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Ausgabe:

1900 Nr. 26

Spalte:

712-715

Autor/Hrsg.:

Bloesch, E.

Titel/Untertitel:

Geschichte der schweizerisch-reformierten Kirchen 1900

Rezensent:

Bossert, Gustav

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7ii

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 26.

712

die Sacramente wie blofse Geheimnifse, da trete für
Luther aus dem Evangelium felbft, aus dem Eindruck,
den die Perfon Chrifti erwecke, der lebendige perfönliche
Gott felbft hervor, der nur in perfönlicher Weife auf
den Menfchen wirke, alles darauf richte, den Menfchen
zu feinem .Ebenbilde', einem, wie er felbft, durch und
durch perfönlichen fittlichen Wefen zu geftalten.
Laffe die alte Kirche dem Menfchen durch .naturhafte'
Gnadenmittel eine andere Natur zuwachfen, ein Geiftes-
leben in neuen ,Organen', fo habe Luther nie etwas
Anderes im Sinn, als dafs der Menfch in feinen vorhandenen
und in diefer Welt fo bleibenden Geiftes-
formen zu neuen Eindrücken und Empfindungen komme.
Das Evangelium, das .Wort', bietet dem Menfchengeift
andere Objecte als die Welt und die ,Natur'. Durch
das Evangelium gewinne der Menfchengeift einen neuen
Inhalt, den Inhalt, der Gottes eigenen Geift, Gott als
Geift erfülle. So entwachfe der .Gläubige' feiner Natürlichkeit
nicht zwar äufserlich, aber innerlich, qualitativ,
in feinen Lebensmotiven, in Bezug auf das, was er
fürchte und liebe, fliehe und fuche oder hoffe. Otto
tritt in entfchiedenfter Weife für den Gedanken ein, dafs
das Evangelium Offenbarung fei, Enthüllung von
Thatbeftänden, Kundgebung von ungeahnten, auch nicht
ahnbaren Wirklichkeiten in Gott. Aber alle diefe
Wirklichkeiten find von perfönlicher Art, betreffen
Gottes Gefinnung, Willen, Einflufs etc. Und fo gereichen
fie dem Menfchen, dem fie Glauben abgewinnen, zu
einer pfychologifch verftändlichen Erneuerung.

Otto überfieht nicht, dafs Luther, wenn er alles im
neuen Leben vom .Wort' ableitet, doch unzählige Male
einen Vorbehalt macht, der noch auf ein ,intus docere'
von Seiten des .Geiftes' hinzielt. Ift alfo nicht doch in
feinem Sinne zu fagen, dafs noch ein Anderes als der
,gedankliche Inhalt' des Wortes diefem feine Macht und
feinen Erfolg verfchaffe? Und Otto weift auch felbft
ausdrücklich darauf hin, dafs Luther doch immer wieder
von Leuten redet, auf die das Wort nie einen Eindruck
mache, für die das ganze Evangelium eine frigida notio
bleibe. Er behandelt die hier für ihn auftauchenden
Schwierigkeiten, indem er Luther's Prädeftinationslehre,
freilich etwas knapp und einfeitig, unterfucht. In der
That, es giebt bei Luther noch einen Factor aufser dem
Wort, der das Heilsgebiet regiert, es giebt eine aeterno,
dei electio, und diefe ift eine eigenthümliche, aber auch
die einzige befondere praeparatio ad gratiam. Dafs es
fich in Hinficht des ,Wortes' fo verhält, dafs fich die
einen davon erfaffen laffen, die anderen nicht, ift für
Luther eine Erfahrungsthatfache und er führt diefe,
wie Alles, zuletzt auf Gott und feinen ,Willen' zurück.
Aber das habe mit der Frage nach dem ,heiligen Geift'
in der Beziehung, wie diefer für die Gläubigen in Betracht
komme, diefen etwas bedeute, nichts zu thun.
Wo es zum Glauben und zum neuen Leben kommt, da
wirkt nach Luther Gott doch nicht durch den Geift wie
durch einen befonderen Factor neben dem ,Wort',
fondern durch das, was der Geift des Wortes ift.

Zum Schlufs deutet Otto, der fich mit den Gedanken,
die er als die für Luther mafsgebenden anfleht, felbft
zufammenfchliefst, in der Kürze an, wie die Theologie
in moderner Weife Luther's Ideen in einem zufammen-
hängenden religiöfen und wiffenfchaftlichen Weltbilde
verwerthen könne. Ich laffe das auf fich beruhen.
Zweierlei ift die Stärke an Otto's hiftorifch-dogmatifcher
Erörterung über Luther. Er hat abfolut Recht, wenn er
Luther in entfcheidender Weife ftets onentirt fein läfst
an dem Evangelium als einer Offenbarung. Und es
ift vortrefflich, dafs er einmal rückfichtslos zum Ver-
ftändnifs bringt, wie Luther keine magifchen, geiftlich
naturhaften Heilsmedien kennt. Aber er verfahrt doch
einfeitig und er überfieht doch Momente, die für Luther
auch mit dem Gedanken vom heiligen Geifte verknüpft
find und für die ihm gerade die ,alte Lehre' trotz, ja, |

vielmehr in Beziehung zu feiner neuen reformatorifchen
Chriftenthumserkenntnifs von Werth ift. Ich will auch
da nur zweierlei herausheben. Anf der einen Seite hat
Luther diefe Lehre nöthig, um dem Wort auch in feiner
Vertheilung und Anwendung auf die Einzelnen den
Charakter als ,göttlichen' Wortes zu fichern. Was im
Johannesevangelium der Paraklet neben dem ,gefchicht-
hchen' Chriftus bedeutet, das bedeutet für Luther die
.dritte Perfon in der Gottheit'. Wie bei Johannes
Chriftus vom Parakleten fagt ,von dem Meinigen wird
er es nehmen' und den Parakleten doch wie einen neuen
Factor hinftellt, fo kommt auch Luther nicht blofs mit
den Gedanken vom ,Vater' und ,Sohne! aus. Hier liegt
noch ein Problem bei Luther vor, welches Otto nicht
erkannt hat. Es läfst fich auch nicht etwa mit zwei
Worten hier behandeln. Aber man kann dabei verftehen
lernen, dafs und wie fern das Alte Luther in feinem
Neuen wichtig blieb. Und das gilt auch noch von
einem Andern. Luther hat fich in feiner Prädeftinationslehre
doch nicht fo freudig bewegt, wie es bei Otto
fcheinen kann. Sie ift ihm unheimlich, ja fchrecklich
gewefen. Aber freilich, er hat undurchdringliche Geheimnifse
in Gott und feinem Wirken gekannt. So weit
er es vermocht hat, fich diefer Geheimnifse als folcher
zu freuen, hat er es im Gedanken an den heiligen
Geift vermocht. Ift Gott nach Luther im Evangelium
verftändlich, fo doch nur im Centrum. An der Peripherie
, und die beginnt für Luther fehr bald, ift doch
lauter Dunkel, gerade auch in der Weife wie Gott der
,Vater' ift. Ift Gottes väterliches Angefleht in Chrifto
aufgedeckt, fo ift feine Vaterfchaft doch fo fouverän
und gewaltig, in ihren Mitteln fo wunderbar und unergründlich
vielförmig, dafs Luther noch einen Begriff
oder eine intuitive Anfchauung neben der vom gefchich-
lichen Chriftus nöthig hatte, um fich nie an Gott irre
machen zu laffen. Das ift ihm der Gedanke von der
,dritten Perfon' die Gott ift wie der ,Vater' und der
,Sohn', die freilich undurchdringlich ift, von der jedoch
verbürgt ift, dafs fie Alles vom Sohne und damit vom
.Vater' nimmt. Der Gedanke vom heiligen Geift macht
ihm den Gedanken vom Dens absconditus nicht klar,
aber erträglich.

Giefsen. F. Kattenbufch.

Bioesch, Prof. Oberbiblioth. Dr. E., Geschichte der schwei-
zerisch-reformirten Kirchen. 2 Bände. Bern, Schmid
& Francke, 1898/99. (IV, 500 und XXVII, 399 S. gr. 8.)

M. 18.—

Der leider fehr bald nach Vollendung feiner Arbeit
verdorbene Profeffor E. Bloefch in Bern hat ein fehr
dankeswerthes Werk gefchaffen, das einem wirklichen
Bedürfnifs entfprach. Die Entwickelung des Proteftantis-
mus in der Schweiz verdiente längft eine entfprechende
Darftellung. Denn fo eigenartig fich die Schweiz in
ihrer geographifchen Geftalt, wie in ihrer politifchen Ge-
fchichte zeigt, fo eigenartig ift auch die Gefchichte des
religiöfen Lebens mit feinen Einrichtungen in den pro-
teftantifchen Kantonen, wie denn fchon die mittelalterliche
Katholicität in der Schweiz eine eigenthümliche
Ausprägung fand und Rom Zugefländnifse an die felbft-
ftändige Art der Schweizer machen mufste. Was wir
bisher für die Gefchichte des Proteftantismus in der
Schweiz an Darftellungen befafsen, war klein beifammen.
Die grofsangelegte ,Schweizerifche Kirchengefchichte'
von Gelpke war nicht einmal über die Mitte des Mittelalters
hinausgekommen, während Joh. Jak. Hottinger
feine .Helvctifclie Kirchengefchichte' nur bis in feine
Zeit um 1720 herab führen konnte, die Neubearbeitung
durch Wirz und Kirchhofer aber bei der Reformation
ftecken blieb. Allerdings bot A. Schweizer in den zwei
Bänden .Proteftantifche Centraidogmen' fehr viel zur