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Ausgabe:

1900 Nr. 17

Spalte:

495-497

Autor/Hrsg.:

Dörries, Bernhard

Titel/Untertitel:

Der kleine Katechismus D. Martin Luthers, ausgelegt 1900

Rezensent:

Achelis, Ernst Christian

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 17.

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Nietzfche der Philofoph des Lebens, Tolftoi der Philofoph
des Todes, beide nicht Erfinder neuer bahnbrechender
Ideen, wohl aber wichtige und anziehende Typen ihrer
Zeit. Befondere Erwähnung verdient die Art, wie das
Princip der unbedingten Selbftlofigkeit im Sinne Tolftoi's
ad absurdum geführt wird. (S. 330 ff.)

Unter den ethifchen Auffätzen erörtert der erfte über
Geiftreich und Taktlos' den ,Geiftreichthum' als eine recht

ihren Lehrern und Seelforgern zu thun fchuldig fei' und:
,Was die Unterthanen der Obrigkeit zu thun fchuldig
find'. — Luther liefs zugleich mit feinem kleinen
Katechismus den grofsen für die Hand der Pfarrherren
und Prediger, dann auch der Hausväter, ausgehen. Wir
vermuthen, dafs der Herr Verfaffer einen ,grofsen Katechismus
' in petto hat und diefen kleinen nur zur Wegbereitung
vorangefchickt hat; wer fein Buch ,der Glaube'

ergötzliche, bisweilen fchädliche, im ganzen überflüfsige j kennt, fieht verlangend danach aus; vielleicht würde auch
Gabe, die höchftens ein Mafsftab für die Agilität des einiges feinen befremdlichen Schein verlieren, wenn man

Combinationsvermögens und eher eine femitifche, als eine
indogermanifche Eigenthümlichkeit zu fein fcheine.

Ein anderer behandelt die Reinlichkeit auf phyfifchem
und moralifchemGebiete theils als Streben rein zu bleiben,
theils als Streben rein zu werden; der nächfte die ,natür-

fich zuvor mit der weiteren Ausführung vertraut gemacht
hätte.

Der Text des kleinen Katechismus Luthers (mit
den eben bemerkten Abweichungen) wird vorangeftellt.
Die Ausführung fchliefst fich an, und zwar fo, dafs dem

liehe Grundlage der Civilifation', die fich darfteilt als die ! Ganzen eine ,Einführung in den Katechismus', den einProportion
zwifchen der Muskelkraft des Menfchen und j zelnen Hauptftücken orientirende Vorbemerkungen zur
der Dicke und Härte der Erdfchicht, welche bei der Ver- Einleitung dienen. Der Ausführung im Einzelnen ift ftets

wendung des Samens der Cerealien zum Ackerbau durchdrungen
werden mufs. Mit dem letzteren Gedanken erneuert
der Verf. eine Idee Lotze's, der ihm auch fonft mehrfach
als Führer dient, ohne fich an diefer Stelle, wie es
fcheint, des Zufammenhanges bewufst zu fein. In der
folgenden Studie enthüllt fich uns der Verf. als ein
gefchickter, aber doch nicht überzeugender Vertheidiger
des Duells unter gewiffen Einfchränkungen. Zwei Effays
befchäftigen fich mit ethifchen Prinzipienfragen. Der eine

Text und Luthers Erklärung wieder vorgedruckt; es folgt
die Exponirung in einer Anzahl von Sätzen und Bibel-
ftellen, und zum Befchlufs wird ein paffender Liedervers
gegeben. Jedes Hauptftück verfteht der Herr Verfaffer
als eine Darfteilung des Chriftenlebens, den fyftematifchen
Charakter des Ganzen erkennt er mit vollem Recht nicht
an. So fafst er das erfte Hauptftück nicht als Sünden-
fpiegel, fondern als den heiligen Willen Gottes, den wir zu
erfüllen haben, und deffen Erfüllung für uns Seligkeit

über ,die Grundlage der Sittlichkeit'leugnet überhaupt die J ift; er fagt (S. 62, 8) ausdrücklich: ,Man foll die Chriften
Nachweisbarkeit eines beftimmten Inhaltes, einer mater- nicht lehren, dafs die Gebote Gottes unerfüllbar feien',
ialen Grundlage für die Moral und fchliefst mit dem Ge- Irgend eine Spur von Scholafticismus fucht man in dem
ftändnifs, den verpflichtenden Grund für menfehliche Hand- Büchlein vergebens; alles ift praktifch für das Chriften-
lungen nicht finden zu können. Der andere bekräftigt diefes leben, voll religiöfer Wärme und fittlichen Ernftes. Wir
fkeptifche Ergebnifs durch die Annahme einer Duplicität verzichten ungern auf die Anführung von gefunden Kernin
dem Urfprunge der Moral, eines irrationalen Elements j gedanken, die in fo reicher Fülle und in einfachfter
in derfelben neben dem rationalen. Das rationale Element Form uns dargeboten werden. Nur auf die Einleitung
des fittlichen Lebens liegt in der Idee der Gerechtigkeit zum erften Hauptftück fei befonders hingewiefen; wie
und Wiedervergeltung, das irrationale in der Thatfache, ! wir die Erfüllung in Jefu Leben fchauen, ,das Leben Jehl
dafs fittliche Handlungen ohne Rückficht auf Vergeltung, müffen wir anfehen, dann verliehen wir überhaupt erft
ohne Rückficht auf das Wohl der eigenen Perfon voll- jedes einzelne der zehn Gebote'; wie wir die Erfüllung
bracht werden. In der chriftlichen Ethik entfpricht dem in der Liebe zu Gott und dem Nächften vollbringen,
irrationalen Element die ,Gnade', deren Eingriff fich jeder aber nur auf Grund der Liebe Gottes zu uns; wie die
Berechnung über Verdienft und Schuld entzieht. (S. 474.) Gebote um unferer Wohlfahrt willen gegeben find und
Zu der Erwähnung Max Stirner's S. 258 fei noch als Gefetz der ,Freiheit' zu gelten haben, wie ihre Erbemerkt
, dafs die Anficht, fein Buch ,der Einzige und füllung das Reich Gottes auf die Erde bringt. Sehr zu
fein Eigenthum' fei als eine Karikatur auf die Lehren von loben ift, dafs erft am Befchlufs des 2. Artikels die Worte:
Bruno Bauer und Feuerbach gemeint, nicht mehr in .wahrhaftiger Gott, vom Vater in Ewigkeit geboren, und
Betracht kommen dürfte. | auch wahrhaftiger Menfch, von der Jungfrau Maria geboren'
p- ji- „„„ „r, ThFIOntianc: 1 behandelt werden, denn erft da find fie religiös ver-
Rredhngen a. D. Ih. Elfenhans. ; ftändlich; ebenfo bringt erft der Befchlufs des 3 Artikels

" j die Lehre von der Dreieinigkeit Gottes, ganz nach dem
Dörries, Paftor Bernhard, Der kleine Katechismus D. Martin Vorbilde Auguftin's in feinen Mufterkatechefen des

Luthers, ausgelegt. Göttingen, Vandenhoeck & Rup- ! jYrJ catc^nzan(^is ™^us ^ucn ,~s 7^ vor.bildlich,

miiieia, auaacicai. s ' M dafs das 4. und 5. Hauptftück nicht nach den einzelnen

recht, 1898. (134 S. 8.) «1. —.50 | Fragen, fondern je als Ganzes befprochen werden; nicht

.Einen Beitrag zurReform des Katechismusunterrichtes' blofs u. E. deshalb zu empfehlen, weil Luther's Erdarf
'man auch dies Büchlein nennen, wie der Herr Ver- 1 klärung diefer Stücke die fchwächfte Partie feines Katechis-
faffer feine inhaltreiche und werthvolle Erklärung des raus ift, vor allem deshalb, weil es pädagogifch unzweiten
Hauptftückes:,DerGlaube'(2.Aufl. Göttingen 1895) ! richtig und religiös verderbend ift, wenn über die Sa-
genannt hat. Es ift aber nicht, wie ,der Glaube', für die ! kramente viele Worte gemacht werden.
Hand des Katecheten benimmt, fondern es ift äugen- Doch nun noch einige Wünfche! 1) Die Ausführung

fcheinlich ein Lernbuch für die Jugend, ein Leitfaden, ; über das erfte Gebot fchliefst mit den Worten: ,Gott
an den der Unterricht fich anfchliefst, und der der Jugend über alle Dinge fürchten, lieben und vertrauen — das
den Gang des Unterrichtes ins Gedächtnifs ruft. Daher heifst glauben an Gott'. Unteres Erachtens müfste
fehlt jedes Vorwort, es fehlt auch die Rechtfertigung des .vertrauen = glauben in den Mittelpunkt der Ausführung
zu Grunde gelegten Textes. Diefer fchliefst fich wahr- treten; .fürchten und lieben' ift dasfelbe wie .vertrauen';
fcheinlich der Texttradition in der Provinz Hannover an; daher wird an den Anfang der Erklärung aller folgenden

vom Texte Luther's weicht er in dem erften Hauptftück
(I.Gebot) wefentlich ab, der 1531 von Luther zwifchen
das 4. und 5. Hauptftück eingefügte Abfchnitt: ,wie man
die Einfältigen foll lehren beichten' ift ausgefallen, auch
das nachlutherifche fog. 6. Hauptftück ,Vom Amt der
Schlüffel' findet fich nicht, ebenfo die 1542 von Luther
eingefügten Stücke der Haustafel: ,Was die Gemeinde

Gebote das Wort gefetzt: ,wir follen Gott fürchten und
lieben', fo dafs alle folgenden Gebote nur der Ausflufs des
erften Gebotes find, und alle Gebote Gottes auf das Eine
hinauskommen: ,wir follen Gott fürchten und lieben';
daraus ergiebt fich alle Vorfchrift aller Gebote als
nothwendige Folge. 2) Da wir nur aus dem, was Gottes
Wille an uns ift, verftehen können, was wider Gottes