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Ausgabe:

1900 Nr. 2

Spalte:

685-691

Autor/Hrsg.:

Schwarz, Hermann

Titel/Untertitel:

Psychologie des Willens 1900

Rezensent:

Ritschl, Otto

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685

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 25.

aber die vergleichende Darftellung der Lehre und des I weis dafür, wieviel doch die unter dem Einflufse der
Lebens der verfchiedenen Kirchenparteien nicht tragen, j phyfiologifchen Richtung vielfach zu Unrecht unterfchätzte
Nachdem die Gefchichte der chriftlichen Kirche feit der | introfpective Methode der Pfychologie zu leiften vermag.
Reformation den Beweis geliefert, dafs unter Gottes j Nachdem der Verf. früher fchon im Anhange feines Werkes
Zulaffung, deren Beweggründen hier nicht weiter nach- über ,die Umwälzung der Wahrnehmungshypothefen'
zudenken ift, eine ganze Reihe von Kirchenparteien | gegenüber S. Exner's .Entwurf zu einer phyfiologifchen
nebeneinander beftehen bleiben, hat eine Vergleichung ] Erklärung der pfychifchen Erfcheinungen' auf die Grenzen
derfelben aus dem praktifch polemifchen Gefichtspunkt, j der phyfiologifchen Pfychologie umfichtig und befonnen
die Andersgläubigen zu überwinden (Tit. 1,3) oder zum 1 hingewiefen hatte, brauchte er in dem vorliegenden Buche
Frieden zu flimmen (Eph. 4,3), um die Einheit der auf die principielle Streitfrage nicht näher einzugehen,
chriftlichen Kirche auch äuferlich herbeizuführen, keine | fondernkonntegleich nach einigen kurzen Vorbemerkungen
wiffenfchaftliche Berechtigung mehr'. Sic! Ich denke 1 von feinem Standpunkte aus fich der Sache felbft zuwenden,
auch, dafs es eine falfche Art von Polemik gebe. Aber Der hypothetifche Grundgedanke des Verf., der feinen

ich möchte wohl wiffen, was Luther zu fo genügfamen ! gefammten Darlegungen die Richtung giebt, ift der eines
.Lutheranern' fagte, wie Nösgen einer ift. Man nennt Parallelismus zwifchen dem Vorftellungs-und dem Willens-
das ja wohl heute .oekumenifche Weite'. Und ich will leben. In jenem herrfcht nun insbefondere nicht nur der
mich auch alsbald hier befinnen, dafs Luther für Nösgen | Naturzwang der Affociationsgefetze, fondern auch der
,nur ein Privatmann' ift. Aber ob feine .unpolemifche' ; Normzwang des logifchen Denkens, vermöge deffen wir
Symbolik wohl ganz den lutherifchen Symbolen entfpricht? | beftimmte Gedankenverbindungen für wahr oder falfch

Seinen lutherifchen Standpunkt in der Symbolik be
währt Nösgen fchliefslich darin, dafs er die Artikel
der Auguftana, fpeciell die Lehrartikel, als Leithalten
muffen. Es fragt fich alfo, ob ein ähnlicher Normzwang
auch in dem Willensleben nachgewiefen werden
kann. Zunächft freilich tritt uns hier ein in weitem Umfaden
der ganzen Darftellung nimmt! Nachdem j fange waltender, theils phyfifcher, theils innerpfychifcher

er mancherlei in die Irre führende Arten, die Lehren der ; Naturzwang entgegen. ,Luft und Unluft.....find die

.Kirchenparteien' zu vergleichen, befprochen hat, fährt er ! natürlichen Ziele unteres Begehrens und Scheuens'. Sie
fort, S. 28: ,Allen derartigen Verfehlungen wird vor- , wirken auf uns mit caufalem Zwange, fie entweder feftzu-
gebeugt und dem Princip der Symbolik aufs voll- ■ halten und ihre Wiederholung zu fuchen, oder fernzu-
kommenfte Rechnung getragen, wenn zum Leitfaden der j halten und ihre Wiederholung zu meiden. Gleichfalls
Daritellung die fiebzehn erften Lehrartikel der Auguftana vermöge eines caufalen, wenn auch unfinnlichen, weil
genommen werden.' Ich will nicht leugnen, dafs das in innerpfychifchen Zwanges erregen höhere als jene ,Zu-
feiner Art confequent ift. Aber auf das Detail laffe ich ftandswerthe' unfer Wollen. Der Verf. unterfcheidet fie
mich nicht ein. Dafs es nur die fiebzehn erften Artikel [ als .Perfonwerthe' (wie Macht, Ruhm, Schönheit; bezw.
zu fein brauchen, rechtfertigt er a. a. O. in einer Weife, Perfonunwerthe, wie Schmach, Schuld, Dummheit) und als
die man eventuell gelten laffen mag. .Fremdwerthe'; und diefe find theils altruiftifch, theils in-

Giefsen. F. Kattenbufch. ' ^ruiftifch-ideell, wie das Neue das Wahre, das Schöne.

Den Grund der Erregbarkeit des Willens durch diefe
Anm. Wer das Buch lieft, trifft eine geradezu unglaubliche Menge | höheren Werthe erkennt der Verf. in zwei metaphyfifchen

von Verfehen und Druckfehlern. Sogleich zum Eingang hat Nösgen j Grundverhältnifsen, nämlich einmal in dem der Perfon ZU
einen Käfig aufgerichtet, worin er einen Theil derfelben zur Schau (teilt; ihren Erlebnifsen, Und zweitens in dem ZU Gott, infofern

es kann einen die Angft dabei^^^^L^L^J^Z ! ^r letzte Grund der geiftigen Perfon die unendliche Ur-

von einem Co,/. Laodiccnus fpricht, wo der Cod. Laudianus gemeint ift, von | , , ,, &
Johannes Lascaris, wo Cyrillus Lucaris in Betracht kommt u. A. Diefes I alles Endlichen .

Fehlerverze'chnifs ift keineswegs erfchöpfend. Greuliche Dinge kommen
noch vor und es ift gar nicht das Schlimmfte, wenn etwa Hilarius Picta-
vienfis als Petavienfis erfcheint und dergl. Ich komme auf diefe Dinge
aber hier nur anmerkungsweife zu fprechen, weil ich aus einem ""«ye,
den Nösgen an meinen Collegen D. Krüger gerichtet hat und der
erkennbarerweife nicht benimmt ift als .Privatbrief' behandelt zu werden.

Schon diefen Darlegungen liegt die voluntariflifche
Anficht des Verf. zu Grunde, dafs die Willenserregungen
eine felbfiändige Gruppe feelifcher Vorgänge find. Die
Gefühle nämlich, welche theils folche der Luft oder Unluft
, theils neutral find, wie Bewunderung, Achtung, Ab-

mittheilen kann, dafs er es als einen'nicht zu überwindenden Mangel hängigkeitsgefühl, find keine Acte der pfychifchen Per

feiner perfönlichen Art betrachtet, folche Fehler zu machen und bei der
Correctur auch gewöhnlich nicht zu merken. Er verfichert, und es ift
mir nach den Umftänden durchaus glaublich, dafs er oft ganz genau
wiffe, wer der betreffende Mann wirklich fei, bezw. wie er heifse, wo er
gelebt etc., dafs er aber immer wieder das Mifsgefchick habe, dafs fich
ihm beim Schreiben ein falfches, ähnliches Lautbild fubflituire.
Alfo das mufs man in Gottes Namen bei feinen Büchern in den Kauf
nehmen. Auch die vielen Sätze, in denen irgend ein entfcheidendes
Wort fehlt. Ich bemerke dies für zukünftige Kecenfenten Nösgen (eher
Bücher. Wer von Nösgen's Art nicht weifs, hat es leicht, ihn mit
Einzelheiten feheinbarer Unwiffenheit an den Pranger zu (teilen.
(Freilich kommen bei Nösgen auch viele und fchlimme Fehler vor die

* a ....... - - _ _ _ _ , . . r. «r_i_ kf___.. f. 1 c

fon, fondern nur zuftändliche Erregungen, die fich weder
auf fich felbft noch auf etwas anderes richten. Mit diefen
rein paffiven Erlebnifsen hat aber das immer fchon
active Wollen und Wünfchen aufser der Bewufstheit
kein Merkmal gemein, fo dafs alfo die Erregungen des
Gefühls und die des Willens als verfchiedene Arten von
feclifchen Vorgängen anzufprechen find. Ferner find das
Gefallen und das Mifsfallen nicht etwa auf Gefühle
der Luft und der Unluft zu reduciren. Sie fetzen diefe
zwar bald voraus, bald folgen fie ihnen. Aber die Quali-

doch nicht blofs zu .entfchuldigen' find. Oft müfste Nösgen ^mfellos täten der flnnlichen Luft.& und Unluftgefullle find unter

genauer überlegen, was er bei anderen gelefen hat. Ich verweile hier
instar omnium auf feinen Bericht über die Apoftolikumsforfchung. Diefer
Abfchnitt ift wirklich unerträglich.) K-

Schwarz, Priv.-Doz. Hermann, Psychologie des Willens. Zur

Grundlegung der Ethik. Leipzig, W. Engelmann, 19CO.
(VIII, 391 S. gr. 8.) M. 6.-

Wenn man die wiffenfehaftlichen Bücher in folche,
aus denen man etwas Urnen kann, und in die anderen, »t die Keaction der wollenden Seele, wenn die Gegen

einander fehr verfchieden. Gefallen und Mifsfallen dagegen
find gleichwie das Wahrnehmen qualitativ einförmig
und einfarbig.

Im Gefallen und Mifsfallen erkennt nun der Verf.
die erften und urfprünglichen Willensregungen.
Abhängig von ihnen ift das Wünfchen und Widerftreben.
Da das Wünfchen fchweigt, wo das Gefallen fpricht, fo
verhalten fich diefe beiden Vorgänge disjunetiv: ,Gefallen

deren Leetüre mehr oder weniger Zeitvergeudung ift, ein- ; ftande, von denen fie bewegt wird, genoffen, befeffen,
theilen kann, fo nimmt die vorliegende gründliche, durch verwirklicht find. Wünfchen ift ihre Reaction, wenn fich
fcharffinnige' Beobachtung und klare Gedankenbildung , z.ur Vorftellung derfelben gefälligen Gegenftände die Erausgezeichnete
Unterfuchung eines der fchwierigften Ge- | fahrung gefeilt, dafs fie das alles nicht find'. Dennoch gebiete
der wiffenfehaftlichen Erkenntnifs in jener erften j fällt auch dasNichtgehabte zugleich, indem wir es wünfchen.
Gruppe tinen hervorragenden Platz ein. Sie ift ein Be- | Es ift die Seele des Wunfehes, und mit diefem in ahn-