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Ausgabe:

1900 Nr. 25

Spalte:

692-693

Autor/Hrsg.:

Caselmann, August

Titel/Untertitel:

Karl Gutzkows Stellung zu den religiös-ethischen Problemen seiner Zeit 1900

Rezensent:

Hans, Julius

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6gi Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 25. 692

Art. Da endlich alles fittliche Wollen niemals fertig und
vollkommen, fondern immer erft im Werden begriffen id,
fo kann auch die fittliche Autonomie ftets vielmehr nur
als eine Aufgabe und nicht als ein apriorifches Ingrediens
des menfchlichen Willens als folchen angefehen werden.
Aber als das aus der pofitiv-gefchichtlichen Entwickelung
der Sittlichkeit hindurchfchimmernde Ziel des vom Verf.
fo treffend gezeichneten fortfehreitenden Motivwandels
könnte man vielleicht den ftetigen Uebergang von der
Heteronomie zur Autonomie des Willens angeben.

Ich fcheide von dem befprochenen Buche nicht, ohne
feinem Verf. für die vielfache Belehrung und Anregung
zu danken, die es mir gegeben hat. Diefen Dank aber
würde ich nur in fehr unvollständiger Weife abgeftattet
zu haben glauben, wenn ich die von mir vorgebrachten,
zum Theil auf andere wiffenfehaftliche Vorausfetzungen
zurückzuführenden Vorbehalte gegen feine Ergebnifse
hätte unterdrücken wollen.

Bonn. O. Ritfchl.

Frommel, Prof. Dr. Otto, Frommel's Lebensbild. Erfler
Band: Auf dem Heimathboden. Mit einem Bildnifse
in Lichtdruck. (Das Frommel Gedenkwerk. Herausgegeben
von der Familie. I. Band.) Berlin, E. S.
Mittler & Sohn, 1900. (XVI, 310 S. 8.) M. 4.—

Die Familie Emil Frommel's beabfichtigt, ein etwa
9 Bände umfaffendes ,Frommel - Gedenkwerk' herauszugeben
, das aufser einem auf 2 Bände berechneten
,Lebensbilde' des Gefeierten Briefe, Reden, Predigten
und einige andere kleinere Sachen von ihm enthalten
foll. Der erfte Band des Lebensbildes, von feinem Sohne
Dr. Otto Frommel verfafst, liegt nun vor. Die Erzählung
reicht bis zur Berufung Frommel's nach Barmen im Jahre
1864; es ift alfo die Jugend und die erfte Amtszeit in
Baden, die zur Darftellung kommt. Vieles von dem,
was gebracht wird, ift ja den I.cfern Frommel'fcher
Schriften fchon bekannt. Denn vielfach hat er felbft
fchon Erinnerungen aus feinem Leben in feine Werke
verflochten. Aber es werden doch aus Briefen und fon-
ftigen Aufzeichnungen fehr werthvolle Ergänzungen ge- | Zuj£ben/to^

Caselmann, Dr. Auguft, Karl Gutzkows Stellung zu den
religiös-ethischen Problemen seiner Zeit. Ein kleiner
Beitrag' zur Geiftesgefchichte des 19. Jahrhunderts.
Augsburg, J. A. Schloffer, 1900. (III, 128 S. gr. 8.)

M. 2.25

Gutzkow's Stellung zu den religiös-ethifchen Problemen
zum Gegenftand einer befonderen Darftellung zu
machen, ift infofern lohnend und geeignet, ein allgemeines
Intereffe zu erwecken, als fich in den Werken
diefes Schriftftellers in befonderem Maafse die Stimmungen
und Strömungen feiner Zeit in Bezug auf die religiöfen
Fragen fpiegeln. Seine ganze Schriltftellerei drehte fich
ja um diefe Fragen, und feine feinerzeitige literarifche
Stellung beruhte darauf, dafs er mit Nachdruck ausfprach,
was in den Herzen einer Menge feiner Zeitgenoffen lebte.
So ift der Nebentitel der vorltehenden Schrift eine vollkommen
berechtigter, fie enthält in der That einen ,Beitrag
zur Geiftesgefchichte des 19. Jahrhunderts'.

Der Verfaffer verfolgt den Entwickelungsgang Gutzkow
's von feiner Jugend bis zur Höhe feines reifen
Schaffens. Er geht von der richtigen Vorausfetzung
aus, dafs Gutzkow's Werke in der Gegenwart wenig ge-
lefen werden und den Meiden ziemlich unbekannt find.
Er giebt deshalb dets eine Analyfe des Inhaltes und
reichliche Auszüge, in denen der Dichter felber fpricht.
Ich gedehe, L-lbft zu denen zu gehören, die mit Gutzkow
wenig bekannt find; deshalb habe ich kein genügend
fundamentirtes Urtheil darüber, ob die Dardellung des
Verfaffers in allen Punkten vollkommen zutreffend
id. Doch fcheint mir der Standpunkt, auf den er fich
dellt, und der Gefichtspunkt, von dem aus er die Dinge
betrachtet, ganz der rechte zu fein. Er beurtheilt Gutzkow
nicht nach der Richtigkeit oder Unrichtigkeit feiner
Meinungen, er betrachtet ihn nicht als Parteimann. Er
fucht ihn lediglich zu verdehen, und er id unbefangen
und weitherzig genug, auch in Bedrebungen, in denen
der Dichter fich fachlich vergreift, eine edle Gefinnung
als leitendes Motiv zu erkennen. So findet er, dafs
auch fein Kampf gegen das Chridenthum religiöfem
Wahrheitsdrang entfpringe. Und es id in der That zugeben
, und es id von Intereffe, das Ganze nun im Zu- j erkenntnifs und nach perfönlicher Aneignung der reli-
fammenhange zu lefen. Befonderes Gewicht id mit Recnt j iöfen Wahrheit in ihm vorhanden war. Es wäre vielen
auf die Dardellung des inneren Entwicke ungsganges jn unferer Zeit, die kühlen Herzens an all dem Ringen
gelegt. Denn wer follte nicht gern den Wegen nach- und Kämpfen auf diefem Gebiete vorübergehen, etwas
gehen, auf denen ein Mann von folcher Eigenart wie , davon zu wünfchen< Schwieriger id die Frage zu ent-
Prommel zur Klarheit und Pedigkeit in feinem religiöfen fchejden, von welchem Eindufs und von welchem Werth
Leben fich durchringt. Von Intereffe ift befonders das oder Unwerth die fchriftdcdlerifche Thätigkeit Gutzkow's
Verhältnis zu feiner Mutter, die fich, als er noch im , fur die religiöfe Entwickelung unferer Zeit gewefen id.
Knabenalter dand, dem Pietismus der Stundenhalter zu- Der Verfaffer id geneigt, auch in diefer Hinficht nach
wandte und fpäter aus der Landeskirche austrat, um fich verfchiedenen Richtungen hin Gündiges anzunehmen,
den feparirten Lutheranern anzufchhefsen. Sie hat be- j Er fient wohl ejnen Mangel des von Gutzkow vertretenen

kanntlich auch ihre Familie zum Theil nachgezogen
und es war ihr fchmerzlich, dafs ihr Sohn Emil andere
Wege ging. Erd als er nach Barmen kam, um fein Amt

Humanismus darin, dafs er die Bedeutung der gefchicht-
lichen Perfon Jefu Chridi und des Anfchluffes an de
nicht genügend erkannt habe; in diefem Punkte fei die

m einer luthenfehen Kirche anzutreten, jubelte üe dafs neuere Entwickelung im Gegenfatz zu ihm mit Recht
ihre Gebete nun Erhörung gefunden hätten und dafs ihr j weitergefchntten. Aber wenn die chridliche Liebesarbeit
§?„ 'f.'1! ^V^Ä eJzH^JHES f-^Jv3? A^me,n! ! mehr e'ne Sache der allgemeinen chridlichen Humanität

geworden fei und fich den engen Schranken des Pietismus
grofsentheils entzogen habe, und wenn das Recht
zur freien Entfaltung der Individualität auch auf religiöfem
Gebiete in der protedantifchen Kirche — wenigdens

Ehre, zur Förderung Seines Reiches' geworden fei. Es
id begreiflich, dafs es auch Frommel oft drückend empfand
, mit den ihm am nächften Stehenden nicht vollkommen
eins zu fein. Aber er wahrte fich feine Selb-

dandigkeit und hefs überhaupt fein inneres Leben nicht . in der Theorie — mehr und mehr anerkannt würde, fo
in eine Schablone preffen, die andere nach dem ihrigen , dafs Z- B. Frank die chridliche Perfonlichkeit zum Ausgeformt
hatten. — Weiter will ich auf den Inhalt des | gangSpunkt der chridlichen Gewifsheit mache, fo liege
vorliegenden Bandes, der im 16. Capitel auch eine Dar- das jn der Linje der Qutzkow'fchen Bedrebungen und
dellungdes badifchen Agendendreites enthalt nicht ein- | fei ais ein Ergebnifs, an deffen Erreichung der Dichter
gehen. Der Abfchlufs des Werkes wird Gelegenheit mitgearbeitet habe, zu betrachten. Ebenfo fei es mit
geben, auf das Ganze zurückzublicken. | der durch unfere Zdt) wenn auch mehr im Verborgenen,

Augsburg. J. Hans. hindurchgehenden Strömung, die das Gemeinfame

_ zwifchen Katholicismus und Protedantismus mehr betont

| wiffen wolle und auf eine höhere Einheit derfelben hin-