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Ausgabe:

1900 Nr. 19

Spalte:

541-543

Autor/Hrsg.:

Lucas , Herbert

Titel/Untertitel:

Fra Girolamo Savonarola 1900

Rezensent:

Deutsch, Samuel Martin

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 19.

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an den Papft häufiger als je zuvor. — Mit einem Aus- Schriften über Savonarola zu fludiren und daraus entftand
blick auf die Politik Heinrichs IL, der die üblen Folgen zuerft eine Reihe von Auffätzen in der Zeitfchrift The
der bisherigen Entwickelung zu befeitigen gewufst habe, Tablet von 1898, dann die vorliegende Darftellung, bei

ohne den bleibenden Ertrag, den fie für England haben
follte, d. h. die fefte Eingliederung des Reiches in den
Culturverband der wert- und mitteleuropäifchen Staaten,
zu gefährden, fchliefst die Darftellung.

Der zweite Haupttheil, S. 163—266, befchäftigt fich
hauptfächtich mit dem .Yorker Anonymus' d. h. dem
Verfaffer einer Sammlung von 35 Tractaten (im Cod. 415
des Corpus Chrifti College in Cambridge), von denen
B. die wichtigften Stücke fchon in den Libelli de Ute III,
642—687 herausgegeben hat und jetzt den gröfsten Theil
des Ucbrigen in den Beilagen S. 436—497 folgen läfst. Er

der die Rückficht auf jene Controverfe in den Hintergrund
getreten ift. Neue Auffchlüfse zu bringen beab-
fichtigt er nicht, er will nur mit Benutzung der älteren
und neueren Veröffentlichungen und Forfchungen dem
englifchen Lefer, dem diefe nicht zugänglich find, eine
genaue Darfteilung der Vorgänge geben und damit eine
unparteiifche Beurtheilung der Dinge und Perfonen verbinden
. Dafs das Buch auf umfallender Bekanntfchaft
mit den Quellen beruht, läfst fich überall erkennen, auch
find reichliche Mittheilungen aus ihnen (in englifcher
Ueberfetzung) dem Texte eingereiht; die Literatur über

gelangt über ihn zu folgenden Ergebnifsen: Der Verfaffer j Sav. ift in ziemlichem Umfang benutzt, doch vermifst

ift Franzofe von Herkunft, um 1050 in der Normandie
geboren, gehört 1090 zu den Mitgliedern des Domcapitels
von Rouen, befindet fich bis 1096 in der Umgebung des

man die Schriften von Rudelbach und von Hafe. Auch
ift anzuerkennen, dafs der Verf. in der Erzählung objectiv
verfährt und dem Lefer auch folche Umftände nicht vor-

Eb. Wilhelm v. York, 1101—1104 des Eb. Gerard v. Rouen, enthält, die geeignet find, einer anderen Beurtheilung als

feine Perfon aber läfst fich nicht feftftellen. Die Tractate der feinigen zur Stütze zu dienen. Die Beurtheilung

zeigen ihn als entfchiedenften Gegner des Gregorianismus; fucht fowohl Sav. wie feinen Gegnern gerecht zu werden,

die vornehmfte Kirche ift die von Jerufalem, nicht von Bei jenem wird Ernft und Reinheit feines fittlichen Stre-

Rom, das Privilegium des Petrus war das Lehramt für bens anerkannt; die Behauptung, dafs er doch nur ober

die Juden, nicht die Regierung der Gefammtkirche. Erft
in fpäterer Zeift ift, weil wegen der Glaubensfpaltungen
eine einheitliche Leitung der Kirche nothwendig fchien,
diefe dem römifchen Bifchof übertragen worden; folgerichtig
mufs mit dem Aufhören diefer Spaltungen auch
fein Vorzug als erlofchen angefehen werden. Weiter
werden die befonderen Rechte, die die Päpfte für fich

flächliche Wirkungen hervorgebracht habe, wird u. A.
mit Berufung auf Perfonen, wie Picus von Mirandola,
der ihm eine dauernde Wandelung feiner ganzen Lebensrichtung
verdankte, zurückgewiefen, feine Anftrengungen,
bei Hungersnoth und Seuche in Florenz thätige Hülfe
zu gewähren, finden volle Würdigung. Dafs der Verf.
aber Sav. den Ungehorfam gegen die Kirchengewalt als

in Anfpruch nehmen, die oberfte Gerichtsbarkeit in der Schuld anrechnet, darin vertritt er nur den correct katholi-
Kirche die eigene Befreiung von jeder Jurisdiction, das ! fchen Standpunkt und man wird ihm den katholifchen
Recht 'der Ertheilung von Exemtionen, die Einfetzung j Vertheidigern Sav.'s gegenüber Recht geben müffen.
von Primaten (dies befonders im Intereffe des Stuhles j Was man von diefer Seite zu Sav.'s Entladung beige-
von Rouen gegen die Primatialanfprüche von Lyon) ( bracht hat (der Papft fei nicht berechtigt gewefen, die
einer radicalen Kritik unterzogen. B. hat Recht, dafs toskanifchen Klöfter ftrenger Obfervanz wieder der Geeine
derartige Kritik in diefer Zeit fingulär ift und an ! meinfehaft der Conventualen unterzuordnen, die Wahl
die mehr als 200 Jahre fpätere von Marfilius und Wiklif , Alexanders VI. habe wegen der dabei vorgekommenen
erinnert. Mit Marfilius dürfte den Anonymus auch info- Simonie als ungültig angefehen werden können — wofern
eine innere Verwandtfchaft verbinden, als bei ihm J rüber doch jedenfalls nicht dem einzelnen Priefter das
wie bei ienem geiftlich ausfehende Argumentationen : Urtheil zuftand), wird fchwerlich als ftichhaltig anzufehen

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einer im Grunde von weltlichen Beweggründen aus.
gehenden Oppofition dienen. Dabei ift freilich die
Theorie des Marfilius, der in der chriftlichen Obrigkeit
die Repräfentation der chriftlichen Gemeinde fieht und
ein allgemeines Concil als höchfte geiftliche Autorität

fein; f. dagegen die Bemerkungen des Verf. S. 220 ff.,
249 ff. Ja, L. dürfte Sav. noch zu milde behandeln!
wenn er ihn nicht für fchwer belaftet anfehen will.'
Sav. hat die formell jedenfalls zu Recht beftehende päpft-
liche Excommunication mifsachtet, und was er für diefes

betrachtet ungleich würdiger und rationeller als die des Verhalten zu feiner rechtlichen Deckung aus Paludanus

Anonymus, die auf einen extremen Cäfaropapismus hinaus
kommt, begründet auf die vermeintliche priefterliche
Würde, die der König durch die Salbung erhält. Damit
war der Gregorianismus natürlich nicht zu überwinden

und Gerfon — übrigens, wie L. richtig urtheilt, in ganz
unzutreffender Weife — beibringt, das find doch nicht
die ihn wirklich beftimmenden Momente, vielmehr handelt
er aus dem Gefühl, dafs er der heiligen Schrift

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Zum Schlufse noch ein paar einzelne Bemerkungen, und feinem Gewiffen mehr folgen müffe, als der kirch

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Die von Röfsler her übernommene Bezeichnung der
Anjous in den Kämpfen von 1134— 1156 als die kaifer-
liche Partei, die Kaiferlichen, ift doch wenig fach-
gemäfs; höchftens dürfte man von einer Partei der
Kaiferin reden. — Honorius A ugu ftodunen fis follte
nicht mehr als Honorius von Autun bezeichnet werden.
— In den Texten des Anonymus S. 441, IV in. ift für
aliler ohne Zweifel acquahter zu lefen.

Die gründliche Arbeit bildet einen werthvollen Beitrag

liehen Autorität, wenn er diefen Grundfatz auch nicht
zu der theoretifchen Klarheit ausgebildet hat wie Wiklif
und Hus und nachmals Luther. Dem gegenüber kann
ihn weder feine fonft correcte Dogmatik noch diefe und
jene Aeufserung der Unterwerfung unter das Urtheil der
Kirche, wie fich dergleichen auch bei Luther bis zum
Jahre 1520 finden, wirklich entladen.

Die Anerkennung einer Schuld Sav.'s, vom Standpunkte
des katholifchen Kirchenthums aus, fchliefst nun

zur kirchenpolitifchen Gefchichte des 11. und 12. Jahr- aber eine gewiffe Entlaftung feiner Gegner und Richter
hunderts. 'n "cn' fchon Hafe hat geltend gemacht, dafs es nach

Berlin. S. M. Deutfch.

Lucas, Herbert, Fra Girolamo Savonarola. A biographical
study, based on contemporary documents. London,
Sands & Co., 1899. (XXXII, 474 S. gr. 8.) Geb. 7 sh. 6 p.
Der Verf. erhielt den erften Anlafs zu feiner Schrift
durch die Aufforderung, über den Savonarola betreffenden
Streit zwifchen Paftor und Luotto zu berichten; er
hielt es für nöthig, zu diefem Zwecke die zeitgenöffifchen

den obwaltenden Verhältnifsen möglich war, Sav. mit
Ueberzeugung zu verurtheilen, und dasfelbe bemüht fich,
mit etwas anderer Begründung, Lucas darzuthun. Natürlich
ift damit nicht Alles, was gegen Sav. gefchehen ift, auch
nur relativ zu entfchuldigen. Die Fälfchungen Ceccones,
den verleumderifchen Bericht Romolino's an den Papft
verurtheilt auch L., nur fucht er hinfichtlich des letzteren
den Dominikanergeneral von der Mitfchuld zu befreien
— mit nicht ganz zureichenden Gründen. Im Uebrigen
geht er in dem , Alles zum Beften wenden' ziemlich weit.