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Ausgabe:

1900 Nr. 1

Spalte:

518-519

Autor/Hrsg.:

Neander‘s, August

Titel/Untertitel:

Dogmatik 1900

Rezensent:

Wendt, Hans Hinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 18.

notizen und Recenfionsbelegen gern verzichten, wenn die I
Thatfachen fcharf herausgekehrt und der Inhalt der be-
fprochenen Schriften in deutlicher Analyfe mitgetheilt
wäre. Ueber den Hirtenbrief von 1855 zur Bonifatius-
feier erfährt der Lefer inhaltlich 1,37s nichts, eine Anm.
verfichert nur, dafs derfelbe .gleich damals vom Frankf.
Journ. zu gehäffigen Angriffen ausgenützt' wurde; erft
2,307 Anm. ift von .einer Schrift' des Ritters von Bunfen
die Rede, in der diefer die Worte des Hirtenbriefes fo
ausgelegt habe, dafs der Bifchof fich über Verdrehung
zu beklagen gehabt habe. Dafs er dazu wirklich ein Recht
gehabt habe, wird fich Angefichts des Wortlautes, wie
ihn etwa Hafe Polemik '578 bietet, beftreiten laffen.
Aber es ift begreiflich, dafs fich diefe Biographie nicht
gern mit Bunfen abgiebt, den Ketteier 1840 einen /Freund
und Gehilfen' des Teufels, wenn auch ,gewifs nicht fchlim-
mer und verfchlagener' als diefer, bezeichnet (1,73). Wie
aber in diefem Falle proteftantifche, fo wird anderwärts
katholifche Polemik aus ebenfo naheliegenden Gründen
verfchwiegen. Die 1862 erfchienene Schrift Ketteler's
über .Freiheit, Autorität und Kirche, Erörterungen über
die grofsen Probleme der Gegenwart', erlebte noch in
demfelben Jahre 7 Auflagen. Weitere find dann nicht J
erfchienen. Hatte das Buch feinen Dienft gethan und j
konnte gehen? Wieder hat der Verf. jedes ernfthafte
Eingehen auf den Inhalt und die weiteren Schickfale
des Buches vermieden. Allerdings, dafs der Bifchof
mit feinen kühnen Ausführungen über Religionsfreiheit
und Glaubenseinheit in den Tyroler Wirren jener Jahre
(f. Hafe, S. 56) eine merkwürdige Rolle fpielte, erfahren |
wir aus einem intereffanten Briefwechfel zwifchen Inns- 1
brucker Katholiken und ihm (2,162 ff.) Aber damit fcheint
die Sache erledigt. Nur, wieder in einer Anm., auf S. 216 j
erfährt man ganz beiläufig, dafs es doch noch weitere j
Nachfpiele gegeben haben mufs. Ketteier überfendet |
dem Cardinal Caterini im November 1862 das von ihm ein-
geforderte Gutachten zum Entwurf des Syllabus. Die
von ihm vorgefchlagenen Cenfuren lauten zur Freude 1
des Verf.'s fcharf genug und bewegen fich ganz in der I
Richtung, die ihm Rom gewiefen hatte. Dabei erinnert
fich fein Biograph, dafs Frohfehammer 1865 und 1874
die Entdeckung gemacht und kundgegeben habe, dafs
Ketteier im Syllabus ein graufames Dementi erfahren
habe, derfelbe Ketteier, der fich kaum ein Jahr nach
dem Erfcheinen feines Buches fo durchaus correct ge-
äufsert hat: es ift klar, der .traurig bekannte Dr. J. Froh-
fchammer' ift mit feiner Entdeckung ad absurdum geführt.
Dafs aber diefe felbe Entdeckung gleichzeitig von dem
ürdensgenoffen des Verf.'s, dem Jefuiten Schräder, gemacht
,'von diefem gar auf die fchärffte Form hinaus-
gefpielt worden war, Ketteier verdanke es nur fpecieller j
Indulgenz Roms, wenn fein Buch nicht auf den Index ,
gekommen fei, das wird ebenfo forgfältig verfchwiegen,
wie in dem Referat über ,Deutfchland nach dem Kriege
1866' die kleinmüthige Vertheidigung unerwähnt bleibt,
die Ketteier diefem Angriff entgegenfetzte. Vgl. Döllinger-
Friedrich, Das Papftthum (Janus2) 271. 525. Es ift durchaus
verftändlich, dafs diefe Methode, die Thatfachen zwar
nirgends rundweg abzuleugnen, aber doch zu verfchleiern,
lieh in dem Bericht über das Vaticanum faft auf Schrittt
und Tritt verfolgen läfst. Wie unfchuldig fieht hier (3,9)
die Parifer Depefche vom 6. Febr. 1869 in der Civ. Gatt,
aus! (vgl. Döllinger-Friedrich S. 510). Die mancherlei
Anekdoten über Ketteler's Gebahren auf dem Concil
werden getreulich mitgetheilt, aber ihres dramatifchen
Effects entkleidet und anmerkungsweife die Genauigkeit
der Angaben leife angezweifelt. Vgl. 3,10: Ketteier beim
Pfr. Bendix in Oberolm (Friedrich, Gefch. d. Vat. Conc. II
[nicht I], 36); 38: die berühmt gewordene Frage: amas
me? bleibt unerwähnt (Friedrich III, 228); Iii: der Kniefall
läfst fich nicht beftreiten: ,immerhin kann man nicht
fagen, dafs dieThatfache hiftorifch vollkommen feftftehe'.
(Hafe, Polemik 184; Döllinger-Friedrich, D. Papftt. 291). I

Ueber Dinge, die fich verhältnifsmäfsig kurz abmachen
liefsen, wird fehr weitläufig gehandelt, fo über die Berichte
der Allgemeinen Zeitung (43 ff. vgl. Hafe, 27) über
Nippold's Verhandlungen mit Ketteier (52 ff.) — während
fich der Verf. bei fehr wichtigen einer überrafchenden
Kürze befleifsigt. So kann man fich von den Reden
Ketteler's am 23. Mai und 25. Juni 1870 nach den dürftigen
Angaben S. 86. 91 kaum eine rechte Vorftellung machen;
die Bezugnahme auf das geflügelte Wort la tradizionc
son Jo bleibt natürlich unerwähnt (Friedrich III, 1132).
Immerhin will ich nicht unerwähnt laffen, dafs nicht nur
auch in diefem Theile viel ungedrucktes Material aus
Papieren Ketteler's zur Verwendung kommt, fondern
auch gelegentlich Correcturen von Einzelheiten in
Friedrich's Darfteilung diefer Biographie zu entnehmen
find. Die ,12 Gründe wider die Opportunität', die Friedrich
II, 228 ohne Namen nach Manning bespricht, flammten
vom Domcapitular und Regens Moufang (3,14); das
Promemoria, das im Protocoll der Fuldaer Bifchofs-
conferenz vom Sept. 1869 erwähnt und von Friedrich
[II, 184] auf Hefele zurückgeführt wird, rührte .allem
Anfcheine nach' vom Domdechanten Dr.Heinrich in Mainz
ner (3> 23); das nach Friedrich [II, 200| unauffindbare
Schreiben der Fuldaer an den Papft ift (3,27) ,im Wortlaut
in Collectio Laccnsis VII, 1196a' zu lefen.

Aber von all' diefen Einzelheiten abgefehen, ge-
ftehe ich gern, dafs ich das umfangreiche Werk mit anhaltendem
Intereffe gelefen habe. Nicht nur das habe ich
deutlich empfunden, dafs Ketteier es vor Vielen werth ift,
in der Gefchichte des Katholizismus von 1837—77 beachtet
zu werden; das ift bei dem Einflufs, den er geübt
hat, felbftverftändlich: feine Bedeutung für katholifche
Socialpolitik z. B. wird man garnicht überfchätzen
können. Wichtiger ift mir doch noch etwas Anderes.
Man kann feine Entwickelung nicht verfolgen, ohne einen
fehr ftarken Eindruck von der religiöfen Grundlage feiner
Perfönlichkeit zu gewinnen. Namentlich die reichlichen
und überaus dankenswerthen Mittheilungen aus der Zeit
vor 1848 find dafür wichtig. Der 20. November 1837, die
Gefangennahme des Kölner Erzbifchofs, bildet den
Wendepunkt in feinem Leben. Von da aus wird feine ganze
Kirchenpolitik fofort verftändlich. Aber dem Drange
nach ftürmifchem Eingreifen in diefer Richtung hat K.
nicht gleich nachgegeben. ,Das ift weder ein kirchliches
noch überhaupt ein fchönes Motiv' (1, 74). In
drei einfamen Jahren ift der Priefter nach den Mafs-
ftäben katholifcher Frömmigkeit in ihm gereift. Und
wenn diefe innere Entwickelung doch nicht zum Ziel
kommt, ohne dafs der Bifchof Reifach fein äufseres Siegel
darauf drückt, fo läfst die Erinnerung an das Jefuiten-
penfionat nicht auf ein hyperkatholifches Plus fchliefscn,
fondern erklärt uns nur dies genuin-katholifche Facit.
Allerdings das ift der Weg nach Rom und nach dem
Vaticanum. Aber eben darum will mir fcheinen, dafs
eine Darfteilung, wie fie hier vorliegt, den Stempel
innerer Wahrheit in höherem Grade an fich trägt, als
eine jede, die aus den zahlreichen Schwankungen, die
dies Leben durchziehen, den Schlufs auf ein Auseinanderfallen
von Katholizismus und Jefuitismus ziehen möchte.

Offenbach. S. Eck.

Neander's, D. Auguft, Dogmatik. Aus feinen Vorlefungen
herausgegeben von Pfarrer Lic. D. Gloatz. (Reuter's
theologifche Klaffikerbibliothek. 16. Bd.) Braunfchweig,
G. Reuter, 1898. (96 S. 8.) M. 1.—

Während die früheren Hefte diefer .Klaffikerbibliothek'
neue Abdrucke älterer theologifcher Schriften brachten
(vgl. meine Anzeige Jahrg. 1897 S. 186), bietet diefes Heft
eine erftmalige Publication. Schon gleich nach dem Tode
Neander's (1850) hatte, wie 1h. Schneider in feiner
Biographie N.'s, 1894, S.253, mittheilt, der Plan beftanden,