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Ausgabe:

1900 Nr. 17

Spalte:

497-499

Autor/Hrsg.:

Bremme, W.

Titel/Untertitel:

Der Hymnus Jesu dulcis memoria 1900

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 17.

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Willen ift (nicht umgekehrt), fo ift in der Ausführung
das Pofitive (das Gebot) dem Negativen (dem Verbot)
voranzugehen. 3) In der Einleitung zum erften Haupt-
ftück ift verfprochen worden, dafs wir in Jefu Leben die
Erfüllung der Gebote fchauen follen; aber in der Ausführung
wird man nur hie und da und nur andeutungs-
weife daran erinnert. 4) In welchem Verhältnifs fleht
der Text der Hauptftücke zu der Erklärung im Katechismus
Luthers? Es ift ja deutlich, dafs in manchen Dingen
die Erklärung weit über den Text hinausgeht, z. B. in
allen pofitiven Ausführungen des erften Hauptftückes; aber
in manchen Dingen geht auch die Erklärung Luther's über
Einzelheiten des Textes, indem fie die religiöfe Bedeutung
derfelben kurz zufammenfafst, hinweg; fo werden z. B.
die Worte des zweiten Artikels: ,aufgefahren gen Himmel'
bis zum Schlufs in der Erklärung unter die majeftätifche
Einfachheit des Satzes: .lebet und regiert in Ewigkeit'
geborgen. Wozu diefe freie Bewegung? Luther's Erklärung
will nichts Geringeres, als die religiöfe und fittliche Bedeutung
des Textes für uns evangelifche Chriften
ans Licht ftellen. Daraus folgt, dafs wir uns bei der
Ausführung des Unterrichtes an die Erklärung Luther's,
da fie das Evangelium verkündet, zu halten, nicht aber
eine doppelte Ausführung, nämlich 1) des Textes 2) der
Erklärung Luther's, zu geben haben. Dafs der Text in
der Ausführung der Erklärung mit berückfichtigt, dafs
alfo nach dem genannten Beifpiel aus dem zweiten Artikel
gezeigt wird, wie jene Worte des Textes unter dem
Gefichtspunkt des ,lebet und regiert in Ewigkeit' zu verliehen
find, bedarf keiner Erläuterung. Des Herrn Ver-
faffers principieller Zuftimmung zu diefer Auffaffung bin
ich ficher; aber die Auffaffung fcheint mir nicht durchgeführt
zu fein. Die Erläuterungsfätze, fo trefflich fie
meiftens find, fchliefsen fich doch zu wenig an die Erklärung
Luther's an, mitunter vernachläffigen fie diefe zu
gunften des Textes. Bei der Behandlung z. B. des 6.
Gebotes verbreitet fich der Verfaffer über die Ehe, es
wird auch die Verletzung der Ehe befprochen, aber die
Hauptfache, das .keufch und züchtig' kommt nicht zu
feinem Rechte. Ich vermiffe das nicht nur deshalb, weil es
nun einmal in Luther's Erklärung fteht, fondern weil es
vom evangelifchen Gefichtspunkte aus das Richtige ift.

Zum Schlufs fei dem Wunfche wiederholt Ausdruck gegeben
, dafs der Herr Verfaffer, dem wir auf katechetifchem
wie homiletifchem Gebiete zu fo grofsem Dank verpflichtet
find, feine Mitarbeit an der Reform des Katechismusunterrichtes
nicht ruhen laffen und mit einem ,exponirtenl
Katechismus nach Art feines Werkes ,Der Glaube' uns
bald befchenken möge.

Marburg. E. Chr. Achelis.

Bremme, Dr. W., Der Hymnus Jesu dulcis memoria in feinen
lateinifchen Handfchriften und Nachahmungen, fowie
deutfehen Ueberfetzungen. Mainz, F. Kirchheim, 1899.
(XVI, 432 S. gr. 8.) M. 5-

Dem Vorgange von F. G. Lisco, der in den Jahren
1840 und 1843 zwei Monographien über die Hymnen
,Dies irae dies illa' des Thomas von Celano und ,Stabat
mater dolorosa' des Jacopone veröffentlichte, folgt
Bremme in feiner umfangreichen Schrift über den vielfach
dem Bernhard von Clairvaux zugefchriebenen
Hymnus , Jesu dulcis memoria'. Abgefehen von der Vorrede
und dem Verzeichnifs älterer Drucke und öfter
citirter Bücher ift das Werk gegliedert in: Einleitung
('—34), lateinifche Handfchriften (35—70), lateinifcheNachahmungen
(71—110), deutfehe Ueberfetzungen (111—362),
Bemerkungen zu den deutfehen Ueberfetzungen (363—423),
Nachträge (424—428), Zufammenflellung der deutfehen
Ueberfetzungen (429—432). Der Verfaffer fchätzt den
religiöfen und dichterifchen Werth des Hymnus überaus
hoch. ,Das ift die fufse Innigkeit und die heilige Liebes-
gluth einer in Chrilto glücklichen Seele .... So ftammelt

eine gläubige Seele, welche im Begriffe ift, fich geiftig
oder wirklich mit ihrem göttlichen Heilande im aller-
heiligften Sacrament zu vereinigen, oder welche nach
empfangener Communion, den göttlichen Heiland im
Herzen, in feiiger Wonne mit ihm fich unterhält'. Auf eine
Beziehung zur Abendmahlsfeier weift freilich keine Silbe
hin; für die Werthfehätzung des Hymnus aber kann der
Verfaffer fich auf viele römifch-katholifche, auf zahlreiche
evangelifche Hymnologen berufen; neben 48 römifch-
katholifchen theilt er nicht weniger als 22 Ueberfetzungen
von evangelifchen Verfaffern mit. Allein es fehlen auch
nicht Urtheile felbft von römifcher Seite, denen das durch
46 oder 50 vierzeilige Strophen durchgeführte über-
fchwängliche Ergiefsen über die Liebe Jefu, auch bei aller
Anerkennung der relativen Berechtigung der myftifchen
Stimmung, den Eindruck der Monotonie und daher grofser
Ermüdung macht.

Der Verfaffer weift nach, dafs laut der Codices im 13.
Jahrhundert bereits 46 Strophen bekannt waren; eine
Mainzer Handfchrift des 15. Jahrhunderts fügt noch die
Strophen 15. 16. 30. 34 hinzu. Damit ift die Anficht, die
fich auf die Zertheilung des Liedes in drei Hymnen im
römifchen Brevier und auf eine nur 11 Strophen enthaltende
Münchener Handfchrift vom Jahre 1347 nützt,
dafs nämlich der Hymnus eine Compilation mehrerer
Hymnen fei, mindeftens als unwahrfcheinlich erwiefen.
Weniger Giück fcheint der Verfaffer mit feiner Ver-
theidigung der Autorfchaft Bern hard's zu haben; er felbft
mufs anerkennen, dafs erft Codices vom Ende des 14.
Jahrhunderts den Namen Bernhard's nennen, die früheren
aber nur von einem incertus autor wiffen; der Nachricht
Mabillon's, dafs in einer alten Handfchrift des Cifler-
zienferklofters Vaux de Cernai in der Normandie der
Hymnus die Ueberfchrift trage: ,Mcditatio cuiusdam sanetae
virginis de amore Jesu Cliristi was Mabillon felbft,
ebenfo H. A. Daniel, Bäumer (in Wetzer und Weite's
K.-Lex.) u. A. für die richtige Bezeichnung der Autorfchaft
halten, weifs er nur entgegenzufetzen, dafs ,man'
nicht weifs, wann der Codex gefchrieben fei, dafs ,man'
auchden Codex nicht gefehen habe; nachgeforfcht hat der
Verfaffer nicht. Pofitive Beweiskraft für Bernhard hat
ihm nur die feinem eigenen Nachweis zufolge erft fpätere
Tradition und die feiner Meinung nach des Bernhard
würdige Schönheit des Hymnus, — und das genügt ihm.

Der Text des Hymnus wird S. 37f. nach Mabillon's
Ausgabe der Werke Bernhard's in 48 Strophen mit-
getheilt, die jedoch durch Strophe9 und 47 ausFabricius:
,Poetarum vet- eccl. opera' 1562 ergänzt werden. Grofse

[ Sorgfalt ift auf Befchreibung und Collationirung der
Codices verwendet; aus dem 13. Jahrhunderte werden drei
Handfchriften angeführt: Einfiedeln, Florenz (Cod. 10)
und Turin mit je 41, 45, 43 Strophen (S. 33 Z. 13 werden
der Turiner Handfchrift jedoch nur 42 Strophen zu-
gefchrieben); aus dem 14. Jahrhunderte ebenfalls drei:

I Frankfurt a. M., Quaracchi, Monte Caffino mit je 25, 43,
60Strophen; aus dem 15.Jahrhunderte fünf: Mainz, Darm-

| ftadt, München, Venedig, Florenz (Cod. 90) mit je 50, 43,
33 (und 8 Doxologien), 56 und 42 Strophen. Die züerlt
genannte, die Handfchrift von Einfiedeln, mit der die
von Quaracchi nahezu gleichlautend ift, giebt, wenn auch

| nicht den urfprünglichen, fo doch den nachweisbar
älteften und bellen Text. Auch die Zufammenflellung
der7oUeberfetzungen ins Deutfehe nebft den/Bemerkungen'
zu den Ueberfetzungen verräth einen grofsen Sammelfleifs

j und ift von nicht zu unterfchätzendem literarhiflorifchen
Werth, trotzdem dafs gerade gegen diefen Theil des Werkes
nicht unerhebliche Einwendungen zu erheben find. In
der Monatfchrift für Gottesdienft und kirchliche Kunft

- von Spitta und Smend 1900 S. 37 f. hat der bekannte

' Hymnologe Superintendent Nelle in Hamm eine ausführliche
Befprechung des Bremme'fchen Werkes veröffentlicht
, deren Hauptergebnifse wir in Folgendem uns

j aneignen.