erlebte. (Vgl. des Ref. Interim
in Württemberg S. 52, 62, 115.) Auch Alexius Bertfeh
fand eine Unterkunft in Württemberg. Er ftarb 1561 als
Pfarrer in Sulz am Neckar. Sehr intereffant ift der Nachweis
, wie früh Zwingli für die Anhänger des neuen Glaubens
das Bedürfnifs gemeinfamer Berathung empfand, wie
er fchon die Zürcher Disputationen den Synoden vergleichen
konnte und der Berner Propft Nicol. v. Watten-
vvyl 1523 an ein Concilium Helvetiorutn dachte. Vielleicht
das Merkwürdigfte ift, dafs die Synoden unter Zwingiis
Leitung ein Mittel für die Obrigkeiten wurden, die Kirchen
ihres Gebiets ftramm zufammenzufaffen, den geiftlichen
Stand durch nachdrücklicheCenfur aus der Verlotterung der
alten Kircheherauszuheben, die Unterfchiede der einzelnen
Landeskirchen auszugleichen, und eine einheitliche Leitung
in den evangelifchen ,Burgertagen' und in der von
Bafel vorgefchlagenen gegenfeitigen ,Befuchung der Synoden
' durch Rathsboten und Prädicanten anzuftreben. Mit
der innigften Theilnahme verfolgt der Lefer den Kampf
Zwingiis gegen den St. Galler Prediger Dom. Zili wegen
des Kirchenbanns. Es handelt fich um nichts Geringeres,
als den Kampf der Staatskirche und der Freikirche. Man
kann Zwingiis Standpunkt aus feiner Zeit heraus, befon-
ders im Gegenfatz zu den Täufern, denen der Bann als
Kleinod ihrer Gemeinfchaft galt, verliehen und begreifen,
wie er dazu kam, ein kirchliches Zuchtmittel preiszugeben
und den Bann der weltlichen Obrigkeit als vornehmftem
Mitglied der Kirche zu überweifen (S. 115), fo dafs alfo
Zwingli fich im Wefentlichen auf denfelben Standpunkt
ftellte, wie die lutherifche Kirche mit ihren ,Nothbifchöfen';
ja man wird geradezu überrafcht durch die Aehnlichkeit
des von Egli gefchilderten Kampfes mit dem von Brenz
gegen Kafp. Lyfer und Jak. Andreä (Allg. luth. Kirchenzeitung
1899, 831. Hartmann und Jäger, Brenz 2, 285 ff.)
Kräftiger kann die Staatskirche ihre Macht nicht wohl
geltend machen als in dem von dem muthigen Zili aufs
äufserfte bekämpften Synodaleid, der die Pfarrer eidlich
zum Gehorfam gegen die Mehrheitsbefchlüffe der
von einer ftaatskirchlichen Commiflion geleiteten Synode
verpflichten follte. Die St. Galler Documente bilden für
die Abhandlungen über die Synoden und den Kirchenbann
ein werthvolles Beweismaterial. Den Schlufs bildet
die Rechtfertigungsfchrift des Zürcher Oberbefehlshabers
bei Kappel. Der ganze Band bietet des Neuen viel. Zugleich
Pellt Egli eine Fortfetzung der Zwingliurkunden,
eine Vita Biblianders und Arbeiten für die Zeit Bullingers
in Ausficht, lauter Dinge, die man nur lebhaft willkommen
heifsen kann.

Nabern. G. Boffert.

Lutherdenkmal. Volksthümliche Schriften aus der Ge-
fchichte des evangelifchen Deutfchlands, hrsg. von Pfr.
D. G. Buchwald und Stadtfchulinfp. Dr. Fritz Jonas.
I. Jahrg. 1899. 2 Hefte. Leipzig, B .Richter. (8.) M. i._

I. D. Martin Luthers deutfehe Briefe, ausgewählt und erläutert
von D. Georg Buchwald. (IX , 223 S.) Einzelpreis M. 1.50;
geb. M. 2.— 2. Buchwald, D.Georg, Philipp Melanchthon. Eine
Schilderung feines Lebens und Wirkens. (94 S.)

Die Abficht, welche dem ,Lutherdenkmal' zu Grunde
liegt, verdient auch in der ThLZ Anerkennung. Denn

es will unfer Volk ,zu den Quellen neuen Lebens in den
Tagen der Reformation' führen. Dabei wird mit vollem
Rechte die wiffenfehaftliche Grundlage, welche eine folche
j Sammlung haben mufs, betont. Zunächft bietet Buchwald
91 deutfehe Briefe Luthers. Im Ganzen ifl die
Auswahl eine glückliche; einzelne Briefe, wie z. B. der
an Friedrich den Weifen S. 104 wären entbehrlich, ganz
befonders wenn die reducirten Briefe ungekürzt ge-
[ blieben wären. Nach dem Vorwort foll Luthers Sprache
in ihrer Eigenart beibehalten werden, aber fie ift doch
I mannigfach modernifirt. S. 115 und 116 ift thurft, thüren
1 befeitigt, S. 106 das Adjectiv thürftig beibehalten. In
den Erläuterungen fleckt viel Fleifs. Aber immer noch
finden fich dunkle Stellen trotz der Vorarbeiten von
j Enders und der Braunfchweiger L.A. Band 8. S. 25 Z. 3 v. u.
j fagt Luther, Eck laffe fich dünken, es folle ihm fürträg-
lich fein, wenn er Dr. Luther im Heerfchild führe.
Ecks Ehrgeiz ging aber nicht, wie Buchwald meint,
darauf, als Bekämpfer Luthers dazuftehen, fondern als
Sieger und Triumphator, der gleichfam Luthers Bild im
Wappenfchild führt. Der lat. Urtext fagt: duceret in
triumphen S. 37 Z. 9 ,Es müffen die Juden einmal fingen
Jo Jo Jo' bezieht fich nicht, wie B. und die Br. L.A. 8, 358
meinen, auf die Freude der Juden über Chrifti Tod am
| Karfreitag. Luther denkt zugleich an Jefu Wiederer-
fcheinen am Ofterfeft wie am jüngften Tage, wo die Juden
ihm ihr evXoyrjfiivoq zurufen, wie die alten Römer dem
Bacchus ihr Jo, Jo. S. 61 Z. 21 hat Buchwald den alter-
thümlichen Ausdruck ,thät' überfehen; die Br. L.A. 8, 363
I giebt den Sinn richtig wieder. S. 106 Z. 11 lieft B. mit
1 Enders 5, 151 rettlich = redlich ftatt gettlich, aber diefes
altfränkifche Wort pafst gut in den Zufammenhang.
Luther mochte es von feiner Mutter überkommen haben.
! Der Franke fagt ftatt: es pafst mir nicht, es ift mir nicht
gättlich. Aehnlich braucht er Gattung = Ordnung
I machen, zufammengattigen. Luther wünfeht für Heyden-
| reich eine paffende Befchäftigung, die ihn nähre. — Nr. 2
| ift eine Titelausgabe von Buchwaid's hübfeher Jubiläums-
I fchrift von 1897; nur die auf das Melanchthonjubiläum
bezügliche Einleitung ift gekürzt. Einzelnes dürfte etwas
fchärfer hervorgehoben fein. Z. B. ift Buchwald über
den heffifchen Ehehandel doch wohl allzu kurz und
j ängftlich hinweggegangen. Die tiefe Reue und der
1 fchwere Kummer über den dem Landgrafen ertheilten
| Gewiffensrath ergreifen das Volksgemüth und fprechen
[ ftark zu Gunften Melanchthons. Für eine Volksfchrift
hätte auch der Kampf des ,Raben und der Nachtigall,'
wie ein Zeitgenoffe die Disputation der beiden Generalredner
in Worms, des weinfüchtigen Schreiers Eck und
des feinen, nüchternen Melanchthon nannte, ein pla-
ftifches Bild geboten. Vgl. Württb. Kirchengefchichte
(Stuttg. u. Calw 1893) S. 361.

Nabern. G. Boffert.

Spörri, ehem. Hauptpaft. Dr. Hermann, Zur Erinnerung
an Richard Rothe. Hamburg, H. Seippel, 1899, (56 S.
gr. 8.) M. 1.-

Diefe Schrift ift ein Abdruck der Ausführungen, die
der Verfaffer 1867 und 1868 in mehreren Nummern
der ,Zeitftimmen aus der reformirten Kirche der Schweiz'
veröffentlicht hat. Als älterer Theologieftudirender, der
,dauernde Anregungen fchon von anderer Seite empfangen
hatte', lernte er Rothe in deffen letzten Lebens-

! jähren kennen, indem er von vornherein eine kritifche,
nach beftimmten mitgebrachten Mafsftäben operirende
Stellung zu allem einnahm, was ihm in Rothe entgegentrat
. So giebt er einen kritifchen Bericht über Rothes
fpeculative Methode und den Inhalt der Theologifchen

I Ethik, des Syftems. Auch neben der grofsen Arbeit H.
J. Holtzmann's foll die Schrift Spörri's willkommen fein.

j Allerdings findet weder die Methode noch das Syftem

; Rothe's felbfl feinen Beifall; allein das hindert ihn nicht,