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Ausgabe:

1900 Nr. 2

Spalte:

56-59

Autor/Hrsg.:

Schoeler, Heinrich von

Titel/Untertitel:

Kritik der wissenschaftlichen Erkenntnis 1900

Rezensent:

Ritschl, Otto

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 2.

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durch das Gefetz des Opfers. Das Naturgefetz ift der j auf feine in diefer Zeitfchrift 1895, Nr. 15, enthaltene Rematte
undblinde Wiederfchein des Sittengefetzesim Reiche cenfion zu verweifen.)

des Unbewufsten, das Sittengefetz die klare Erhebung von | Die meiften diefer Betrachtungen find in der ,Chrift-

Regeln für den Beftand aller Natur ins Bewufste. Opfern
erhält, denn es bildet den Regulator des Eigenwillens im
Intereffe der Gefammtheit'. (S. 17). — ,Wir wollen froh
fein, wenn wir vom Standpunkte unferes Glaubens aus
ein einheitliches theoretifcb.es Verftändnifs der Natur-
und Geisteswelt erlangen, wenn wir beide Welten um-
fpannen können mit einem Kreis, den die Phantafie mit
dem Radius der Aufopferung um unfer perfönliches Leben
herumfchlägt. Aber jetzt bedroht uns die fchwerfte
Frage: Sollen wir den Zirkel einfetzen in der Natur oder
in unterem Geiftesleben?' (S. 18). Die Antwort auf diefe
Frage kann nicht aus theoretischen Erwägungen und lo-
gifchen Schlürfen gegeben werden: ,es entfcheiden hier
die Ideale und Wünfche der ganzen Perfon. Ift Einem
die Welt des heiligen Geiftes als Wirklichkeit und Wahrheit
aufgegangen, dann ordnet er die Natur dem Geifte unter
. Sicherheit darüber, dais diefes Glaubensleben auf Wahrheit
beruht, gewinnen wir ... ftets durch einen innerlichen
Act der Seele, die im Vertrauen auf irgend eine Autorität
fich für das Gut und das Ideal des Himmelreichs ent-
fcheidet, wie es in Chriftus erfchienen ift, und in diefer
Entfcheidung die Befriedigung ihrer tiefften Bedürfnifse
findet'. Das ift ,der Weg der That', den der Verf. im
dritten Cap. feiner Schrift fchildert (S. 17—24). — Damit
hat N. bereits den Boden des Glaubens betreten. ,Der
Glaube', — fo lautet die Ueberfchrift des letzten Stückes
(S. 25—32). ,Es finden die beiden Gebiete ihre Einheit
in dem Glauben an den heiligen allmächtigen Gott, der
die Welt auf Chriftum hin gefchaffen hat und fie auf die
Verherrlichung feines Namens und die Herrfchaft feines
Geiftes hinlenkt. In diefem Chriftus hat Gott feine ganze
Meinung gefagt und fein Herz der Welt offenbart. In
diefer Erfcheinung der Gefchichte ift das Ziel der Welt
gegeben'. Die Erörterungen über das Wefen des Glaubens
gehören zu den feinften und gelungenften Ausführuugen
der Schrift. Eine gewiffe Incongruenz, die allerdings vielleicht
mehr der Formulirung als dem Gedanken felbft zur
Laft gelegt werden mufs, fcheint in Folgendem enthalten
zu fein: ,Nachdem wir foviel über den Glauben nachgedacht
und ihn zergliedert haben wie ein Object aufser uns,
ift es gar fchwer, ihn wieder in uns felbft zu erzeugen
. . . Die einzige Macht, die diefes fertig bringen
kann, aus dem Wiffen ein Glauben zu machen, das ift

liehen Welt' erfchienen, wo fie allerdings nicht von allen
Lefern mit unbefchränkter Anerkennung aufgenommen
worden find. Dasfelbe wird natürlich auch von diefem
Büchlein gelten. Ja, vielleicht ift gerade die Zufammen-
ftellung diefer ftets originellen, theilweife aber paradoxen
und gefuchten Stücke der Wirkung derfelben nicht gün-
ftig. Diefe Fragmente laffen zwar einen inneren Zufammen-
hang erkennen, fo gehören z. B. die Stücke 5—7, 8—11,
17—18 zufammen: immerhin dürfte es rathfam fein, die
hier gebotene Speife in kleinen Dofen zu geniefsen, fonft
könnte fich leicht Ueberdrufs und Ermüdung einftellen.
Die immer pointirte, abfichtlich überrafchende und verblüffende
Art des Verf. würde auf die Länge mehr ab-
ftofsen als anziehen und anregen. In den meiften Fällen
wird es leicht fein, durch Abftreifen der pikanten Form,
einen glücklichen Gedanken zu gewinnen, der aber zuweilen
durch den manirirten Ausdruck etwas von feiner
Kraft eingebüfst hat. ,Weifst du nicht, dafs Chriftus ein
Meifter gewefen ift, in der Kunft fich imponiren zu laffen?
Ich fage dir, er befafs eine ungemeine Fähigkeit dazu.
Es wird uns oft erzählt, dafs er verwundert war, aber diefe
Fähigkeit entwickelte fich in ihm. Sie hat eine Gefchichte.
Höre die Gefchichte der Fähigkeit Jefu , fich verblüffen
zu laffen, denn fie ift lehrreich. . . Lafs dir imponiren, das
ift das oberfte Gebot; aber lafs dir imponiren durch Wirklichkeiten
, nicht durch Schein. Kürzer ausgedrückt heifst
es: ,Glaube'. (100—103). Selbftverftändlich ift der Verf.
von jeder Zunfttheologie weit entfernt; aber trotz feiner
Abneigung gegen alles was nach Schule fchmeckt, ver-
räth er hin und wieder einen beftimmten dogmatifchen
Standpunkt. Man vergleiche S. I26f. die treffenden Ausführungen
über das Wunder. Auch dogmenhiftorifche
Apergus fehlen nicht, S. 79 f. Doch wer mit theologifchen
Erwartungen an das Buch herantreten wollte, würde ent-
täufchtdavon gehen (vgl.dasgeiftvolleStück30, S. 166 -6S).
Bonus bringt anderes, oft Befferes: ,in unferer Seele muls ein
Gefang anbrechen, mufs ein Gefang fein, ein Gefang der un-
ausgefprochenften heimlichften Sehnfucht, des wortlofeften
stillften, feierlichften Hängens an Gott und der ewigen Wahrheit
, dafs alles, was wie ein häfslichesSchwatzen in der Kirche
unferer Seele Heiligthum ftören will, alle Schuld und alles
Unvollkommene verklingt und fich zertheilt, während aus
tieffter Seele die ewige Sehnfucht, der ewige Gottesgeift

der heilige Geift, wie er in der Berührung mit Gläu- | durch unfer Leben braufl' (155—156). Diefen unausge-
bigen in Wort und Schrift, wie er in der unmittelbaren j fprochenen Tönen laufcht der Dichter mit befonderer VorBerührung
mit Gott im Gebet empfangen wird' (29—30). liebe, und er verlieht es auch im Lefer wahlverwandte,
Treffend ift der Nachweis, der aus der Gefammt- ] gleichgeftimmte Saiten zu berühren. Es ift nur Schade,

darftellung des Verf. fich ergiebt, dafs ,es eine praktifche
Erkenntnifs ift: Gott in Chriftus, eine Erkenntnifs, die fich
erft in einem Leben voll innerlicher Arbeit ganz vollendet'

dafs die Furcht vor den Pedanten und Philiftern (S. 141 f.)
den geiftreichen Verfaffer mitunter fo fehr beherrscht,
dafs der Sinn für das Natürliche, Einfache, gefchädigt wird

Dagegen dürfte der Verfuch, fich vor dem Untergehen in I und die fprudelnde Phantafie in Symbolfucht und Effect
der Skepfis durch Berufung auf die Autorität der Schrift ! hafcherei auszuarten droht: der llille Glanz des reinen
zu bewahren, eher verwirrend und beängftigend, als autklär- | stetigen Lichtes ift wohlthuender und hat tiefere und
end und erbauend wirken. Hier verfährt N. nur andeutend, j nachhaltigere Wirkungen als der unruhige Wechfel geheim-
aber diefe Andeutungen (S. 31) find im betten Falle mifs- nisvollen Helldunkels und plötzlichen Brillantfeuers,
verftändlich und hätten einer viel eingehenderen Erklärung j Strafsburg i E. P. Lobftein.

und Begründung bedurft. — Immerhin fei die geiftvolle
und zum Nachdenken anregende Schrift auch anderen als
nur den Lefern der ,Chriftlichen Welt' beftens empfohlen.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Schoeler, Dr. Heinrich von, Kritik der wissenschaftlichen

Erkenntnis. Eine vorurteilsfreie Weltanfchauung. Leipzig
, W. Engelmann, 1898. (VIII, 667 S. gr. 8) M. 12.—;

geb. M. 15 —

,Mit unerfchrockener und unbeftechlicher Kritik find
in dem vorliegenden Werke — das recht eigentlich der
erbrachte empirifche Beweis für die Wahrheit der Kant'-

Bonus, Arthur, Zwischen den Zeilen. 2. Band. Noch etwas
für befinnliche Leute. Heilbronn, E. Salzer, 1898.
(IV, 171 S. 8.) M. 2.—; geb. M. 3.—

Die einunddreifsig Stücke, die der Verf. hier bietet und j fchen Vernunftlehre ift — die Grenzen des Erkennens

die der Verleger in hübfeher Ausftattung herausgegeben ! und dieUnzulänglichkeiten derWiffenfchaft überall mittelft

hat, bilden zu dem 1895 erfchienenen Bändchen eine will- j einer eindringenden Analyfe der bisher erreichten Re-

kommene Fortfetzung und Ergänzung. (Ref. erlaubt fich, 1 fultate der Forfchung aufgedeckt und bis in die letzten