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Ausgabe:

1900

Spalte:

451-452

Autor/Hrsg.:

Simons, Eduard

Titel/Untertitel:

Konfirmation und Konfirmandenunterricht 1900

Rezensent:

Holtzmann, Heinrich Julius

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Seite 1

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 15.

452

Simons, Prof. Lic. Eduard, Konfirmation und Konfirmanden-
Unterricht. Tübingen 1900, J. C. B. Mohr. (IV, 93 S.
gr. 8.) M. 1. 80

Es giebt wenige Punkte im kirchlichen Leben der
unmittelbaren Gegenwart, auf welchen Alles, was eine [
Krife in diefem Leben bedeuten könnte, fo concentrirt
und energifch fich geltend macht, wie folches in der
Confirmationsfrage der Fall ifl. IfT die Confirmation
wirklich die Perle und Krone im Wirkungskreife des I
Seelforgers und Predigers, ein Tag, da gleichfam zur
Erfüllung von Joh. 4, 36 die Freuden verheifsungsvoller I
Ausfaat und vorweggenommener Ernte fich treffen? In I
einem lefenswerthen Referate über ,die gegenwärtige
Confirmationspraxis' pflichtet der Hamburger Prediger
Dr. Meincke (im dortigen Kirchenblatt S. 249 f.) einem
Collegen bei, welcher die Confirmation den ,Einen hell-
ftrahlenden Lichtpunkt in manchem ganzen Amtsleben'
nennt. Aber wie befremdlich klingt das zu einer Zeit,
da in gröfseren Städten nachgewiefener Mafsen 10, höch-
ftens 20 Procent in die Kirche hinein-, die übrigen aus
der Kirche hinausconfirmirt werden! Oder ift die Confirmation
heutzutage eher zu einer Unwahrhaftigkeit vor
Gott und Menfchen, zur fchwerften Bürde und Laft des j
Amtes, zum öffentlichen Unfug geworden, der von Gottes
und Rechts wegen abgeheilt werden follte? Gerade von
Hamburg aus haben fich Stimmen erhoben, welche in
diefer Richtung gehen von den bekannten Aeufserungen
VVichern's an bis auf die letzte Kundgebung Mahling's.
Und doch bezeugt uns der oben genannte Geiftliche,
dafs die Confirmation gerade in diefer Stadt, wo fie erft
feit 1832 allgemein eingeführt ift, in der kurzen Zeit
ihres Beftehens fo volksthümlich, ja fo fehr ,die eigentliche
kirchliche Lieblingsfeier' geworden fei, ,dafs fie fich
ohne fchwere ernfteErfchütterungendes kirchlichen Lebens
gewifs gar nicht wieder aufheben liefse'.

Nicht fo grell, aber doch auch erntthaft genug treten
uns ähnliche Contrafte im Leben der rheinifchen Kirche
aus den Vorträgen entgegen, welche der um Gefchichte
und Praxis diefer Kirche fo verdiente Bonner Theologe
Flduard Simons beim Feriencurs des vorigen Jahres gehalten
und dann für den Druck bearbeitet hat. Schon
die kurze Ueberficht über die Entwickelung der Confirmation
nach Idee und Praxis bringt manches Eigen-
thümliche für diefes Gebiet. Namentlich giebt ihr die
jetzt in früher ungeahntem Umfange feftffehende Bedeutung
Butzer's ein von den herkömmlichen Darffellungen
verfchiedenes Geficht. Auch der hier vertretene Begriff
der Confirmation als nach vollendetem Unterricht ftatt-
habende Aufnahme in die volle Cultusgemeinfchaft erinnert
an Butzer's ,Beftätigung in die ganze chriftliche Ge-
meinfehaft'. Gute Worte, welchen man nur ein recht
allfeitiges Echo wünfehen mag, werden dabei gegen das
,Gelübde' gefprochen, gegen alle aus dem Grundfatz
,Viel hilft viel' fliefsenden Forderungen (S. 50. 55), und
ganz befonders hoch mufs man dem Verf. anrechnen,
dafs er es wagt, den Unterricht im Katechismus der
Schule ganz zu entziehen und dem Confirmandenunter-
richt zuzuweifen, ,felbft auf die Gefahr hin, dafs feine
Antworten nicht alle, fondern nur die heften, nicht aber
die fchwerfälligen, die zu lernen eine Pein ift, wörtlich
angeeignet werden' (S. 63). Was dann über Inhalt und
Zweck des Confirmationsunterrichtes Pofitives gefagt und
gefordert (befonders S. 66 f. 79 b 84), was über das Ver-
hältnifs zu Wiffenfchaft und Kritik angedeutet wird (S. 86f.),
gehört licherlich zu den wohl erwogenften und überzeu-
gendften unter den zahllofen Reformvorfchlägen der neue-
ften Zeit. Noch ift rühmlich hervorzuheben, dafs der Verf.
der ganzen Frage nicht blofs von Seiten und im Intereffe
der Kirche gegenübertritt, fondern nicht minder auch die
Bedürfnifse der Schule berückfichtigt und den redlichen
Beiträgen gerecht wird, welche verdiente Schulmänner
zur Löfung geliefert haben. Man lefe was der Verf. über

das Unpädagogifche eines gleichzeitig von zwei ver-
fchiedenen Seiten ertheilten Religionsunterrichtes, über
das Nebeneinander, Durcheinander, Gegeneinander von
Schul- und Confirmandenunterricht', aber auch über den
Unfinn einer Ausdehnung des letzteren auf zwei Jahre
bemerkt, wobei die unermüdlichen Wiederholungen der
Theorie nach dazu dienen follen, die Kinder im Katechismus
zu befeftigen, in Wirklichkeit dazu dienen, fie
,katechismusmüde' zu machen und ,die Reibungsfläche
zwifchen Pfarramt und Schule' zu vergröfsern. Hätte ich
noch, was, Gott fei Dank, nicht mehr der Fall ift, in
katechetifchen Dingen pflichtmäfsig zu reden, fo müfste
ich mich jetzt unter Preisgebung mancher früher vertretenen
veralteten Theorien dem Verf. und anderen
gleich gerichteten Autoritäten anfchliefsen. Doch zweifle
ich sehr, ob ich ihnen auch in der mit fo grofsem Ernft
und fo gewichtigen Gründen erhobenen Forderung einer
Hinausrückung des Confirmandenalters in das 16.—17. Jahr
folgen würde. Gerade eine Erinnerung an die gefchicht-
lich und doch auch fachlich begründete Combination mit
der Schulentlaffung würde mir Bedenken bereiten. Mehr
Gewicht lege ich auf die vom Verf. felbft (S. 25 f.) und
auch von Meincke (S. 275 f.) betonten Schwierigkeiten.
Letzlich find es gewiffe Erwägungen, die mit dem unfertigen
Uebergangscharakter unterer kirchlichen und theo-
logifchen Situation zufammenhängen. Die Rede vom
,Sprung ins Dunkle' ift nicht grundlos. Zum Erquicklichen
in vorliegender Schrift gehört aber gerade der
zuverfichtliche Optimismus, von welchem fie zeugt, der,
wenn nicht Berge verfetzende, fo doch über fie hinaus-
fchauende Glaube an eine unverkümmerte Zukunft der
proteftantifchen Volkskirche, um deren Sein oder Nicht-
Sein es fich bei der Confirmationsfrage zuletzt handelt.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Notiz zu Jerachmeel.

In feiner Anzeige der ,Chronicles of Jerahmeel' (ed.
Gafter) in Nr. 9 diefer Zeitg. (Sp. 264) macht H. Bouffet
nach dem Vorgange des Herausgebers auf die Beziehungen
zwifchen Jerachmeel und der von L. Cohn wieder entdeckten
pfeudophilonifchen Schrift: ,Antiquitatesl aufmerkfam und
meint, dafs die von Jer. aufbewahrten Fragmente jener
Schrift den Beweis zu liefern fcheinen, dafs fie, wie Cohn
annimmt, urfprünglich hebräifch gefchrieben war.

Wie fich dies nun auch verhalten möge, Jerachmeel
darf jedenfalls hierbei nicht verwerthet werden, da fich
conftatiren läfst, dafs ihm auch schon die lateinifchen
,Antiquitates' als Quelle vorgelegen haben.

In der (bei Gafter S. 294 wieder abgedruckten) nach
Gen. X, 1 ff. bearbeiteten Genealogie find die Namen z.
j Th. arg entftellt. Unter den Söhnen Japhets fehlt ferner
gleich Gomer. Doch erfcheint er da, wo feine Söhne
aufgezählt werden: ,Et filii Gomer Thelcr Lud ctc'. —
Dann heifst es (S. 298 1. 2): Et tunc divisa est pars tertia
terrae Domereth et filii ejus aeeeperunt Ladcch. Magoge
autem et filii ejus aeeeperunt etc.

Es ift fofort klar, dafs hier ,Domereth et filii' entftellt
ift aus ,Gomer et filii'. Nun zeigt aber der von Gafter
fagfimilirte Hebräer (fol. 23" 1. 17) genau diefelbe inner-
lateinifche Verderbnifs in der Lesart tVPtt'n d. i.
miail, die aus innerer hebräifcher Corruption zu erklären
ganz unmöglich ift.')

Diefe eine Stelle genügt wohl fchon zu dem Nachweife
, dafs Jerachmeel als ein wefentlicher, unabhängiger
Zeuge für die ,Antiquitates' nicht zu benutzen ift.

Breslau. Siegmund Fraenkel.

1) Der Hebräer hat überdies die Stelle augenfcheinlich noch ganz
mifsverftanden.