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Ausgabe:

1900 Nr. 19

Spalte:

536-538

Autor/Hrsg.:

Wobbermin, Georg

Titel/Untertitel:

Altchristliche liturgische Stücke aus der Kirche Aegyptens. - Zur Überlieferung des Philostorgios 1900

Rezensent:

Achelis, Hans

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 19.

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vom Thurmbau und die Darfteilung der Gemeinde oder
Kirche theils unter dem Bilde einer Frau, theils unter
dem eines Bauwerks beruht gewifs auf jüdifchen Motiven
(Völter S. 46 verweift auf Mich. 4, 8 [an den Esra, wie V.
S. 47 N. I. gut zeigt, anknüpft], Henoch 85, 50 und 4. Efra
9, 38ff.; 10, 7. 27. 44). Ift deshalb ,abfolut nichts Chrift-
liches' darin? Doch nur, wenn man es heraus ftreicht.
Und warum ftreicht man es? Weil man nicht begreifen
kann oder nicht zugeben will, dafs Leute wie Hermas
Judenchriften in dem oben näher dargelegten Sinne waren.
O diefe Kritiker!

Zur Erklärung des Titels der Völter'fchen Schrift
erwähne ich noch, dafs eine Anzahl Seiten von der Sibylle
handeln, d. h. allerhand Material beibringen, um umftänd-
lich zu erweifen, dafs wir es in den erften Vifionen wirklich
mit Niemand anders zu thun haben als mit der Sibylle.
Das wufste natürlich auch Hermas, er fagt es ja felbft.
Aber in feiner Einfalt deutet er oder läfst er, wie bekannt,
fich deuten, dafs diefe Sibylle eigentlich die Kirche fei.
Völter freilich fragt (S. 13): ,Wenn nun die Frau nicht
die Sibylle fondern die Kirche fein foll, warum ift dann
alles fo befchrieben, dafs man nothwendig dazu kommen
mufs, die Frau für die Sibylle zu halten? Warum ift dann
nicht von vornherein alles aus dem Weg geräumt, was
diefe Meinung erwecken kann? Dafs thatfächlich alle
Einzelzüge auf die Identität der Frau mit der Sibylle
weifen, und dafs auch für Hermas diefe Identität ganz
felbftverftändlich ift, kann ich mir nur daraus erklären,
dafs in der That urfprünglich die Frau Niemand anders
als die Sibylle war und fein follte'. Risum teneatis,
amici! Nun foll auch noch der arme Hermas Alles aus
dem Wege räumen, um fich den Haupteffect feiner ganzen
erbaulichen Gefchichte felbft zu zerftören! Gewifs, die
Frau war die Sibylle, aber fie war auch die Kirche, und
das ift ja gerade die Hauptfache daran!

Auch der Clemens von Rom im Völter'fchen Titel
will nicht vergeffen fein. Wir haben in ihm einen
Presbyter jener römifchen Profelytengemeinde zu fehen,
für die das urfprüngliche Hermasbuch gefchrieben wurde.
,Nachdem das Hermasbuch mit unferen Vifionen darin
ein chriftliches Buch geworden war, wurde auch jener
Clemens für einen alten chriftlichen Presbyter gehalten,
und mufste er nun natürlich auch jenen alten Brief der
römifchen Chriftengemeinde an die zu Korinth gefandt
haben' (S. 31). Den vollgültigen Beweis für diefe Thefe
glaubt Völter den pfeudoclementinifchen Homilien
entnehmen zu können. Die 4.—6. Homilie (genauer 4,
7—6, 25)ftellen eine felbftändige Schrift dar, eine Clemens-
fchrift von ganz anderer Art als die, in welche fie aufgenommen
oder eingefügt ift, eine alte jüdifche Clemens-
fchrift, deren Held ein jüdifcher Profelyt ift. Da haben
wir den Clemens, den wir brauchen. ,Der jüdifche
Clemens, der in jener Schrift auftritt, ift für uns der end-
giltige Beweis für die Annahme, dafs die beiden erften
Vifionen des Hermasbuches nicht chriftlichen Urfprungs,
fondern aus den Kreifen jüdifcher Profelyten zu Rom
hervorgegangen find'. Wie leicht ift der Kritiker zufrieden-
geftellt, wenn es fich um fogenannte Beweife für feine
wackelige Hypothefe handelt, wie fchwer wird es ihm,
den Geift zu erfaffen, der uns aus jüdifchen und chriftlichen
Apokalypfen und Romanen entgegenweht.

Nach diefem ausführlichen Bericht über Völter
kann ich mich zu van Bakels Schrift kurz faffen. Eigentlich
Neues enthält fie kaum. In der Analyfe der Hypothefe,
der Darlegung der ,Widerfprüche', ift fie genauer und
forgfältiger als Völter, zuweilen auch als Spitta. Wie
diefer befchäftigt fie fich mit dem ganzen Buch. Sie mag
als Arfenal der Gründe, die für das jüdifche Hermasbuch
beigebracht worden find, gelten und in diefer Beziehung
eine gewiffe Bedeutung haben. Ich wünfche ihr eine noch
gröfsere, nämlich die, dafs fie das letzte Glied fein möge
an der Kette von Trugfchlüfsen, die diefes neuefte Stadium
urchriftlicher Literarkritik zu Tage gefördert hat. Für

meine Perfon nehme ich hiermit Abfchied von ihnen und
fpreche die Hoffnung aus, dafs die überreichen Probleme,
welche uns die urchriftliche Religionsgefchichte Hellt,
künftig nicht mehr dadurch gefährdet und verwirrt werden
mögen, dafs man unfere literarifchen Urkunden mit der
fchrankenlofen Willkür interpolationsfüchtiger Kritiker
zerftückelt und zerfchneidet. Diefer ,kritifche' Subjectivis-
mus des ausgehenden 19. Jahrh. ift noch fchlimmer als
der rationaliftifche des 18. Möchte das 20. Jahrhundert
uns auch in der chriftlichen Religions- und Kirchen-
gefchichte dem hohen Ziele näher bringen, ohne Rückficht
auf unfere perfönlichen Glaubens- und Gefchmacks-
richtungen die Dinge zu nehmen und darzuftellen wie fie
wirklich gewefen find.

Giefsen. G. Krüger.

Wobbermin, Lic. Dr. Georg, Altchristliche liturgische Stücke
aus der Kirche Aegyptens. Nebft einem dogmatifchen
Brief des Bifchofs Serapion von Thmuis. — Zur Ueber-
lieferung des Philostorgios von Prof. Dr. Ludw. Jeep.
(Texte und Unterfuchungen zur Gefchichte der alt-
chriftlichen Literatur. Hrsg. von Oscar von Gebhardt
und Adolf Harnack. Neue Folge, 2 Band, Heft 3 b,
der ganzen Reihe XVII, 3 b.) Leipzig, Hinrichs, 1899.
(36 u. 33 S. gr. 8.) M. 2.—

Kurtz, E., Zum Euchologion des Bischofs Serapion. (Byzan-
tinifche Zeitfchrift VIII. 1899. S. 645!.)

Drews, P., Ueber Wobbermins Altchristliche liturgische Stücke
aus der Kirche Aegyptens. (Zeitfchrift für Kirchen-
gefchichte XX. 1900. S. 291—328 u. 415—441.)

Die dreifsig liturgifchen Gebete, die Wobbermin in
einer Bibelhandfchrift des Athos (Lawra 149 saec. XI.)
fand, repräfentiren einen Fund von ungewöhnlicher Bedeutung
für die Gefchichte des Gottesdienftes. In der
Ueberfchrift zweier Gebete (N. 1 und 15) wird nämlich
der Name des Verfaffers oder Redactors angegeben:
Sarapion von Thmuis, und das kann kein anderer fein,
als der bekannte Freund des Athanafius. Von diefen
beiden Stücken können wir alfo genau angeben, wann
und wo fie entftanden find: in einem ägyptifchen Land-
ftädtchen um 350; und was von den beiden gilt, ift aller
Wahrfcheinlichkeit nach auf die ganze Sammlung auszudehnen
. Die Gefchichte der Liturgie in der griechifchen
Kirche erhält damit einen Markftein, deren fie fo wenige
hat; er ift um fo wichtiger, als er vor der Entftehungs-
zeit der grofsen Liturgien liegt. An Bedeutung find den
Wobbermin'fchen Stücken höchftens die liturgifchen Be
ftandtheile der Aegyptifchen Kirchenordnung (herausgegeben
in den Texten u. Unterf. VI 4.) gleichzuftellen;
ja, fie machen einen noch alterthümlicheren Eindruck
als diefe. Wird doch in dem Präfationsgebet 5, 25 ff. die
Didache citirt; und in dem Gebet für die Kirche 17, 12 ff.,
wird gebetet: ,Gieb, dafs fie habe heilige Mächte xai
xa&ccQovg dyyslovg XeirovQyovq, damit fie in reiner Weife
dich preifen kann' — eine directe Parallele zu den
Engeln der neben Gemeinden in den Sendfehreiben der
Apokalypfe; in N. 5 wird Waffer geweiht, das von den
Kranken als Medicin getrunken werden foll (8,1; vgl. 13,17)
— ein bis dahin unbekanntes exoreiftifches Mittel, deffen
Verwendung wenigftens aus den Apoftolifchen Confti-
tutionen VIII, 29 nicht deutlich war. Ueberhaupt ift Alles
draftifcher ausgedrückt als in den grofsen Liturgien; man
merkt die Provinzialftadt; aber man lernt auch aus ihren
leicht yerftändlichen Formularen mehr für Anfchauungen
und Einrichtungen in der Gemeinde als aus den würdevollen
und abgefchliffenen Formeln der fpäteren Zeit.

Der Dank, den man dem Entdecker und Herausgeber
fchuldet, wird kaum vermindert durch die Bemerkung
von Kurtz, dafs Wobbermin einen Vorgänger in