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Ausgabe:

1900 Nr. 26

Spalte:

720-721

Autor/Hrsg.:

Hollweck, Joseph

Titel/Untertitel:

Das Civilrecht des Bürgerlichen Gesetzbuches 1900

Rezensent:

Frantz, Adolf

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7'9

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 26.

720

Kirche neben der high church und low ckurch auch eine
liberale Partei ihren Platz finden könne, aber diefer Com-
promifsftandpunkt habe fich auf die Dauer als unhaltbar
erwiefen. Durch die Fortfehritte der Naturwiffenfchaft
fei es nicht nur ihm felbft unmöglich geworden, an
Wunder zu glauben, fondern es fei auch nothwendig geworden
, über diefe Frage ganz offen zu fprechen, damit
fich nicht die Maffen der Religion vollends entfremden.
Die Freiheit dazu auf dem Boden der Kirche beanfpruchen,
heifse, fich felbft, den Gemeinden und der Kirche zu viel
zumuthen. Und auch die politifche Geftalt der ftaatlichen
Kirche und ihre ariftokratifche Ausfchliefslichkeit vermöge
er nicht mehr zu billigen. — In derfelben Predigt fafst
Brooke die religiöfen Grundüberzeugungen, die er felbft
als Diffenterprediger vertreten werde, dahin zufammen:
,Ich werde reden von Gott in der Natur, im Menfchen,
in der Gefchichte, werde Zeugnifs ablegen von dem Gott,
der die Menfchheit erfüllt und leitet und fie einem hohen,
einem herrlichen Endziel zuführt. Ich werde davon reden,
wie Gott fich täglich den Menfchen offenbart, täglich
feinen Geift auf alle ausgiefst, wie er fich uns in Jefus
Chriftus offenbart und durch deffen Leben den Menfchen
den Weg gewiefen hat, auf dem fie gehen follen, und von
der Kraft der Liebe, welche durch folch ein Leben in
uns mächtig wird. Von der Verföhnung Gottes mit den
Menfchen, die Nachfolger Jefu Chrifti find, will ich
predigen und von dem Gott, der in allen Menfchen Fleifch
wird, wie er es in Chriftus wurde; von der grofsen Ge-
meinfehaft, welche alle Menfchen umfafst; von der Un-
fterblichkeit, der fie hier entgegenleben, für die fie be-
ftimmt find; von dem perfönlichen Leben Gottes in jeder
einzelnen Seele und in dem Leben der Völker, und von
dem unermefslichen Segen, der allen daraus erwächft'.

Diefe Glaubensgedanken legt Brooke mit Wärme der
Ueberzeugung, mit Anfchaulichkeit und dichterifcher Be-
geiflerung dar. Freilich fehlt diefer optimiftifchen Welt-
anfehauung, in der befonders die Lehre, dafs alle Menfchen
durch die Erziehung Gottes fchliefslich zum Heile gelangen
, eine grofse Rolle fpielt, viel von der Gewalt
des Robertfon'fchen Ringens mit den Problemen. Wir
vermiffen die erkenntnifskritifche Begründung und Begrenzung
feiner Pofitionen, z. B. in der Wunderfrage.
Manche Behauptung, die er aufftellt, weckt Zweifel (z. B.
der Satz, dafs das geiftige Leben der wilden Völker
.nicht viel höher fleht als das der Affen, ja was Moral
und natürliche Neigungen anlangt, noch niedriger'; vgl.
S. 45); manche Synthefe, die er zwifchen naturwiffen-
fchaftlichen Theorien und religiöfen Ueberzeugungen her-
zuftellen fucht, gelangt nicht zur vollen Klarheit; z. B.
die drei Predigten über die Anbetung des perfönlich-
unperfönlichen, des unperfönlichen und des perfönlichen
Gottes behalten etwas Schwebendes. Auch die Kritik
kirchlicher Lehren, z. B. der Lehre von der Menfchwerdung
Gottes oder von der Verföhnung, kann den Eindruck
wohlfeiler, vergröbernder Polemik machen. Kurz, man
hört aus all der modernen Form oft etwas von der Tonart
des alten Rationalismus oder Unitarismus heraus. So
habe ich, als ich die erften zwölf Predigten dogmatifchen
Inhalts gelefen hatte, ernftlich gefragt, ob die Bedeutung
Brooke's von den Ueberfetzerinnen nicht doch überfchätzt
fei. Aber jedes Bedenken verdummte bei den folgenden
Predigten über ethifche Themata: .Welche Aufgaben hat
das Alter und welcher Segen wird ihm zu Theil'? .Opfer
der Schickfals', .Schiffbrüche des Lebens', .Geheimnifse
des Lebens' u. f. w. Sie zeigen eine Feinheit pfychologifch.cn
Verftändnifses, eine Fülle von Lebensweisheit, eine Freiheit
und Frifche der Auffaffung, dafs man ihnen mit
Grund eine weite Verbreitung und einen Einflufs auch
auf die deutfehe Predigt wünfehen möchte. Zwar ifl es
nur in einem Kreife, wie ihn Brooke um fich vereinigte,
möglich, dafs zwei Predigten über .Melancholie' wefent-
lich den bekannten Dürer'fchen Holzfchnitt befprechen —
der biblifche Text, Pred. Sah 1, 18, ifl nur ein Motto —;

I aber etwas von der englifchen Art, praktifche Fragen
| praktifch anzufallen und über fie frei von den Ein-
fchnürungen liturgifchen Stiles und biblifcher Terminologie
zu reden, darf wohl auch bei uns Eingang finden.

In einer zugig gefchriebenen Einleitung giebt Charlotte
Broicher kurzen Bericht über Brooke's Perfönlich-
keit, feine Stelle im englifchen Geiftesleben und feine
Predigerindividualität. Die Ueberfetzung, die grofsentheils
von der Ueberfetzerin der bei Hinrichs erfchienenen
Robertfon'fchen Reden herftammt (nur Nr. 17 und 18
von Anna Henfchke), ifl im Ausdruck fehr gewandt; nur
leidet fie, wie auch die Panleitung, an manchen ftiliftifchen
Unrichtigkeiten, auch an Druckfehlern (S. n Origines;
S. 42 und 46 adequat; S. 43 und 46 mataphyfifch; S. 97
erhabendfte etc). Die Interpunktion ifl fehr weiblich.

Halle a/Saale. Max Reifchle.

Holl weck, Prof. Dr. Joseph, Das Civileherecht des Bürgerlichen
Gesetzbuchs. Dargeftellt im Lichte des canoni-
fchen Ehcrechts. Mainz, F. Kirchheim, 1900. (VII,
264 S. gr. 8.) M. 4.50

In vorliegendem, mit kirchlicher Druckerlaubnifs ver-
fehenem Werke wird, wie es auf dem Titelblatte heifst,
das Eherecht des BGB. im Lichte des canonifchen Ehe-

| rechts dargeftellt. Der Herr Verfaffer bezeichnet im
Vorwort eine gründliche Kenntnifs der Materie als unentbehrlich
für die kirchlichen Behörden wie für die
Seelforger, ,um das vorhandene Hindernifs — ein folches
ift ihm die Civilehe — foviel möglich (zu) befeitigen,
oder doch für die Kirche unfehädlich (zu) machen'.

i Solche Kenntnifs zu vermitteln, diefem Zwecke dient
das in Rede flehende Werk, in welchem ftets der Weg

, angedeutet ifl, ,um eine zu befürchtende Schädigung
kirchlicher Intereffen möglichft abzuwenden'. Die Dar-
ftellung ifl in einen allgemeinen und einen befonderen
Theil gegliedert. Im allgemeinen Theile wird von der
Entwickelung und Ausbreitung der Civilehe gehandelt
und in eine Würdigung derfelben eingetreten. Im zweiten
Theile werden dann die eherechtlichen Beftimmungen
des B.G.B, im einzelnen einer ziemlich eingehenden Betrachtung
unterzogen.

Aus der ganzen Darftellung geht hervor, dafs Verfaffer
das Eherecht des B.G.B., von einzelnen mehr untergeordneten
Punkten abgefehen, vollftändig verwirft. Er
fpricht S. 68 von .einer in's Heidenthum zurückunkenden
Gefetzgebung' und erklärt (S. 76) .fowohl das Gefetz
v. 6. Februar 1875 als das neue Civileherecht wie für
ein kirchliches fo auch für ein nationales Unglück'. Bei
der Geflaltung des Eherechts des B G.B. habe man fich
ängftlich davor gehütet, ein Princip des Proteftantismus
zu verletzen, aber die heiligden religiöfen Ueberzeugungen
der Katholiken hinfichtlich der Ehe nicht blofs ignorirt,
fondern abfichtlich rückfichtslos bei Seite gefetzt (S. 67).
Demzufolge verwirft Verfaffer die Civilehe vollftändig
und beftreitet jede Berechtigung des Staates zur Einführung
derfelben. Indem die Regierung die Civilehe
aufnahm, habe fie fich .thatfächlich in den Dienst anti-
chriftlicher Tendenzen geftellt' (S. 18). Daran werde
nichts geändert, möge man auch noch fo viel Kaifer-
paragraphen aufnehmen (S. 19). Die Civilehe, als deren
Vater S. 6 Luther und S. 70 Hinfchius für Deutfch-
land bezeichnet wird, ifl dem Verfaffer ein unchrillliches
und unglückliches Inflitut (S. 77), eine förmliche Predigt
des religiöfen Indifferentismus (S. 65); fie erniedrige die
Ehe (S. 48) und wirke fchädigend und auflöfend auf die
Familie und damit auf die Grundlage der menfehlichen
Societät (S. 57). Im Uebrigen betrachtet Verfaffer die
facultative Civilehe, wenn er fie felbftverftändlich auch
verwirft, doch als das kleinere Uebel. Defshalb hätten
die Freunde der Civilehe, weil fie wufsten, dafs die
facultative Civilehe für die Kirche wenig zu fürchten