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Ausgabe:

1900

Spalte:

665-667

Autor/Hrsg.:

Rade, Martin

Titel/Untertitel:

Die Wahrheit der christlichen Religion 1900

Rezensent:

Lobstein, Paul

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für hat Weifs in feinen werthvollen Unterfuchungen bedeutend
vorgearbeitet.

Doch kann ich auch jetzt nicht umhin, in der Be-
fchränkung auf etliche Majuskeln einen — vielleicht
durch die Umflände gebotenen — Mangel zu erblicken.
Die mannigfachen Unterfuchungen zu Codex D, darunter
die neuefte von Pott, lehren doch, wie vielerlei Schichten
in einer Handfchrift aufeinandergehäuft fein können,
wie anderes fie wirkt, wenn man fie im Zufammenhange
einer Gruppe oder ifolirt betrachtet. Weifs nun trägt,
fo will mir fcheinen, die Farben zu flach auf, läfst zu
fehr die Perfpective gefchichtlicher Entwickelung vermiffen,
Perfpectiven, die bei Heranziehung der Verfionen und
Väter nicht nur zeitliche fondern auch örtliche feil"
müfsten. Ich glaube dem am meiften gerecht werden zu
können durch den Hinweis darauf, dafs Weifs' text-
kritifche Grundanfchauung der Tifchendorf'fchen Periode
entflammt, die im Unterfchiede von der älteren Gries-
bach'fchen durch die ungeahnte Materialvermehrung, be

den Buddhismus betrifft, fo hält Kraft und Erfolg feiner
Miffion jedenfalls heute keinen Vergleich mehr aus mit
dem unermüdlichen Vordringen der chrifllichen Miffion,
und immer ift es doch ein fehr begrenztes Culturgebiet
geblieben, in dem die buddhiftifche Religion athmete.
Aber auch vor dem Inhalt des buddhiftifch.cn Evangeliums
braucht der Chnftenheit nicht bange zu fein, als
trete ihr da eine reinere, überbietende Wahrheit entgegen
; denn der chrifllichen Religion eignet, cultur-
gefchichtlich angefehen, eine ganz andere Lebenskraft
und Lebensfreudigkeit als dem peffimiftifchen Buddhismus.
So kommt es fchliefsiich darauf an, in welcher Form
das Chriftenthum dem Einzelnen gerade entgegentritt.
,Da hängt nun mein Glaube an die Zukunft der chrifllichen
Religion daran, dafs ich eine Wirklichkeit der
chrifllichen Religion kenne, der meines Ermeffens ein
edler, ernfllich fuchender Menfch fleh nicht entziehen
kann, fobald er ihr unter nicht ganz ungünlligen Um-
ftänden begegnet'. (S. 20). Diefe Wirklichkeit zu be-

fonders die Majuskel-Funde, aber zugleich durch den | fchreiben, ftellt fleh Rade zur Aufgabe
Verzichtauftextgefchichtliche Verarbeitung fleh charakteri- Das Chriftenthum ftellt fleh ihm dar als gegen-

firt, während wir jüngeren bei aller augenblicklich vor- wärtiges Erlebnifs (23—46), als Erinnerung (45—62)
handenen anti-Weftcott-Hort Stimmung doch fammt und j und als Hoffnung (63—80). Die Schätzung des
fonders von der mit dem alten Griesbach in innerem
Zufammenhang flehenden Methode diefer beiden eng-
lifchen Textkritiker beeinflufst find. Dafs nun bei aller
Differenz der Methode Weifs in feinen einzelnen Ent-
fcheidungen fo vielfach mit W.-H. zufammentrifft, fpricht
m. E. für die Vortrefflichkeit beider Methoden und follte
ftärker beachtet werden, als gemeinhin gefchieht.
jena von Dobfchütz.

Chriftenthums als eines gegenwärtigen Erlebnifses
ift eine fehr verfchiedene. Der Verf. unterwirft einige
Formen diefer Beurtheilung einer feinfinnigen Analyfe:
das Erweckungschriflenthum, das Pietätschriftenthum,
das Inftitutions- und Kirchenchriftenthum erfahren eine
eindringende Prüfung, welche den Weg zum Verftändnifs
des ,rechten Gegenwartschriftenthums' bahnt. Dasfelbe
erlebt der in der Erziehung des chrifllichen Haufes und
der chrifllichen Gemeinde heranreifende Menfch normaler
Weife in der ,Reibung mit chrifllichen Inftitutionen und
Rade, .Martin, Die Wahrheit der christlichen Religion, frommen Persönlichkeiten'. (38.) Was wir aber dabei

Tübingen, J. C. B. Mohr, 1900. (VII, 80 S. gr. 8.)

M. I.— ; geb. M. 1.60

Ein überaus anziehendes, durch die Fülle anregender
Gedanken und die Frifche edler echt populärer

Darflellung gleich ausgezeichnetes Büchlein. Es enthält

erfahren und erleben, ift kurz ein Dreifaches: ,dafs wir
trotz unferer Unvollkommenheit des heiligen Gottes
Kinder find und von ihm Vergebung der Sünden haben;
dafs wir allen Schickungen und Lebenslagen Herr werden
, indem wir in Gottvertrauen und Geduld fie uns als
diefes heiligen Gottes Willensäufserungen deuten; dafs

die in Frankfurt a. M. im November 1899 gehaltenen wir aus eben diefes Gottes Willen eine klare, durch

,apologetifchcn Vorträge', welche die Fortfetzung zur
erften Reihe der 1898 gehaltenen Vorträge bildet. Eine
dritte Reihe foll Einzelfragen des chrifllichen Glaubens
und der chrifllichen Weltanfchauung behandeln: Gott,
Chriftus, Geift und Natu-, Schöpfung, Erlöfung, Bibel u. f. w.

In einem erften Capitel /Was ift Wahrheit?' (1—22)
beleu chtet der Verf. ,den Unterfchied zwifchen wiffen-
fchaftlichcr Wahrheit, die der Erfcheinungswelt in allen

keine irdifche Macht zu beugende Richtung unferes
Handelns gewinnen, einen unerfchöpflichen Mut der
Gerechtigkeit' (41—42). Weiter ift die chriftliche Religion
eineErinnerung, die wirmit der ganzen chrifllichen
Religionsgemeinde theilen, und kraft welcher wir die
Vergangenheit uns zu eigen machen und zu einem Stück
unferes lebendigen heutigen Dafeins erheben. Das
Problem der Vermittelung diefer und der ewigen

ihren Phafen Herr zu werden fucht, und einer geiftigen i Schätzung des Chriftenthums findet feine ebenfo ein

Wirklichkeit, die im Innerften des Menfchenwefens ihre
geheimnisvollen Wurzeln hat und ihre für die Wiffen-
lchaft fchliefsiich incommenfurablen, dennoch für die
Menfchheit und ihre G'-fchichte mächtig tragenden Aefle
treibt' (S. 9). Es handelt fich hier um die Wahrheit, die
Lebenswirklichkeit ift, echtes perfönliches Leben, wonach
die Menfchenfeele verlangt, — um die Wirklichkeit
der chriftlichen Religion, als des in Jefus Chriftus den
Menfchen aufgegangenen Lebens. Die chriftliche Religion
ift zunächfl eine Thatfache, die einen wefentlichen Be-
ftandtheil der menfchlichen Geiftesgefchichte bildet und
deren Exiftenz in der uns umgebenden Erfcheinungswelt
Jeder anerkennen mufs. Sie ift aber auch zweitens ein

fache als geiftvolle Löfung in der pfychologifchen Aus-
einanderfetzung über das Wefen der Erinnerung. ,Erinnerung
ift in den Perionen, die fie haben und lortpflanzen,
Gegenwart' (53). Diefe Plrinnerung ift .eine Kunft, die in
Freiheit geübt werden darf und mufs. In der Pflege
diefer Kunft hat fich aber der religiöfe Menfch ein
doppeltes klar zu machen. Einmal mufs er darauf ge-
fafst fein, dafs einzelne Gefchichten und Vorftellungen,
an denen feine Seele bis dahin hing, ihm bei genauerem
Zufehen abhanden kommen. Zum zweiten müffen wir
uns bewufst bleiben, dafs der religiöfe Werth einer Begebenheit
oder eines ganzen Gefchichtsverlaufes überhaupt
durch keine Gefchichtsforfchung bewiefen oder

Gegenfland der Wahl, der freien Aneignung. Diefe beftimmt werden kann: das thut allein der Glaube, die
Wahl fleht zwifchen den vorhandenen gefchichtlichen j eigene religiöfe Erfahrung. So erfpart uns die ErReligionen
, die lieh alle einer Prüfung zu unterwerfen innerung unferer Religionsgemeinde weder in ihrer
haben, welchen Werth fie für die Gefammtheit fowohl naiven Geltung noch in ihrer wiffenfchaftlich-gelehrten
wie für den Eineeinen befitzen. Mit Recht weift Rade Fundamentirung die Entfcheidung in religiöfen Dir.gen,

nach, dafs bei diefer Wahl der Buddhismus allein in

das eigene Glauben und Erleben. — In feiner BeBetracht
kommen könnte; ift doch das Judenthum, ge- | urtheilung des Chriftenthums als Hoffnung bleibt Rade
fchichtlich verflandtn, nur das in feiner Entwickelung dem Grundgedanken, der fich durch feine Vorträge
flecken gebliebene Chriftenthum; ift doch vor allem der hindurchzieht, treu. Wie er die Erinnerung als gegen-
Islam eine geillig überwundene Gröfse. Was endlich | wärtigen Befitz fafst, auf den man fich nur befinnen, den