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Ausgabe:

1900 Nr. 17

Spalte:

487-489

Autor/Hrsg.:

Stier, Johannes

Titel/Untertitel:

Die Gottes- und Logos-Lehre Tertullians 1900

Rezensent:

Goltz, Eduard Alexander

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 17.

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fyrifche Unterdrückung, die in der Hauptfache eine
religiöfe Verfolgung war', S. 8.

Als exegetifches Argument dafür dient z. B. I 7:
Schrecklich und furchtbar ift es (das Volk der Chaldäer),
von ihm geht aus fein Recht und feine Hoheit. Man
erklärt das, diefes Volk tritt den Völkern gegenüber als
das perfonificirte Gefetz und die perfonificirte Hoheit,
einen Gott und Weltlenker über fich anerkennt es nicht.
Verf. fafst die Worte fo auf, diefes Volk zwingt andern
feine religiöfen Satzungen und Anfchauungen auf. — Wie
diefe Exegefe hier und an anderen Stellen, fo ift natürlich
auch das Gefammturtheil des Verf.'s über das ganze
Buch unannehmbar. Trotzdem mufs der grofse Fleifs
Happel's und fein vielfeitiges Wiffen unumwunden anerkannt
werden.

Breslau. Max Lohr.

T* der Evangelien.

In dem 3. Hefte des 1. Bandes der neuen Zeit-
fchrift, Journal of TJieological studies, London April
1900, S. 415—433, veröffentlichen W. E. Crum und F. G.
Kenyon, Jon. 3,3—4,4» (einiges fehlt), aus einer griechifch-
koptifchen Handfchrift der Evangelien etwa vom 6. Jhdt.
Da diefe Blätter aus dem 3. und 4. Hefte der Handfchrift
find, fo fcheint fie mit dem Joh.-Ev. angefangen zu haben.
Es kommt mir fo vor, als ob ich einmal irgendwo eine
Handfchrift gefehen hätte, die die Hefte jedes Evangeliums
einzeln numerirte; vielleicht irre ich mich in diefer Erinnerung
; aber die vorliegende Numerirung mufs bis
auf Weiteres gedeutet werden, wie fie von den Herausgebern
gedeutet worden ift. Spiritus und Accente fehlen;
der einzige Punkt foll das Kolon fein, weshalb ich den
vollen Punkt auf S. 430, Z. 1. Ende, für einen Druckfehler
halte. Es ift recht zu bedauern, dafs die Zeilen der
Handfchriften nicht beibehalten worden find, und dafs
die heutigen Verszahlen in dem Texte ftatt am Rande
flehen. Auch werden die grofsen Buchftaben nicht angegeben
; die Herausgeber fagen fie yecede beyond the
other lines', was man nach Mafsftabe anderer Handfchriften
nur als ,project beyond' deuten kann; ob diefe
gröfseren Buchftaben nur die drei angegebenen Capitel
einführen, wird nicht gefagt; man vermuthet, fie könnten
die Abfätze des Eufeb kennzeichnen. Die drei Auf-
fchriften der in zahlreichen (gegen den anfcheinenden
Sinn der Bemerkung auf S. 419, Z. 13) Handfchriften
vorkommenden Kapitel follten 3, 25; 4, 4; und 4, 46 vor
xal flehen. Ob jisqi rov ßaöikixov für Joh. Kap. 5' nicht
wahrfcheinlicher ift als jt. rov vlov r. ß.1 Nach den forg-
fältigen Vergleichungen der Herausgeber ift der Text
alexandrinifch und befonders mit ALTb verwandt. Der
koptifche Text ift, was die Herausgeber ,mittelägyptifch'
nennen; ich numerire ihn als faijumifche (früher bafch-
murifche) Handfchrift 7. Möchten die vielen neuen Funde
in Aegypten es den chriftlichen Aegyptologen möglich
machen, die unficheren Kollegen der boheirifchen und
fai'difchen Ueberfetzung genau kennen zu lernen.

Leipzig-Stötteritz. Cafpar Rene Gregory.

Stier, Lic. Dr. Johannes, Die Gottes- und Logos-Lehre Ter-
tullians. Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1899.
(103 S. gr. 8.) M. 2.40

Die vorliegende dogmengefchichtliche Abhandlung
bringt uns eine erwünfchte Einzeldarftellung der Gottes-
und Logoslehre Tertullians. Der Verf. fafst diefelbe als
Typus auf für eine ,karthagifch-römifche Theologie' die
er von der apologetifch-alexandrinifchen und der klein-
afiatifchen (Irenaeus) unterfcheidet. Als wefentliche Eigen-
thümlichkeit diefer karthagifch-römifchen Theologie fieht
der Veif. ihre rein praktifche und durchaus realiftifche
Richtung an. Ob diefer Gefichtspunkt ausreicht, um den

Namen einer befonderen ,karthagifch-römifchen Theologie
' zu rechtfertigen, kann wohl beftritten werden, da diefe
Richtung allen abendlän difchen Theologen eigen ift.
Aber gewifs ift ein fehr wichtiger Charakterzug damit
hervorgehoben, der die Theologie Tertullians von der
morgenländifchen unterfcheidet.

Der Verf. giebt nun eine zufammenhängende Darfteilung
zuerft der Gotteslehre (S. 5—65) und dann der
Logoslehre (S. 65 —103). Im erften Capitel behandelt er
zuerft ,den fpeciellen Gottesbegriff Tertullians' (S. 5—51)
und dann feinen Gottesbegriff ,unter der Beziehung zur
Welt' (S. 51 ff). Diefe fachliche Eintheilung wird freilich
dem Lefer im Drucke nicht deutlich gemacht. Denn es
finden fich überhaupt nur 2 Ueberfchriften, die miteinander
nicht correfpondiren: auf S. 5 ,Der fpecielle Gottesbegriff
Tertullians' (nach S. 51 der erfte Theil der
Gotteslehre) und aufS.65 Zweites Capitel. Die Logoslehre
Tertullians. Scheint das auch nur wie ein äufser-
liches Verfehren, fo mindert es entfchieden die Ueber-
fichtlichkeit der Darftellung, die der Verf. auch durch
häufigere Theilüberfchriften, durch eine vorangeftellte In-
haltsüberficht und ein Regifter der befprochenen Tertullian-
ftellen hätte erleichtern follen. Dazu unterbrechen die
überall in Klammer eingefügten lateinifchen Belegftellen
die ohnehin oft etwas fchwerfälligen Sätze der Darfteilung.

Ein wohlwollender Lefer wird aber gern von diefen
äufserlichen Fehlern abfehen. In ruhiger und fachlicher
Weife werden die Gedanken Tertullians klargeftellt und
man kann es dem Verf. nur Dank wiffen, dafs er die
Frage nach dem Urfprung der Tertullianifchen Auffaffung
nicht unerörtert läfst und auch die Schwächen derfelben
aufzeigt. Freilich erfcheint die fchwierige Aufgabe, die
Darftellung und die Analyfe, den Vergleich und die Kritik
einer Theologie gleichzeitig miteinander zu verbinden
, hier nicht immer ganz geglückt. Aber der wiffen-
fchaftlich Unterrichtete, für den überhaupt die Abhandlung
allein verftändlich ift, wird fich doch leicht zurechtfinden
und bleibt von jeder läftigen Wiederholung verfchont.

Im erden Capitel ift die Darftellung von der Frage
begleitet, ob Tertullian wirklich wefentlich von der ftoifchen
Schule abhängig war und ihr feine Begriffe entlehnt hat.
Stier verneint dies gegen Wadftein, Rauch u.A. mit
vollem Recht unter Hinweis auf Tert.'s entfchloffenen
Theismus und Supranaturalismus. Auch feine Lehre von
der Körperlichkeit Gottes und die ftark finnliche Auffaffung
von afflatus und Spiritus fei nicht ftoifch, fondern vielmehr
der jüdifch-chriftlichen Popular-Religiofität entlehnt. Stier
macht mit Recht darauf aufmerkfam, wie wenig das Sinnliche
zu allen Zeiten dem populären Glauben entbehrlich
ift und wie gerade die römifchen Naturen unter den
Theologen, die mit einem befonderen Blick für das reale
Leben begabt find, nur an der derben Concretheit ihr
Genüge finden. Supranaturalismus und Materialismus
reichen fich hier die Hand. Daraus und nicht aus ftoifchen
Einflüffen ift Tertullians Auffaffung zu erklären. Die
inneren religiöfen Motive der Perfönlichkeit wirken hier
noch ftärker als dies Stier's Darfteilung hervortreten läfst.
Das thatfächliche Zufammentreffen in Einzelheiten mit
andern geiftigen Gedankenfyftemen ift zwar kein zufälliges,
aber noch weniger ein auf Entlehnung oder directem Ein-
flufs beruhendes.

Dagegen ift auf dem Gebiet der formalen Begriffsbildung
und Terminologie folche Entlehnung fremden
Eigenthums viel naheliegender. Diefe kommt bei der im
zweiten Capitel von Stier befprochenen Frage in Betracht,
ob in der Logoslehre die Begriffe substantia,persona etc.
von Tertullian aus der Jurisprudenz entlehnt feien. Stier
beftreitet diefes gegen Harnack (D. G. I 532L II 285!.).
Diefe Begriffe kämen bei Tertullian durchaus in einem
plulofophifchen Sinne vor, nicht in ihrem juriftifchen
I und ,das perfonhaite Moment refp. die Drei-Perfönlich-
i keit Gottes' fei nicht erft aus der Jurisprudenz in die
jüdifch-chriftliche Anfchauung, der Tertullian folge, hin-