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Ausgabe:

1900 Nr. 23

Spalte:

631-633

Autor/Hrsg.:

Lisco, Heinrich

Titel/Untertitel:

Vincula Sanctorum. Ein Beitrag zur Erklärung der Gefangenschaftsbriefe des Apostels Paulus 1900

Rezensent:

Clemen, Carl

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631 Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 23. 632

wird. S. Ii (Mitte) wäre noch der Nahr el-Audschä
anzuführen, der, was Waffermenge anlangt, der zweit-
gröfste Flufs Paläftinas ift. esch-Scheriat-el-Kebire ift
beffer mit ,die grofse Tränke' als mit ,der grofse Flufs'
zu überfetzen (ibd.) Mit Recht läfst C. den Untergang
der Aegypter im Schilfmeer als gefchichtliche Thatfache
gelten (S. 44); man müfste andernfalls geradezu ein die
Macht des neuen Gottes fo offenkundig bezeugendes
Ereignifs poftuliren, um den fchnellen Eingang der
Jahwereligion bei den hebr. Stämmen zu erklären. Trotz
W. M. Müller ift die Gleichfetzung von äg. Pursta mit Pclischtim
(S. 46 f.) doch noch fraglich. Die Züchtigung
der Bewohner von Sukkoth und Penuel fällt — anders,
als es S. 54 fcheint •— vor die Niederftofsung der gefangenen
midianitifchen Häuptlinge. Die Zeichnung von Saul,
den C.mit FriedrichWilhelm IV. vergleicht, ift wenig glücklich
und in fich widerfpruchsvoll (f. auch S. 315f.); von
feiner ,grofsen Seele' (S. 67) merkt man in der Schilderung
wenig. Dafs David zu Sauls Lebzeiten nach deffen
Throne getrachtet habe, ift mit Recht abgelehnt (S. 70),
dagegen trifft es nicht zu, dafs er nach feiner Flucht
vor Saul in Juda nicht fowohl als Freibeuter, fondern
als Abenteuer fuchender, fahrender Ritter zu denken fei
(S. 71); der politifchen Klugheit, die er gerade damals
fo glänzend bewiefen und die fein ganzes Handeln be-
herrfchte, wird damit nicht genügend Rechnung getragen.
Treffend ift der Vergleich Joabs mit Hagen von Tronje
(S. 76). Wenn fich David nach Abfalom dehnte' (S. 82).
warum verbannt er ihn dann nach feiner Rückkehr nach
Jerufalem noch von feinem Hofe? Salomos Bild ift etwas
zu ideal ausgefallen. Die Wiedergabe von Samaria mit
,Wartburg' (S. 104) ift mehr originell als richtig. Bei der
Schilderung des Hohenpriefters Jafon ift mit Recht der
Bericht 2 Makk. 4t. dem des Jofephus {Ant.jud. XII, 5, 1)
vorgezogen; der entfcheidende Grund für Jafon's Abfetzung
war nicht fowohl, dafs ihn Menelaos in der
Pacht überbot (S. 195 f.), fondern feine ptolemäerfreund-

und von Alexander, dem Schmied, verklagt und von allen
Gefährten verlaffen, zum Thierkampf verurtheilt. Aber
der auf ihn losgelaffene Löwe verfchonte ihn, das Volk
bat für ihn und der Proconful erliefs ihm die Strafe.
So entftand der 2. Timotheus- und Philipperbrief und
nach feiner Freilaffung in Macedonien 2. Cor. B, das nach
Athen beftimmte 15. Capitel des erften Corintherbriefes
und 2. Cor. C.

Wie Lisco zu diefen Aufftellungen gekommen ift,
fetzt er felbft in der Einleitung zu feinem Buche auseinander
. Er geht aus von der Bezeichnung des An-
dronicus und Junias als GvvaiyßäXmxoi des Apoftels in
dem nach Ephefus gerichteten 16. Capitel des Römerbriefes
und combinirt damit die Localtradition von einer
Gefangenfchaft des Paulus in Ephefus, die Anfchauung
des Petrus Lombardus, Lanfranc und Erasmus, der Ko-
lofferbrief fei aus einer ephefinifchen Gefangenfchaft ge-
fchrieben, fowie namentlich das Citat des Nicephorus
Kallifti (II, 25) aus den jceoiodoi IIa.vX.ov über deffen
Thierkampf in Ephefus. Ferner fei das Schweigen über
die Galater und Ephefer Rom. 15, 26 nur daraus zu erklären
, dafs deren Beiträge zur Collecte dem Apoftel
geraubt worden feien, wie das nach Jof., mit. XVI, 6
gerade in Ephefus öfters vorkam. Endlich deute auch
Rom. 15, 31 und 2. Cor. B und C, fowie Act. 19 f. darauf
hin, dafs ihm dort die Juden auf Grund der Collecte
Schwierigkeiten bereiteten. Dafs die Apoftelgefchichte
nichts davon wiffe, erkläre fich aus ihrer Ueberarbeitung
durch die Johannesjünger und Ariftion; dafs aber in
Wahrheit damals auch die Gefangenfchaftsbriefe ent-
ftanden feien, werde vom Muratorianum, der älteften
Ordnung der paulinifchen Briefe und Origenes in der
Einleitung zum Römerbriefcommentar vorausgefetzt. Und
fo wirft denn Lisco die Frage auf, ob diefe verfchiedenen
Ueberlieferungen nicht gefchichtlich feien.

Referent, der feinerzeit felbft eine von der Tradition
abweichende und feither freilich aufgegebene Datirung

liehen Neigungen (vgl. Büchler,Tobiaden u. On., S. 112ff.), des Galaterbriefes vertreten hat, darf das Recht zu
Warum hätte er fonft nöthig gehabt, zu fliehen? Sein Tod einer folchen Frageftellung am wenigften beftreiten. Er
in Sparta (S. 197) ift mehr als unwahrfcheinlich; mög- giebt daher auch gern zu, dafs er von Lisco nicht nur
licherweife find mit den Lakedämoniern des 2. Makk. die von Neuem gelernt hat, wie viel und deshalb wie wenig
dorifchen Griechen der Kyrenaika gemeint. Doch damit ; fich aus dem gemeinfamen Wortfehatz zweier Schriften
genug. Das vortreffliche Buch wird, wie das fich eben- | beweifen läfst, fondern dafs er auch im Verftändnifs der
falls auf Vorträge aufbauende, vom felben Verf. her- Gefangenfchaftsbriefe und des Lebens Pauli hier und

rührende ausgezeichnete Werkchen über den israelitifchen
Prophetismus (1894), feinen Weg in die breitere Oeffent-
lichkeit nehmen und fei angelegentlich empfohlen. Möge
es der von ihm vertretenen Gefchichtsauffaffung recht
viele neue und warme Freunde erwerben.

Marburg. R. Kraetzfchmar.

Lisco, Dr. H., Vincula Sanctorum. Ein Beitrag zur Erklärung
der Gefangenfchaftsbriefe des Apoftels Paulus.
Berlin, F. Schneider & Co., 1900. (IV, 159 S. gr. 8.)

M. 3--

Der Verf. der vorliegenden Schrift hat fich in wiffen-
fchaftlichen Kreifen bisher namentlich durch feine Arbeiten
über die Corintherbriefe bekannt gemacht, über die in
diefer Zeitung Jahrg. 1895, 207 ff. und 1897, 556 ff. referirt
wurde. Jetzt glaubt er zwifchen den von ihm in 2. Cor.
unterfchiedenen Briefen A einer- und B und C andererfeits
auch die (fämmtlich echten) Gefangenfchaftsbriefe, fowie
die paulinifchen Beftandtheile der Paftoralbriefe und das
nachträglich noch ausgefchiedene 15. Capitel des erften
Corintherbriefes unterbringen zu können. Genauer foll
Paulus nach jenem Briefe 2. Cor. A nach Ephefus zurückgekehrt
, dort in Streitigkeiten über die Collecte verwickelt
und mit mehreren feiner Begleiter in Haft genommen
worden fein. Noch vorher fchrieb er an Titus
in Kreta; aus dem Gefängnifs an die Koloffer und Ephefer.
Dann wurde er vor das Gericht des Proconfuls geftellt

da durch ihn gefördert worden ift. Aber im Allgemeinen
glaubt er allerdings feine Theorien durchaus
ablehnen zu müffen; ja, er hat den Eindruck, als ob
fich mit demfelben Rechte fo ziemlich alles behaupten laffe.

Schon die Vermuthungen über Rom. 15, 26. 31 find
ja ganz unficher; die Chronologie der Paulusbriefe im
Muratorianum und bei Origenes aber erklärt fich wohl
eben aus ihrer felbft nicht wieder chronologifchen Anordnung
in den älteften Handfchriften. Vollends die
Gefangenfchaftsbriefe felbft paffen in die Zeit einer ephefinifchen
Gefangenfchaft nur dann, wenn man in fie Beziehungen
zu den Corintherbriefen erft hineinlieft und
diefe fo, wie es Lisco früher gethan hat, erklärt. Ja,
noch gefuchter find die Hinweife auf die Collectenange-
legenheit, die er namentlich im Philipper-, und diejenigen
auf die perfönliche Lage, die er im Epheferbriefe findet.
Dort foll z.B. zu 1, 24 zu ergänzen fein: um das Werk
der Collecte zu Ende zu führen und 2, 17 bedeuten:
wenn ich denn auch als ein Opfertrank ausgegoffen
werde, während euer Glaube fein Opfer und feine
Dienftleiftung darbringt, fo freue ich mich und freue
mich mit euch allen; hier foll 1, 20 ff. an den Aufenthalt
des Apoftels hoch über der Stadt erinnern, die
et-ovOia xov aenog 2, 2 an den über ihr ausgebreiteten
Dunft, das fiaxoav und syyvg V. 13 an die nahen und
fernen Theile der Stadt bis hin zum Tempel der Diana,
das xoaxaico&ijväi 3, 16 und das otXäxog, ur/xog, ßa&og
und vipog V. 18 an das Marke, geräumige Gefängnifs, in
dem Paulus fafs. Ja, fogar 4,8 foll bedeuten, ,dafs Chriftus