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Ausgabe:

1900 Nr. 2

Spalte:

54-55

Autor/Hrsg.:

Niebergall, Friedrich

Titel/Untertitel:

Gott in Christus 1900

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 2.

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Zufätzchen zu beffern fucht. Dabei haben fich indeffen
auch im Apparat Reichert's hie und da kleine Unge-
nauigkeiten ergeben, dafs die Hf. nicht angegeben oder
die Worte des Textes ungenau bezeichnet waren u. ä.

Ich möchte aber noch auf einen andern Punkt hinweifen
, der wirklich ftört. Ich habe fchon bemerkt, dafs
auch die Interpunktion von A 1 wiedergegeben wird.
Da fieht nun ein Satz etwa fo aus (vorausgegangen ift
die allgemeine Beftimmung Confirmamus has constitutione
s:):

Item hatte ■ In eodem capitnlo ■ circa prineipium ubi
dititur ■ nisi predicti viderint expedire ■ aädatur ■ fratres
autem novis domibus deputati ■ conventibus de quibus as-
sumuntur ■ et ipsi conventus eisdem quantum ad suffra-
giasicut suis conventualibus'? mutuo teneantur • quousque
conventus ibidem fuerit assignatus u. f. w. (S. 215). Was
foll man nun damit anfangen? Wer das Buch benutzen
will, mufs vor allen Dingen, fei es in Gedanken oder mit
dem Bleiftift, die Interpunktion unferer Zeit einfetzen,
um den Sinn und Zufammenhang zu faffen, Anführungszeichen
fetzen, wo fie hingehören u. f. w. Die Zeit, die
dazu nöthig ift, ift nicht gering. Warum nimmt fie ihm
der Herausgeber nicht ab? Seine Aufgabe ift doch, es
dem Benutzer fo leicht als nur immer möglich zu machen.
Reichert begründet fein Verfahren damit, dafs Bernard
seine Hf. jedenfalls mit höchfter Sorgfalt interpun-
girt habe, um feinen Lefern den Gedankenzufammen-
hang arTchaulich zu machen (ut sentcntiariun inter se
coniunetio legentibus clarius pateret). Aber dazu war eben
diefes Interpunktionsfchema nicht beftimmt: R. felbft
fagt, es habe als Anhaltspunkt zum gefangartigen Vortrag
gedient; das Zeichen ? habe eine Modulation der
Stimme bedeutet. Auf diefe Beftimmung ähnlicher Zeichen,
wie fie fich in Hff. der Brüder des gemeinfamen Lebens und
der Windesheimer finden, hat fchon Denitle früher gelegentlich
Hirfche gegenüber hingewiefen. Aber für uns liegt
es doch ganz anders. Ich bin über die Einrichtungen
des Predigerordens in der Gegenwart nicht unterrichtet,
möchte aber doch bezweifeln, ob dort diefe Acta capi-
tulorum des 13. und 14. Jahrh. jetzt noch viermal im Jahr
bei Tifch oder im Capitel verlefen werden. Wäre es
der Fall, fo könnten fich die Brüder vielleicht anders
helfen. Die Ausgabe ift aber jedenfalls zunächft für
wiffenfehaftliche Forfchung beftimmt, und darum mufs
alles für fie eingerichtet fein. Es kommt dazu, dafs die
Interpunktion die Zuthat Bernard's ift. Es handelt fich
aber doch nicht um Bernard, fondern um die Acta: in
feiner Vorlage, den Blättern der verfchiedenen Convente,
ift fchwerlich fo interpungirt gewefen, und gewifs nicht
in den Urfchriften, die die Capitel verfandt haben.

Einen zweiten Wunfeh habeich für die Zahlen: fie
werden durchweg in römifchen Ziffern wiedergegeben
und rechts und links je ein Punkt in halber Höhe angebracht
, bei gröfseren Zahlen auch bei den einzelnen
Abfchnitten, z. B. -M-CCLIX-. Das ift doch wohl ganz un-
nöthig, und die Klarheit des Textes könnte nur gewinnen,
wenn überall unfere Zahlen eingefetzt würden, mindeftens
bei Capitel- und Paragraphenzahlen.

Ferner: Durch runde Klammern will der Herausgeber
andeuten , was nicht in den Text gehört. Wenn
er das auf feine (!) oder (sie!) mitten im Text bezieht,
fo bin ich einverftanden. Sie gehören wirklich in keinen
lesbaren Text. Was falfch ift, mufs verbeffert, was nur
auffällt, in den Anmerkungen erläutert werden. Und was
geftrichen werden mufs, mufs auch aus dem Text hinaus
in die Varianten. Die runden Klammern aber follen nur
als Interpunktionszeichen dienen.

Endlich Erecta und Cursive! Der 3. Band fetzt
in dem Variantenverzeichnifs Zeichen wie add. om. u. ä.
in Curfive. Das ift durchaus richtig. Dann aber müffen
auch alle anderen Zuthaten des Herausgebers ebenfo
kenntlich gemacht werden, alfo auch die Hffzeichen A
und B, fowie die Zeilenzahlen bei den Varianten. Noch

praktifcher fände ich freilich, wenn ftatt ihrer die Vari-

i anten durch a, b u. f. w. bezeichnet und die I.efer da-

: durch fchon im Text darauf hingewiefen würden, dafs
an diefer Stelle das Vai iantenverzeichnifs nachgefehen wer-

I den mufs. — Die fachlichen Anmerkungen find dankens-
werth. Aber auch fie müfsten in Curfive ftehen. Jetzt ift
die Curfive den dort citirten Büchertiteln vorbehalten, was

, gar keinen Sinn hat; fie haben es nicht nöthig. Nur die
Autorennamen mögen hervorgehoben werden; R. thut
es meift durch Capitälchen. Gelegentlich fleht aber einer
auch in Curfive, offenbar wenn mittelalterliche Schrift -
fteller genannt werden.

Jede Editionsarbeit wird nur dann ihren Zweck vollkommen
erfüllen, wenn fie fich den herrfchenden Grund-

; fätzen anbequemt, foweit es nur immer möglich ift. Für
mittelalterliche Texte find die Grundfätze der deutfehen
Reichstagsacten überall im Wefentlichen mafsgebend geworden
. Warum alfo fich nicht an fie anfchliefsen? Gewifs
hätte dort manches im Einzelnen auch anders gemacht

; werden können. Aber darauf kommt es nicht an, fon-

, dem darauf, dafs fich der Lefer bei jedem Text auf den
erften Blick zurechtfindet und der Mühe überhoben wird,
fich im Vorwort über die Abfonderlichkeiten des Herausgebers
zu unterrichten und danach feine Sinne erft wieder
anders einzuftellen. ,Es verdriefst mich nicht', das

, immer wieder zu fagen.

Den Herrn Herausgeber aber möge es auch nicht

; verdriefsen. Sein Werk ift fehr verdienftlich und feine
Arbeit wird überall als werthvoll anerkannt werden. Ich
hoffe, dafs der zweite Band der Acten aufser den nöthigen
Regiftern auch ein Gloffar bringen wird. Der Gebrauch

[ würde dadurch fehr erleichtert.

Breslau. Karl Müller.

Niebergall, Pfr. F., Gott in Christus. (Hefte zur ,Chrift-
lichen Welt' Nr. 40.) Freiburg i. B., J.C.B. Mohr, 1899.
32 S. gr. 8.) . M. —.60

In vier Abfchnitten behandelt der Verf. den in der
Ueberfchrift diefes Heftes angedeuteten Gegenftand. Unter
dem etwas räthfelhaften Titel des erften Stücks (,Chriftus
und die Natur' S. 3—9) fordert N. die Umfetzung der meta-
phyfifch-phyfifchen Kategorien in fittlich-religiöfe, die allein

j dem Wefen des chriftlichen Heils entfprechen. ,So ftehen

j die beiden Religionen neben einander. Die alte fchmeckt
nach Natur, und zwar in einem doppelten Verftand. Theils
foll die Religion das Mittel fein, natürliche Güter von dem
Herrn der Welt zu erlangen, an deren Spitze die auch
ziemlich natürlich-finnlich gefafste Seligkeit steht; theils
foll die Religion dem Wiffenwollen das Gut abfchliefsen-
der Welterkenntnifs geben, indem fie die Hand des allmächtigen
Gottes als die Stätte aufzeigt, da der Regreffus
von der Urfache zur Wirkung zur Ruhe kommt. Die
neue Religion, die aber die eigentlich neuteftamentliche
ift, läfst die Natur tief unter fich. Ihr Schauplatz ift die
Seele des Sünders, dem Gott durch feines Sohnes heiligen
Geift aus der Noth der Sünde hilft zu einem felig-heiligen
Leben in ihm... Wir bekennen uns mit ganzem Herzen zu der
Religion des Geiftes'. (S. 8). — Im zweiten Abfchnitt (,Das
Gefetz des Opfers', S. IO— 16) will N. die Berechtigung
diefer Freiftellung der geiftig-fittlichen Welt von der Um-

; strickung der Naturwelt begründen. Wir bedürfen einer
neuen Formulirung der Verbindung zwifchen dem Herrn
des Himmelreiches und dem der Natur. Diefe Formel
wird uns durch ,das durchgehende Gefetz, die Erhaltung
durch das Opfer geliefert'. ,Auf der unterften Stufe ift
es ein unfreiwilliges fchmerzlofes, auf der höheren ift es

j ein fchmerzliches Geopfertwerden, und auf der höchften
Stufe im Bereich der Menfchengefchichte ift es ein fchmerz-
volles Opfern der eigenen Perfon, das zu einem freudigen
Hingeben im Glauben und in der Liebe kommen foll.
So binden wir die Natur- und die Geifteswelt aneinander