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Ausgabe:

1900 Nr. 3

Spalte:

81-82

Autor/Hrsg.:

Comba, Em.

Titel/Untertitel:

Histoire des Vaudois 1900

Rezensent:

Mueller, Karl

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 3. 82

Comba, Em., Histoire des Vaudois. Nouvelle edition com-
plete avec cartes geographiques et gravures. Intro-
duction. Florence, Librairie Claudienne, 1898. (XVI,
208 S. 8.)

Emilio Combas Name ift mit der Anfchauung der
Waldenferkirchen von ihrem eigenen Urfprung eng verknüpft
. Er hat ein ganz fpecielles Verdienft daxan,
wenn f,e fich gewandelt hat. Als feine erfte Schrift Aus N.kol. Paulus Arbeiten zur Reformations-

1880 mit der Legende rückhaltlos brach, fchneb, , gefchichte kann man ftets lernen. Denn uberall verbindet
er mit guter Methode eine reiche Quellenkennt-
nifs und umfaffende Belefenheit. Ueberdies gehört er,
wie bekannt, nicht zu den Heifsfpornen und Polterern
des Ultramontanismus, fondern ift befonnen und von

darum hätte es aber vielleicht der Klarheit gedient, wenn
der Abfchnitt erft da eingefügt worden wäre, von wo
an das Waldenferthum auf die Thäler eingefchränkt ift.

Breslau. Karl Müller.

Paulus, Dr. Nikolaus, Johann Tetzel der Ablassprediger.

Mainz, F. Kirchheim, 1899. (VIII, 187 S. gr. 8.) M. 2.50

wie er jetzt S. 84 mittheilt, ein Anonymus: die
Schäferjungen fammeln die Kiefel im Wildbach und
rüften ihre Schleuder, um das Israel der Alpen zu
vertheidigen, das in feinen Urfprüngen angegriffen werde.
Man bezeichnete ihn als Pathen der deutfehen Kritik und , kluger Mafsigung. Um fo grofseren Eindruck wird die
bemerkte, wenn diefe Kritik es gewagt habe, die Gott- vorliegende Ehrenrettung Tetzeis machen, und es würde
heit Chrift'i zu leugnen, könne man fich nicht wundei n, mich nicht wundern, wenn auch proteftantifche ,Kritiker*
dafs fie fich auch an'den Urfprüngen der Waldenfer- | ihm im Ganzen Recht geben follten, ja, vielleicht mit
kirche vergreife. Seither ift 20 Jahre lang der theolo- ! diefem oder jenem Vorbehalt in betreff einer Einzelheit,
gifche Nachwuchs der Waldenfer durch feine Hände ge- ! das Urtheil der ,Hiftorifch-politifchen Blätter' untergangen
und fo ift wohl anzunehmen, dafs man in ihren I fchreiben würden: Tetzel's Charakterbild werde ,fortan
mafsgebenden Kreifen jetzt anders denkt. in der Gefchichte nicht mehr fchwanken'.

Unfere deutfehe Forfchung wird damit freilich nicht j P. fetzt in diefer Schrift, deren erfte Grundlage er
in allen Punkten gebilligt. Comba vermifst in ihr den i bereits 1895 in einem Auffatze des ,Historifchen Jahrbuches'
intelletto d'amore. Die Mufe werde durch das fahle Licht j der Görres-Gefellfchaft (XVI, 37—69) veröffentlicht hat,
des todten Mondes (lune morte) erfetzt, die man heute als Retter Tetzel's nur ein Beftreben fort, das fich fchon
unter dem Namen der transfeendenten Kritik anbete, feit längerer Zeit in der katholifchen Gefchichtfchreibung
Er meint, man beurtheile bei uns die Waldenfergelehrten bemerklich macht: um von feinem Vorgänger, dem kritik-
von oben herab, und citirt dafür als Beweis einen Satz lofen Grone, abzufehen, haben fich auch Kirchenhiftoriker
von Herzog ausRE1, die Waldenfer feien natürlich nicht ; wie Hefele, Hergenröther und Franz Xaver Funk zu
im Stande, der Forfchung zu folgen (war denn das Gunften Tetzeis ausgefprochen. Aber erft P. hat, was
damals anders?), und einen andern von mir, wonach diefe Männer wollten, durch ein gründliches Quellen-
Quellen und Literatur der Waldenfergefchichte ihnen nicht ftudium und gefchickte Verwerthung der Ergebnifse desleicht
zugänglich feien. Ich weifs nicht, in welcher revue felben erreicht. Ein oder der andere ungefchichtliche
de Leipzig ich das getagt haben foll. Ich erinnere mich Zug, mit dem confeffionelle Abneigung (zumal in volks-
nur, an einem anderen Orte gefagt zu haben, dafs man in . thümlichen Darftellungen) noch immer den ,grofsen Cla-
Italien grofse Mühe habe, die Quellen und Literatur j manten' ausftattete, darf als endgültig befeitigt gelten,
nicht-italienifchen Urfprunges zufammen zu bekommen; i Immer freilich wird der Tetzel der Gefchichte etwas
um fo anerkennenswerther fei (dies war nach meiner Er- : anders ausfehen, als wie ihn der moderne Katholicismus
innerung der Zufammenhang) die grofse Sorgfalt, mit der fich wünfeht. Sonft könnten wir Evangelifchen uns das
Comba fie benutzt habe. Ich kann darin keine Unfreund- | von P. entworfene Bild fehr wohl gefallen laffen wie
lichkeit gegen die Waldenfer finden, bin aber auch der alles, was gefchichtlich feftfteht. Wir können uns ohne
Meinung, dafs uns die Liebe zu ihrer Sache noch nie | weiteres Luthers Ausruf von 1518 aneignen, in welchen
gefehlt habe. er in betreff der praecones veniarum ausbricht: ,Excuscnt

Comba hat im Jahre 1887 den erften Band einer ! sese ultra nivem candidius: mea causa licebit1. Und was
Histoire des Vaudois d'/talie gefchrieben, der bis zur j Tetzel's perfönlichen Charakter und fein öffentliches wie
Reformation reicht. Jetzt veröffentlicht er den erften privates Leben anbelangt, fo wird jeder die Wahrheit
Band einer neuen Bearbeitung, die die Grundlage für buchende evangelifche Forfcher fich gern von jener hoch-
die Waldenfergefchichte legen foll. Er befchreibt zunächft herzigen Stimmung Luthers ergreifen laffen, in welcher
den Schauplatz desjenigen Ausfchnittes aus ihr, der fich 1 er (Februar 1519) einem Freunde gegenüber' feinem Bein
den Waldenferthälern der kottifchen Alpen abfpielt, dauern über die Nothlage Tetzeis Ausdruck giebt, in die
und giebt dazu eine Anzahl Abbildungen fowie eine : er durch das fchonungslofe Vorgehen des päpftlichen
Karte des ganzen Gebiets, die für die Ereignifse des | Nuntius Miltitz verfetzt war: Doleo Tetzclium et salutem
16.—18. Jhs., namentlich die glorieuse rentree beftimmt suavi in eam necessitatem venisse et sua revelari.. . Sita
ift. Er befpricht fodann die älteren Legenden vom Ur- j ignominia nil mihi aecreseit, sicut nihil decrevit mihi sua
fprung der Waldenfer und geht im 3. Capitel auf die gloria. Es wird fich überhaupt, hoffe ich, bei uns all-
Gefchichte derUrfprünge ein. Er befpricht die Entftehung 1 mählich die Einficht durchkämpfen, dafs in der Streit-
der Diöcefen Embrun und Turin, leider ohne Kenntnifs : frage, von welcher die Reformation ihren Auseane

von Duchefnes fastes episcopaux de Vancienne Gaule, die
Nachbarfchaft der arianifchen Barbaren, den katholifchen
Proteft (Petrus Damiani, h. Bernhard, Arnold, Ago

genommen hat, es fich nicht fowohl um die Ausfchrei-
tungen einzelner Perfonen handelte, als vielmehr um
ein grofses, Jahrhunderte altes und in fich gefertigtes

c-ara von Lyon, Claudius von Turin), den katharifchen . Inftitut der mittelalterlichen Kirche, welches auf das
rrotelt und die Volksprediger Peter von Bruys und Tieffte in das religiöfe Leben des Volkes eingriff.
. emncn den Kluniazenfer. Diefe Ahnenr/allerie hat Schon Hefele hat CtSc/i i n einer An7eicre von Ci

—liazenfer. Diefe Ahnengallerie hat
lreihch mit dem Urfprunge des Waldenferthums in fehr
ungleichem Maafs und mit den Thälern üherhaupt nichts
zu thun. Man darf in ihr aber wohl den letzten Reft
der früheren Anfchauung von der Gefchichte der Wal-

Schon Hefele hat (1854 in einer Anzeige von Gröne's
letzel) darüber geklagt, dafs es gewöhnlich geworden
fei, ,Tetzein als einen grofsen Ignoranten und unver-
fchämten Marktfchreier zu fchildern, der die Ablafslehre
abfeheulich entftellt, den dickften Aberglauben gepredigt,

denfer vor Waldes fehen. Dagegen ift die Voranftellung ein anftöfsiges Leben geführt und grofse Schuld auf fich
der Geographie der Waldenferthäler natürlich nicht fo ■ geladen habe.'

zu deuten, als ob hier die Wiege der Bewegung geftanden Hiernach mufste es für P., auch wenn er nicht enthätte
: diefe Bewegung findet hier nur ihre letzte rettende ; fernt darauf ausging, ein Heiligenbild zu liefern (f. S. 165 f.),
fnfel, nachdem fie fonft überall vernichtet ift. Eben auf ein doppeltes ankommen: 1) die Vorwürfe der Un-