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Ausgabe:

1900 Nr. 19

Spalte:

545-547

Autor/Hrsg.:

Zahn, Adolph

Titel/Untertitel:

Über den biblischen und kirchlichen Begriff der Anrechnung 1900

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 19.

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nicht getagt fein, ,dafs gar kein Act der abfoluten fidu- I der gottlofc Abraham und wird lediglich als gerecht
cia erra Dann vollzogen werden könne, ohne dafs jedes- t betrachtet und gefchätzt.--Eben als er glaubte, war

mal die fides in Christum mitfchwänge. Aber mindeftens

er in fich vollkommen erftorben und todt. Er war am

das mufs behauptet werden, dafs, wie die erftere über- gottlofeflen, als er gerecht wurde. Die ihm zugefprochene

haupt blofs innerhalb des Bereiches des Chriftenthums , Gerechtigkeit verfchlang feine Sünde, feinen Tod, feine

vorkommt, fo der einzelne nur zu ihr gelangt, indem er 1 ganze geiftig leibliche Erftorbenheit' (S. 4 f.). Der An-

irgendwie bewufst oder unbewufst einmal durch die letz- j rechnungsbegriff beherrfcht dann den ganzen alttefta-

tere hindurchgegangen ift'(S. 147 f.). Aus der gewonnenen mentlichen Ceremonialdienft, das Priefterthum und die

Erkenntnifs zieht der Verf. fchliefslich die Confequenzen 1 Opfer. Ebenfo ift er der Grundbegriff im N. T. ,Das

für die praktifche Verkündigung des Chriftenthums. Der J Verhältnifs des Herrn zu den Jüngern ift kein anderes

chriftliche Prediger mufs ,den hiftorifchen Chriftus be- als das der fteten Anrechnung' (S. 13). Dies hat fpeciell

fchreiben, wie er einerfeits als der Prediger und Bringer Paulus ausgeführt. Die xaraUayi'/ ift nur ein grofser

oder Zufprecher des Gottesreichs fich allen und fpeciell
den gebeugten Sündern, den Hungernden und Dürften-
den, den Mühfeligen und Beladenen liebevoll zuwandte,

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.Umtaufch', in dem das Leiden, Sterben und Auferftehen
Chrifti den Gottlofen angerechnet wird (S. 15). Der Begriff
der Anrechnung erleuchtet namentlich auch das

und wie er andererfeits den Erfolg diefer feiner Thätig- Geheimnifs der Perfon Jefu Chrifti (S. 18). Chriftus mufste
keit bekräftigte und befiegelte, indem er die von ihm in j Fleifch werden, um die Sünde Adams angerechnet be-
Anfpruch genommene Würde in Armuth und Leiden, kommen zu können. Wie tief diefe Imputation geht,
Noth und Tod behauptete. Die Dogmatik hat den zeigt u. A. die ,anbetungswerthel Stelle Luc. 2 22, wo von
Rahmen für dies gewaltige Doppelbild gefchaffen, indem den Tagen ihrer Reinigung, d. i. der Reinigung der Maria
fie die Lehre vom prophetifchen und hohenpriefterlichen und des Jefuskindes die Rede ift (S.21). Nach den ^Jahr-
Amt entwarf (S. 149). Diefes Chriftusbild wird aber das ! hunderten der in IL Theff. 2 und L. Tim. 4 geweisfagten
rechte Gottvertrauen nur dann hervorrufen, wenn der j Apoftafie, während welcher die Rechtfertigungslehre
Prediger zugleich die gegenwärtige Wirklichkeit des durch nicht verftanden war, haben die Reformatoren diefe
Chriftus verliehenen neuen Lebens als etwas Selbfterlebtes Lehre wieder in ihrem echten Sinne gepredigt und die
in Wort und That erkennen läfst. In einem Anhange orthodoxen Theologen des claffifchen Proteftantismus,
wird noch eine kurze Erörterung über den Glauben ,in d. i. des 16. und 17. Jahrhunderts, fie treu bewahrt. Aber
formaler Beziehung' gegeben, d. h. es werden die unter- durch den Pietismus, die Aufklärung und die moderne
fcheidenden Merkmale des Glaubens im Unterfchiede von Theologie ift die gefunde Rechtfertigungslehre dem Proanderen
pfychifchen Functionen aufgeführt und es wird teftantismus abhanden gekommen.

der Glaube abgegrenzt gegen die katholifche fidcs und Das, worauf es dem Verf. wefentlich ankommt, ift

gegen das Fürwanrhalten irgend einer Metaphyfik. 1 eine rein declaratorifche, forenfifche Faffung des Recht-

Die Arbeit im Ganzen ift als forgfältige, werthvolle , fertigungsbegriffes, verbunden mit einer Theorie von der
Unterfuchuug eines einzelnen, aber wichtigen Punktes , ftellvertretenden Sühnebedeutung Chrifti und mit einer
der chriftlichen Lehre anzuerkennen. Der Verf. hat den i ftreng reformirten Prädeftinationsvorftellung. ,Die Offen-
Grundgedanken, auf den es ihm ankommt, klar durch- : barung ift ganz prädeftinatianifch' (S. 86). ,Man ift entgeführt
und einleuchtend zu machen verftanden. Seine : weder biblifcher Theologe und dann wird man Calvinift
fchlichte Gedankenentwickelung, die freilich zuweilen j oder man ift Synergift und glaubt an feine dialektifchen
etwas breit ift und nicht ganz lrei von Wiederholungen, Spielereien, mit denen man zwifchen Gottes Theil und
ift anziehend durch ihre fachliche, befonnene und nicht MenfchenTheil in der Bekehrung unterfcheidet'(S.91). Das
von einfeitigen dogmatifchen Theorien beengte Haltung. ; ift der Grundfehler in der ganzen modernen Aufiaffung
I H H Wendt der Rechtfertigungslehre, dafs man irgendwie die menfeh-

■lena- | liehe Mitthätigkeit in den Rechtfertigungsvorgang ein-

-- mifcht oder an ihn anhängt. Jede Mitthätigkeit bringt

Zahn Dr th Adolph Ueber den biblischen und kirchlichen den Gläubigen wieder unter das Gefetz1 (S. 78). Eine

Begriff der Anrechnung. Ein Beitrag zur Rechtfertigungs- ^„"^ TkV,3"" wrUS' ^ "rVan

& a j c v, Kar Sir Cr, t8no cxti T2i S lagt' dafs der Menfch »eh bekehren laffen muffe. E n
lehre. Amfterdam, Scheffer & Co., 1899. (Alf,121 S. folches ^ ^ fe Activ,tät und ^ emj_

gr. 8.) M. 2.—; geb. M. 2.70 nente flttliche That ein Werk des Gefetzes, das von

Der zuerft in der Evangelifchen Kirchenzeitung ver- Paulus verdammt wird (S. 80). Jede Mitthätigkeit des
öffentlichten Abhandlung hat der Verf. bei diefer fepa- Menfchen ift nicht nur bei der Bekehrung, fondern auch
raten Herausgabe ein Vorwort und einige gröfsere Nach- bei der Heiligung ausgefchlofsen (S. 79). ,Der Synergistläge
hinzugefügt. Diefe Publication Hellt fich als eine j mus ift in jeder Form, vor oder nach der Bekehrung,
charakteriftifche compendiarifche Zufammenfaffung der ein Irrthum, denn er zerftört das Wefen des Glaubens,
biblifch-theologifchen, kirchenhiftorifchen und dogmati- der eben nichts anderes als eine ftete Verherrlichung der
fchen Anfchauungen 'des Verf.'s und feiner Kritik der j Macht Gottes ift in Zuftänden, in denen das eigene Ich
modernen Theologie dar. i nichts vermag und nichts vorausfieht' (S. nof).

Er will den biblifchen Begriff der Anrechnung, d. 1. Wle der Verf. die heilige Schrift nur unter einem

der angerechneten Gerechtigkeit, darlegen, der den beftimmten, fehr eng begrenzten Gefichtswinkel lieft, in
Schlüffel zum Verftändnifs der ganzen heiligen Schrift ihr nur einen beftimmten Gedankenkreis bezeugt findet
bildet. Diefer Begriff hat in der Schrift keine Entwicke- und gegen alles Andere in ihr feine Augen verfchliefst,
lung durchgemacht. ,Das Wefen des Wortes Gottes , fo beurtheilt er unter demfelben engen Gefichtswinkel
zwingt zu der Annahme, dafs Gott gleich am Anfang auch die Kirchengefchichte und die Theologie der Ver-
dasfelbe fagte, was er nachher immer nur wiederholte' gangenheit und der Gegenwart. Nichts findet vor ihm
(S. 2). So liegt der paulinifche Anrechnungsbegriff fchon , Gnade, was nicht genau zu feinem engen Gedankenkreife
in Gen. 15« vor, wo ihn Mofe, deffen Werk ,die Gründung ] ftimmt. Und er gefällt fich darin, leine Verdammungs-
der Kirchenfprache' ift, erftmalig feftgeftellt hat (S. I> urtheile draftifch und fummarifch zum Ausdruck zu
Wefentlich für den Begriff ift, dafs ,das Anrechnen ge- 1 bringen. ,Die neuere Zeit im Gebiete des Proteftantismus
fchieht bei Jemandem, der nichts in fich felbft Von diefem ift nach den Weisfagungen Luthers über den Verluft der
Angerechneten hat, ja vielmehr das Gegentheil von dem 1 Wahrheit, die er unter dem Schutt von Jahrhunderten herbefitzt
, was ihm angerechnet wird'. So ift auch in Gen. 15s vorgehoben hat, zu betrachten. Es ift die grofse Selbft-
nicht gemeint, dafs bei Abraham der Glaube die Gerech- Vernichtung des Proteftantismus, der zuletzt in den Gräueln
tigkeit war. Vielmehr ,auch der glaubende Abraham ift einer Kritik ohne alles Schamgefühl untergeht und das