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Ausgabe:

1900 Nr. 26

Spalte:

708-712

Autor/Hrsg.:

Otto, Rudolf

Titel/Untertitel:

Die Anschauung vom Heiligen Geiste bei Luther 1900

Rezensent:

Kattenbusch, Ferdinand

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 26.

708

Werth diefer Veröffentlichung ift ein umfo gröfserer, als
uns hier zum erften Mal ein autentifches Document aus
dem pfeudoempedokleifchen Schriftenkreife dargeboten
wird, der, feit dem Anfange des X. Jahrhunderts n. Chr.
in Umlauf gefetzt, fich in feiner Bedeutung nicht auf
Gabirol allein befchränkt, fondern neben der fogenannten
Theologie des Ariftoteles, dem arabifchen Original des
Liber de causis und anderen Schriften auf die Verbreitung
neuplatonifcher Anfchauungen unter Arabern und Juden
einen maafsgebenden Einflufs ausgeübt hat. In einer
Erwartung freilich find wir enttäufcht worden. Vergebens
fuchen wir in den vorliegenden Fragmenten eine Aufklärung
über die Entftehung der beiden Grundlagen der Gabirolfehen
Philofophie, der Lehre von der Zufammenfetzung
auch der intellegibelen Subftanzen aus Materie und Form
und der Lehre vom Willen als dem die Vermittlung
zwifchen Gott und der Welt darftellenden Schöpfungs-
prineip. Was die erftere betrifft, fo kann es allerdings
keinem Zweifel unterliegen, dafs fie in der pfeudoempedokleifchen
Schrift von den fünf Subftanzen enthalten
war, denn Falaquera bezeichnet, indem er auf diefe
Schrift als auf die Quelle Gabirols hinweift, als deren
Grundgedanken das Vorhandenfein einer (geiftigen)
Materie auch in den geiftigen Subftanzen. Es fehlt auch
in unferen Fragmenten keinewegs, wie Kaufmann meint,
an einem Anhaltspunkt für diefe Lehre von dem Vorhandenfein
einer Materie in den geiftigen Subftanzen. So
wird im Fragment 8 (S. 19) als das Erlte, was Gott gefchaffen
hat, das Urelement oder die Materie bezeichnet, die das
Leben unmittelbar vom Schöpfer empfängt. Nach der
Materie ift die Vernunft erfchaffen, der Gott das Leben
vermitteln; der Materie verleiht, dann die Seele, die
vermitteln1 der Vernunft und der Materie gefchaffen
ift und der das Leben durch die Vernunft zu-
ftrömt, wie es der Vernunft durch die Materie zugeftrömt
ift. Das Urelement oder die Materie ift demnach das
Generelle, d. h. fie ift die Materie für die Vernunft und |
die Seele. Vgl. auch Fragm. 16 (S. 25). Auf diefe und 1
ähnliche Stellen geftützt, hat Falaquera geglaubt, die
Lehre von der Materialität der geiftigen Subftanzen auf
Empedokles als ihre Quelle zurückführen zu können.
Freilich aber ift die vage Art, wie hier die Urmaterie
als das Grundelement aller Dinge dargeftellt wird, weit
entfernt von der fyftematifchen Gefchloffenheit und Con-
fequenz, mit der die Zufammenfetzung von Materie und
Form bei Gabirol durch alle Sphären des Seins hindurch
verfolgt wird. Gabirol war eben doch ein Denker von
origineller Kraft, der von aufsen her wohl manche Anregung
empfangen haben mag, es aber verftanden hat,
den ihm von Anderen dargebotenen Gedanken eine eigenartige
Geftalt und Faffung zu verleihen. Ebenfo verhält
es fich mit der Lehre vom Willen. In einigen Fragmenten
(9. 14. 26.) finden wir auch bei Pfeudoempedokles den
Willen erwähnt, und an einer Stelle (S. 20 Z. 8 v. u.)
wird derfelbe mit dem Schöpfer oder mit Gott identi-
ficirt. Das ift aber doch viel zu unbeftimmt, als dafs
wir uns ein Urtheil darüber bilden könnten, ob Gabirols I
Lehre vom Willen, die bisher einer Herleitung von j
früheren philofophifchen Syftemen am Hartnäckigften
widerftanden hat, wie man auf Grund von Schahraftänis
Darfteilung der Lehre des Empedokles (Deutfche Ueber-
fetzung von Haarbrücker IL S. 90—98) vermuthet hat,
durch Pfeudoempedokles beeinflufst worden fei. Es ift
aber auch nicht anzunehmen, dafs die Lehre vom Willen
für Pfeudoempedokles eine auch nur annähernd ähnliche
Bedeutung wie für Gabirol gehabt habe, denn dann hätten
fich in den immerhin nicht unbeträchtlichen Fragmenten
irgendwelche Spuren davon zeigen müffen. Ebenfo
würde es Falaquera kaum verabfäumt haben, wie in Betreff
der Lehre von der Materialität der geiftigen Subftanzen
, fo auch in Betreff der Lehre vom Willen auf
die Abhängigkeit von Empedokles hinzuweifen. So ift
bei aller Aehnlichkeit in einzelnen Punkten, die von

Kaufmann mit grofser Sorgfalt zufammengeftellt find, der
Gewinn aus diefer Veröffentlichung für die gefchichtliche
Erkenntnifs der Grundprobleme der Gabirolfehen Philofophie
doch kein fo erheblicher, als man hätte erwarten
dürfen. — Die zweite Studie (S. 63—79), der philofophifchen
Allegorefe Gabirols gewidmet, giebt eine fein-
finnige Erläuterung der in dem fragmentarifchen Genefis-
commentar des Abraham ibn Efra erhaltenen und
Salomon ibn Gabirol zugefchriebenen allegorifchen
Schriftauslegungen,insbefondereder allegorifchen Deutung
des Paradiefes. — In der dritten Studie (S. 79—108) be-
fchäftigt fich Kaufmann mit der bekannten Kritik, die
der um ein Jahrhundert fpäter lebende Religionsphilo-
foph Abraham ibn Daüd an der Philofophie Gabirols
geübt hat. Wenn Kaufmann die Heftigkeit diefer Kritik
zum Theil aus dem Umftande erklären will, dafs zu
jener Zeit in Toledo, dem Wohnorte ibn Daüds, auf
Geheifs des Erzbifchofs Raimund durch Dominicus
Gundifalvi und den Convertiten Johannes Avendehut, in
dem Kaufmann einen Familienangehörigen A. b. D.'s
vermuthet, eine lateinifche Ueberfetzung der Gabirolfehen
,Lebensquelle' veranftaltet wurde, fo ift das eine
zwar fcharffinnige, aber doch jedes hiftorifchen Rückhaltes
entbehrende Combination. Die Bitterkeit in der Kritik A.
b. D.'s erklärt fich hinreichend einerfeits aus der völligen
Indifferenz gegen das Judenthum, die A. b. D. der Philofophie
Gabirols ausdrücklich zum Vorwurf macht, und
andererfeits aus dem Aergernifs, das dem ftrengen Arifto-
teliker die ihm in ihren Grundbegriffen widerftrebende
neuplatonifche Anfchauung Gabirols bereitet. — Die
vierte Studie (S. 108—116) behandelt die Kenntnifs von
Gabirols ,Lebensquelle' in der jüdifchen Literatur nach
ibn Daüd. Ohne befonders Neues darzubieten, weifs K.
doch auch nach diefer Richtung hin dem Gegenftande
manches Intereffante abzugewinnen. Den Schlufs bildet
eine Studie (S. 116—123) über ein Gedicht Gabirols, in
das K. mancherlei hineingeheimnifst, was wir beim beften
Willen darin nicht finden können. Auf eine weitere Aus-
einanderfetzung darüber müffen wir jedoch an diefer
Stelle verzichten. Mit Wehmuth fcheiden wir von diefer
letzten Arbeit eines Mannes, in dem die jüdifche Wiffen-
fchaft nur allzufrüh einen ihrer hervorragendften Vertreter
verloren hat. — Was den Druck betrifft, fo fieht man
es ihm an, dafs er von dem Verfaffer nicht mehr überwacht
wurde. Das Lefen der Schrift wird durch die
zahlreichen, den Sinn entftellenden Druckfehler nicht
wenig erfchwert.

Breslau. J. Guttmann.

Otto, Priv.-Doc. Lic. Rudolf, Die Anschauung vom heiligen
Geiste bei Luther. Eine hiftorifch-dogmatifche Unter-
fuchung. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1898.
(V, 106 S. gr. 8.) M. 2.80

Eine fehr werthvolle Arbeit. Sie hat mich gefeffelt
von der erften bis zur letzten Seite. Otto befitzt ein
erfreuliches Darftellungsgefchick und er behandelt fein
Thema unter bedeutfamen Gefichtspunkten. Wenn er
feine Schrift als eine ,hiftorifch-dogmatifche Unterfuchung'
bezeichnet, fo liegt das Schwergewicht feines Intereffes
auf der dogmatifchen Seite. Otto will feftftellen, was
Luther's Gedanken für uns bedeuten, was fie ,uns zu
denken geben'. Aber er verfährt doch wie ein rechter
Hiftoriker. Denn nicht von aufsen trägt er die Fragen
und Maafsftäbe der Beurtheilung heran, fondern entnimmt
fie von Luther felbft. Er zeigt eben, dafs Luther
Fragen aufgiebt und Mittel darbietet, ihn in feinem
eigenen Sinne zu beurtheilen. Wer fich in Luther's Anfchauung
vom heiligen Geift hineindenkt, merkt, wie viel
davon ihn felbft angeht, ihn theologifch mitbefchäftigen
mufs. Luther ift noch nicht in die blofse, ftille Hiftorie
| übergegangen. Man kann ihn nicht behandeln wie einen