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Ausgabe:

1900 Nr. 18

Spalte:

513-516

Autor/Hrsg.:

Thoma, Albrecht

Titel/Untertitel:

Katharina von Bora 1900

Rezensent:

Köhler, Walther

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 18.

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Als literarifches Erzeugnifs ift das Buch ungeniefs-
bar. Sein Werth liegt in der Materialfammlung und wird
als eine Art von Reallexicon zum älteren geiftlichen
Schaufpiel feinen Werth behalten.

Diefe Gattung zum Gegenftand einer an hiftorifcher
Kritik orientirten äfthetifchen Beurtheilung zu wählen, war
ein Mifsgriff. Denn die Tendenz des geiftlichen Dramas
ging nicht auf äfthetifche Wirkung, fondern auf erbauliche
Erziehung und nur fofern bei jeder rednerifchen oder sce-
nifchen Geftaltung äfthetifche Wirkungen betheiligt find,
konnten diefe Berückfichtigang erfahren. Den Mafsftab j
der Beurtheilung bildet die Thatfache, dafs das geiftliche
Schaufpiel des Mittelalters in den gröfseren Zufammen-
hang der Feftfeiern und des Gottesdienftes der mittelalterlichen
Kirche gehört. Heinzel dagegen geht von der
Vorausfetzung aus, wir hätten mit einem Publicum zu
rechnen, das ins Theater geht, ohne zu wiffen, was ihm
dort geboten werden könnte (Dichter S. 341!). Beim mittelalterlichen
Publicum find die erflen Eindrücke nicht die,
welche Heinzel poflulirt: verkleidete Menfchen, Mitbürger
in königlichem, kriegerifchem, orientalifchem, weiblichem
Coflüm u. f. w. (S. 10) fondern die ftofflichen. Sie find
das Prius; die ihm aus dem Gottesdienft geläufigen That-
fachen der Heilsgefchichte liegen als die feine Anfchau-
ungsformen beftimmenden Neigungen dem Befucher des
geiftlichen Spieles näher, als die der Ueberrafchung und
der Steigerung diefer primären Eindrücke dienenden
technifchen und fcenifchen Veranftaltungen. Mufs ich
alfo auch die kunftkritifchen Vorausfetzungen Heinzel's
anfechten, ihm die Befugnifs beftreiten, fo verfchiedene
Gattungen wie Ofterfpiele, Paffionsfpiele und Weihnachts-
fpiele— von den zeitlichen Differenzen abgefehen — über
einen Kamm zu fcheeren und die Gefammtüberlieferung
zufammenzufaffen, als hätte es je ein ftilgefchichtlich j
und technifch einheitliches geiftliches Schaufpiel gegeben,
fo bleibt an dem in feinen Ergebnifsen fich auf die all-
gemeinften Formeln befcheidenden Compendium nur die
Energie des Sammeins und Regiftrirens zu rühmen.
Ueber den volksthümlichen Chriftenglauben, den die
Spiele wiederfpiegeln, hat Heinzel nirgends im Zufam-
menhange gehandelt (vgl. die Bemerkung S. 288), es
fei jedoch zum Erfatz auf S. 185 ff. 200. 205. 224 ff.
234 ff. verwiefen.

Kiel. Fr. Kauffmann.

Thoma, D. Albrecht, Katharina von Bora. Gefchichtliches
Lebensbild. Berlin, G. Reimer, 1900. (VIII, 319 S.
gr. 8.) M. 5--

Die 400jährige Wiederkehr des Geburtstages von
Luther's Käthe im vergangenen Jahre ift verhältnifs-
mäfsig ftill vorübergegangen; Artikel in der profanen und
kirchlichen Preffe und kleinere Gedenkfeiern an Gemeindeabenden
haben natürlich nicht gefehlt, aber literarifch
Bedeutfames hat m. W. der Gedenktag nicht hervorgebracht
. Thoma's Buch erfcheint post festum, und das
ift gut; wird es doch fchon dadurch vor dem Schickfal
bewahrt, als ad lioc zugefchnittene .Feftfchrift' genommen
zu werden und mit dem Fefte in Vergeffenheit zu ge-
rathen. Es ift eine muftergültige wiffenfchaftliche Biographie
, die, wie die an den Schlufs geftellten Anmerkungen
zeigen, das vorhandene Material genaueftens verarbeitet
hat. Viel Neues ift feit Hausrath's Effay (Kl. Schriften
1883 S. 237 ff.) freilich nicht erfchienen*), — Thoma fagt
felbft: ,übcrrafchende Entdeckungen find bei aller Findigkeit
hier nicht zu machen' — aufser der vollen Ausbeutung
der fchon 1850 und 1860 erfchienenen werthvollen Auf-
fätze von Förftemann über Luther's Teftamente und Seidemann
über Luther's Grundbefitz, deren Inhalt Hausrath

*) Inzwifchrn ift im .Katholik1 1900, Heft 5 Melanchthons Brief Uber
Luthers Heirath in Facfimile veröffentlicht worden.

dem Charakter des Effay's entfprechend nur ftreifen
konnte, war abgefehen von den hier und da etwas abwerfenden
zahlreichen Ergänzungen zu Luther's Cor-
refpondenz dem Verf. nur in dem 1895 im Codex diplom.
Saxoniac regiae veröffentlichten Urkundenbuch desKlofters
Nimbfchen wirklich neuer Stoff geboten, und das nur
für Katharina's Jugendzeit. Dabei mufste die Frage nach
ihrer Herkunft und Heimath wie bisher unentfehieden
bleiben, auch die Feftfchrift von Wezel: Das Adels-
gefchlecht derer von Bora 1897 hat fie nicht aufgehellt.
Trotzdem ift Thoma's Werk keineswegs lediglich oder
überwiegend ein Sammelband der zahlreichen bereits
bekannten Notizen über Luther's Käthe, fondern
eine aus eingehendfter Durchdringung des Stoffes hervorgegangene
Neufchöpfung. Die fchwierige Aufgabe,
die vielen kleinen und kleinften Steinchen zu einem
harmonifch abgerundeten Bilde zufammenzufetzen, ifl
glücklichft gelöft worden, und wenn auch Wiederholungen
nicht fehlen (cf. S. 144 mit 153, 140 mit 158 u. ö.), die
unter den vorhandenen Umftänden wohl kaum zu vermeiden
waren, fo wirkt die Darftelluhg doch keineswegs
ermüdend. Die Sprache ift von vornehm gewinnender
Schlichtheit (S. 259 Z. 2 begegnet in: ,fcheint's' ein füd-
deutfeher Provinzialismus), und, indem etwa eingefchalteten
lateinifchen Citaten die Ueberfetzung beigegeben wurde
(S. 225 Z. 3 wurde die Verdeutfchung vergeffen), weiteften
Kreifen verftändlich. Den Eindruck, den das ganze Lebensbild
auf den Lefer macht, wüfste ich nicht beffer wiederzugeben
, als mit den fchönen Worten der Vorrede: (Es
mufs doch eine bedeutende Frau gewefen fein, die der
grofse Mann als feine Lebensgefährtin zu fich emporhob
und die fich getraute, die Gattin des gewaltigen Reformators
zu werden, und der es gelungen ift, ihm zu genügen
; und ein fympathifcher Charakter mufste das fein,
an dem er feine frohe Laune fo fchön entfalten konnte'.—
Eine abweichende Anficht möchte Ref. äufsern zu
der felbft über Förftemann (in dem oben genannten Auf-
fatz in Bd. 8 der Neuen Mitth. a. d. Gebiet hift.-antiqu.
Forfchungen) hinausgehenden äufserft fcharfen Beurtheilung
des Kanzlers Brück in feinen Referaten an
den Kurfürften über die Erbfchaftsangelegenheit der
Witwe und Kinder Luther's. Schon Seidemann (Ztfchr.
für die hiftor. Theologie 1860 S. 533) nannte Brück's
Gutachten — ohne nähere Begründung — ,treu wohlmeinend
'. So ift es m. E. auch aufzufaffen. Bei einer
Erbfchaftsregelung pflegt zunächft die juriftifche Seite
erledigt zu werden, an fie hält Brück fich zunächft, der
Amtsftyl liefs fich in einem amtlichen Bericht, wie
Brück ihn zu verfaffen hatte, nicht vermeiden. Brück's
erftes Intereffe geht darauf, das Vermögen der Mutter
und das der Kinder reinlich zu fcheiden; das war durchaus
correct und erforderlich. Er verfährt nach Witten-
berg'fchem Erbrecht (f. Förftemann S. 34 Kamptz: Die
Provinzial- und Statutarrechte in der preufs. Monarchie I
S. 407), nach welchem der Witwe ein Drittel des hinter-
laffenen Vermögens zuftand. Nach feiner Berechnung
kann die Witwe mit demfelben, dem von dem Grafen
von Mansfeld noch 2000 Gulden vorausfichtlich hinzugefügt
werden, auskommen, vorausgefetzt, dafs fie ihren
Haushalt vereinfacht und nur ihre Tochter, deren Mit-
antheil am Wohnhaus fie zur Erziehung verwenden darf,
bei fich behält. Mifsgunft gegen die Witwe kann ich in
diefer Beftimmung nicht finden. Vereinfachung des Haushaltes
, befonders die Trennung von den Söhnen, war
gewifs fchmerzlich — und Brück hat das wohl gefühlt,
cf. Förftemann a. a. O. S. 37 Abfchnitt 2 —- aber durch
die Verhältnifse erfordert. Nachdem er die Mutter in
diefer Weife verforgt weifs, handelt er von der Fürforge
an den Kindern. Th. wirft Brück vor, fein ,ganzes Be-
ftreben gehe dahin, nur den Kindern und immer den
Kindern alles zugut kommen zu laffen' (S. 230). Auch
das ift m. nicht richtig. Wie Brück wiederholt hervorhebt
, hatte der Kurfürft die 1000 Gulden, welche Luther

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