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Ausgabe:

1900 Nr. 21

Spalte:

593-595

Autor/Hrsg.:

Fischer, Engelbert Lorenz

Titel/Untertitel:

Der Triumph der christlichen Philosophie gegenüber der antichristlichen Weltanschauung am Ende des XIX. Jahrhunderts 1900

Rezensent:

Elsenhans, Theodor

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 21.

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gleichzeitig aber die Metaphyfik, und zwar in der Form Am wenigften tritt dies im erften Abfchnitte, in der

eines .objectiven Idealismus' neubegründen wollte. Auch j .erkenntnifstheoretifchen Grundlegung' zu Tage. Der er-
nach Kant dürfen und müffen wir uns über den mundtts j kenntnifstheoretifche Idealismus Kant's, der pofitiviftifche
intelligibilis Gedanken machen. Es ift nur zu unter- j Realismus A. Comte's, der Semirealismus J. H. v. Kirch-

fcheiden zwifchen dem an die Data der Sinnlichkeit ge
bundenen wiffenfchaftlichen Erkennen und dem in das Reich
der Ideen hineinreichenden vernunftgemäfsen Denken

mann's, der transcendentale Realismus E. v. Hartmann's
werden zurückgewiefen. Auch der .extreme Realismus'
des Jefuiten T. Pefch, nach welchem wir .die Dinge fo

Durch Ideen wird die intelligible Welt für unfer Denken wahrnehmen wie fie find' und der in der Wahrnehmungs

durchaus eindeutig beftimmt. Zunächft von der prak
tifchen Vernunft her, aber auch durch die Hinweife auf
die Ideenwelt, wie fie in Gefchichte, Natur, Kunft fich
finden. Beachtenswerth ift hierbei Kant's relative Werth-
fchätzung des phyfikotheologifchen Beweifes für das Dafein
Gottes. Religion allerdings kann die fpeculative Vernunft
als folche weder hervorbringen noch begründen. Zur Gottheit
wird das ,Urwefen' des fpeculativen Denkens erft
durch die moralifchen Prädikate der Weisheit und Güte,
die ihm der .praktifche Glaube' beilegt. Dabei ift eine Ver-
finnlichung der Idee Gottes durch Attribute menfchlichen
Wefens unvermeidlich. Kant's Weltanfchauungiftdaher: ein
Theismus in der Form eines fymbolifchen Anthropomor-
phismus. Mit diefen von ihm fo gefafsten Grundgedanken
Kant's befindet fich Paulfen in wefentlicher Uebereinftim-
mung; er will nur eine mehr empirifche und phyfiologifche
Begründung geben, insbefondere des Primats des Willens,
der Bedingtheit der Weltanfchauung durch die unmittelbar
vom Willen abhängige Schätzung des Lebens und
der Lebenswerthe. An letzterem Punkte berührt fich P.
mit W. James' ,der Wille zum Glauben', während die
ftarke Betonung des Symbolifchen in der Religion an
den ebenfalls von Kant ausgehenden .kritifchen Symbolis

lehre idealiftifche und in der Vernunftlehre realiftifche
,Ideal-Realismus', als deffen Vertreter katholifche Ge-
finnungsgenoffen des Verf. wie J. Balmes, G. Hagemann,
G. v. Hertling, C. Gutberiet, AI. v. Schmid genannt
werden, erfcheint dem Verf. unbefriedigend. Er bekennt
fich zum ,kritifchen Realismus', d. h. zu der Anfchauung,
dafs die äufseren Wahrnehmungsgegenflände ,etwas Ob-
jectives' find, aber nicht rein objectiv, nicht die eigentlichen
fubftanziellen Dinge, fondern nur deren Erfchei-
nungen. Die thatfächliche Harmonie der Gefetze unferes
Denkens mit den Gefetzen der objectiven Welt, auf
welcher die Möglichkeit unferer realen Kenntnifs beruht,
weift aber auf ein gemeinfames abfolutes intelligentes
Princip, d. h. auf Gott hin, ohne welches diefelbe unerklärlich
bleibt. Der zweite Abfchnitt führt die moderne
antichriftliche Weltanfchauung hauptfächlich den ,mecha-
nifchen Entwickelungs-Monismus' mit feinen Hauptpropheten
in Deutfchland: D. F. Straufs und E. Häckel im
Kampfe mit der chriftlichen Philofophie vor. Der Lehre
von der Abfolutheit der Materie, von der Ewigkeit und
Unendlichkeit der Welt wird der Satz gegenübergeflellt:
das allererfte Gewordene in der Welt ift der Stoff und
diefer fetzt nach dem Kaufalitätsgefetze nothwendig ein

mus' A. Sabatier's (vgl. Theol. Lit. Ztg. 1896 Nr. 26) rein thätiges und durch fich felbft feiendes und darum
erinnert. In Beziehung auf Paulfen's Darftellung Kant's ewiges d. h. ein abfolutes Wefen voraus, durch das er
aber dürfte das von ihm felbft citirte Urtheil Vaihinger's i hervorgebracht wurde. Im Anfchlufs daran wird ein nicht

der Wahrheit am nächften kommen: dafs Kant's eigentliche
Anfchauung die von P. bezeichnete fei, dafs Kant
fie aber nur wie durch einen Schleier fehen laffe, während
P. fie in das helle Tageslicht ftelle und dadurch doch
die Gedankenbildung verändere — ein Urtheil, deffen
methodologifches Princip fich übrigens nicht weniger
gegen den Kant der P. angreifenden .orthodoxen
Kantianer', wie überhaupt gegen jedes Hineintragen
moderner Problemftellung (nicht blofs moderner Er-
kenntnifsinhalte) in ältere Gedankenbildungen anwenden
läfst. >

Riedlingen a D. Th. Elfenhans.

Fischer, Geh. Kammerhr. Stadtpfr. Msgr. Dr. Engelbert
Lorenz, Der Triumph der christlichen Philosophie gegenüber
der antichristlichen Weltanschauung am Ende des
XIX. Jahrhunderts. Eine Festgabe zur Säcularwende.
Mainz, F. Kirchheim, 1900. (XVI, 398 S. gr. 8.) M. 6.—
,Wer die ganze Summe eingehender fcharfer Kritik,

die Selbftändigkeit und Mannigfaltigkeit der hier zur

Löfung der fchwerften Probleme entwickelten Gedanken

zu würdigen weifs, wird nolens volens zugeftehen müffen, unklar. Aus einer Stelle der Encyclika ,Actirni Patris1-

fehr glücklicher Verfuch gemacht, die Kant-Laplace'fche
Welterklärung mit dem Schöpfungsbericht in Einklang
zu bringen. Der Inhalt des Gottesbegriffs wird aus dem
,Grundwefen' der Dinge abgeleitet. Wenn die verfchie-
denen Dinge kaufal aufeinander wirken follen, wie dies
thatfächlich der Fall ift, fo mufs es zwifchen ihnen etwas
Gemeinfchaftliches geben. Diefes allen Dingen Gemein-
fchaftliche, d. h. ihr Grundwefen befteht einerfeits darin,
dafs fie in Folge ihrer Kräftefyftematik Energie oder
Wirkungsfähigkeit befitzen — dies ihre reale Seite —,
andererseits darin, dafs von Natur aus in allen die Gefetze
der Vernunft walten — dies ihre ideale Seite. Aus
der Zufammenfaffung beider Fundamentalbeflimmungen
ergiebt fich, dafs die Vernunftenergie das Grundwefen
alles Wirklichen ausmacht. Während aber die Weltdinge
relative oder bedingte Vernunftenergien find, ift Gott die
,abfolute Vernunftenergie'. Tieferes Intereffe, als diefe
zuletzt doch nur eine neue Wortbildung aber keine Erklärung
darfteilende Spekulation zu erwecken vermag,
mufs die FYage erregen, welche Stellung die ,chriftliche
Philofophie' des katholifchen Prälaten und Landsmannes
Schelks zur kirchlichen Autorität einnimmt. Die Antwort
ift, wie häufig in Werken diefer Art, ausweichend und

dafs von einer „geiftigen Inferiorität" oder „Rückftändigkeit"
hier keine Rede fein kann'. Diefes Urtheil des Verf. über
fein eigenes Buch (S. VI) hat Ref. doch nicht ganz be-
ftätigt gefunden. Es fehlt zwar nicht an eingehender
Kenntnifs der philofophifchen Probleme und ihrer Gefchichte
, wie bei dem ,feit einem Vierteljahrhundert in
der wiffenfchaftlichen Arena' flehenden Verf. nicht anders
zu erwarten ilt, auch nicht an einem gewiffen kritifchen
Scharffinn; aber der Anfpruch des Verf., damit eine
.Schlufsabrechnung zwifchen der chriftlichen und der anti-
chriftlichen Philofophie am Ende des 19. Jahrhunderts'
darzubieten, mufs zurückgewiefen werden, da das Buch
im Wefentlichen nur eine Anwendung der philofophifchen

Methoden vergangener Jahrhunderte auf moderne Pro- I jede Wiffenfchaft ohne Ausnahme beachten," wenn fie
bleme darfteilt.

wird gefolgert, dafs die chriftliche Philofophie des Mittelalters
nur fo weit heutzutage Geltung hat, als fie eben
haltbar ift; wo dagegen Richtigeres und Befferes an ihre
Stelle gefetzt werden kann, da möge es gefchehen. .Hiermit
ift alfo auch feitens der kirchlichen Autorität die
Freiheit der Forfchung der chriftlichen Philofophie gewahrt
. Diefe Freiheit hat eigentlich (!Ref.) nur eine
Schranke: die Wahrheit, welche freilich zwei correfpon-
dirende Seiten befitzt: die Wahrheit des vernünftigen
Denkens oder der Logik, und die Wahrheit der objectiven
Thatfachen oder der Realität — die formale und
die materiale Wahrheit. Diefe Schranke mufs nicht nur
die chriftliche, fondern überhaupt jede Philofophie, fowie

nicht fich felbft aufgeben will (S. 18)'. Die Art, wie hier