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Ausgabe:

1900 Nr. 15

Spalte:

441-445

Autor/Hrsg.:

Achelis, Hans

Titel/Untertitel:

Die Martyrologien, ihre Geschichte und ihr Werth 1900

Rezensent:

Krüger, Gustav

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 15.

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befunden, wie F. annimmt, fo wäre die pfychologifch
nothwendige Vorbedingung für die Bekehrung zu ver-
miffen. — Auch das will nicht recht einleuchten, dafs
die helleniftifchen Elemente in feinem Bewufstfein bis
zu diefem Ereignifs follen gefchlummert haben. Damit
foll keineswegs geleugnet werden, dafs fich für den
Apoftel Vieles, ja das Meide nach feiner Bekehrung in
einem ernderen Lichte zeigte, dafs er vor Allem fein
eigenes früheres Leben nun fchärfer und ungündiger
beurtheilte. Ob er als Pharifäer auch die öaog als nicht
fündig anfah, dürfte fchwer zu entfcheiden fein. Sind |
fo gegen die Hauptergebnifse und ihre Begründung ernde
Bedenken zu erheben, fo foll auf der anderen Seite nicht
verkannt werden, dafs Verf. mit Gründlichkeit und Ge-
fchick feine Aufftellungen verfochten hat. Verdiendlich J
id es fchon, nachdrücklich auf Schwächen der landläufigen
Erklärungen aufmerkfam zu machen und es mit neuen
Löfungen der alten Probleme zu verfuchen. Aufserdem
enthält die Schrift manche treffende Bemerkung zur |
Charakterifirung der Perfönlichkeit und des Evangeliums
des Apodels. Zwifchen den Extremen von Joh. Müller
und Holden fucht F. einen Mittelweg zu finden. Die
Gebundenheit an pharifäifche Schrifterklärung wird offen
zugegeben.

Bonn. Gräfe.

Achelis, IL, Die Martyrologien, ihre Geschichte und ihr Werth,

unterfucht. (Abhandlungen der Königlichen Gefell-
fchaft der Wiffenfchaften zu Göttingen. Philologifch-
hidorifche Klaffe. Neue Folge. Band III, Nr. 3.) Berlin,
Weidmann, 1900. (VIII, 247 S. 4.) M. 16.—

Die vorliegende, aus kirchengefchichtlichen Uebungen
herausgewachfene Arbeit id unter zwei Gefichtspunkten
von Bedeutung: als Beitrag zur Löfung des Problems,
welches das Martyrologium Hicronymianum (MH) auf-
giebt, und als Beitrag zur Kritik der Bollandidifchen
Acta Sanctoruni. Um die Aufhellung jenes Problems
hat fich bisher Duchesne befondere Verdiende erworben
. In einem 1885 in den Mi-langes d''Archcologie
et d'Histoire erfchienenen Auffatz, über den Harnack
in diefer Zeitung 1888 Sp. 349—352 kritifchen Bericht
erdattet hat, unterfuchte D. die Quellen des Martyro-
logiums. In dem 1894 erfchienenen zweiten Novemberbande
der Ada Sanciorum veröffentlichte er eine in
Gemeinfchaft mit dem am 20. Sept. 1894 gedorbenen
G. B. de Roffi vorbereitete Ausgabe des MH, genauer
er liefs die drei wichtigden Handfchriften in Parallel-
columnen abdrucken, ein Verfahren, das Krufch im
Neuen Archiv für ältere deutfehe Gefchichtskunde 24,
i899 » 329—337 mhr verübelt und in fcharfen, ja hoch-
müthigen Worten getadelt hat.

Achelis' Arbeit fetzt ein mit einer Unterfuchung
der drei älteden bekannten Heiligenkalender, der im
Chronographen vom Jahre 354 erhaltenen römifchen
Depositio martyrum (DM), des von Mabillon 1682 aufgefundenen
Martyrologium Kartliaginicnsc (MK) und des
von Wright 1866 herausgegebenen Martyrologiimi Syria-
cum (MS). Die DM (S. 6—18) id ein officielles Acten-
dück der römifchen Gemeinde, der ältede erhaltene |
Kalender, noch in der erden Hälfte des 3. Jahrhunderts
zuerd zufammengedellt, weitergeführt, wenn
neue Verfolgungen die Kirche heimfuchten, und im !
Chronographen in der Gedalt publicirt, die die Lide
im Jahre 354 hatte. MK (S. 18—29) id, wie es vorliegt
, wefentlich jünger, da noch der 505 gedorbene
Bifchof Eugenius erwähnt id. Dementfprechend zeigt
der Kalender, verglichen mit dem römifchen, erhebliche
Erweiterungen. Die Zahl der Märtyrer und der Fed-
tage id fehr gediegen, der Kreis der Kirchen, deren |
Märtyrer man im eigenen Kalender mit berückfichtigte,
bedeutend ausgedehnt. MK hat einer katholifchen, nicht

einer donatidifchen Gemeinde gedient. Zu ausführlichen
Erörterungen giebt MS (S. 30—71) Anlafs. Dabei werden
wichtige Beobachtungen Duchesne's (S. 59 Nr. 4 hätte
gefagt werden können, dafs auch Harnack, unabhängig
von D., in feiner Anzeige von Egli's Altchridlichen
Studien in diefer Zeitung 1887 Sp. 301 fich ebenfo ge-
äufsert hat) bedätigt und weitergeführt. Der erde Theil
von MS id in Nikomedien nach Julians Zeit von einem
Arianer unter Benutzung der kirchlichen Diptycha der
gröfsten Städte des Reiches verfafst worden. Auch
anderwärts brauchbar befunden kam der Kalender
nach Antiochien, wo er Zufätze enthielt, von dort nach
Edeffa. Hier wurde er in die Landesfprache überfetzt,
wieder um die Namen einiger einheimifcher Gröfsen vermehrt
und mit dem Verzeichnifs perfifcher Märtyrer verbunden
, das jetzt den zweiten Theil von MS, eine
Hauptquelle perfifcher Kirchengefchichte, bildet. In diefer
Gedalt, in einer Handfchrift vom Jahre 411, id der
Kalender auf uns gekommen. Schon die Vorlage, die
der fyrifche Compilator benutzte, zeigte übrigens gegenüber
dem nikomedifchen Urmartyrolog erhebliche Lücken,
was fchon Duchesne veranlafste, das MS als Brevia-
num Syriacum zu bezeichnen.

,Diefe drei Quellen find, dark vermehrt durch neue
Zufiüfse, und mit vielen anderen vereint, im Hieronymi-
anum zusammengefioffen. Es id das Sammelbecken für
die alten Ueberlieferungen der Kirche über die Märtyrer'
(S. 3). Das id der Leitfatz für die Unterfuchungen des
vierten Abfchnittes (S. 71—109), der dem MH gewidmet
id. ,DM, MK, MS und MH find Stufen einer Ent-
wickelungsgefchichte, und das eigentliche Problem diefer
Gefchichte id die ungeheure Vermehrung der Heiligen
und ihrer Fede feit der zweiten Hälfte des vierten Jahrhunderts
', für die eben MH beredtes Zeugnifs ablegt.
Wenn man von DM, MK und MS als Quellen diefer
Compilation redet, fo kann das doch nicht ohne Kautelen
gefchehen. Die römifche Quelle in MH id nicht ohne
Weiteres mit DM zu identificiren: der bald nach Bonifatius
I. (f 422) abgefchloffene Kalender berückfichtigt
ganz Mittelitalien, entfprechend dem römifchen Machtgebiet
. Da der in MH eingetragene karthagifche Kalender
— im Gegenfatz zum römifchen — fchlecht erhalten
id, fo läfst fich über feine Gedalt wenig fagen.
Das orientalifche Martyrolog, das in MH verwerthet id,
war bedeutend reicher als MS, wenn es auch keinem
Zweifel unterliegen kann, dafs MS und die orientalifche
Vorlage von MH zwei Exemplare desfelben Werkes,
nämlich des erweiterten nikomedifchen Kalenders, find.

Der Abfchlufs diefer Quelle id erd in die Zeit Judinian's
zu fetzen, keinenfalls vor 520, und fomit id fie erd nach
diefer Zeit mit MH vereinigt worden. ,Die Aufnahme
des orientalifchen Martyrologs aber id der wichtigde
Punkt in der Gefchichte des MH. Bis dahin war es eine
Urkunde gewefen, die dem Intereffe einiger Provinzen
diente; damals erhielt es univerfellen Charakter' (S. 93).
Damals id ihm auch die gefälfehte Vorrede in Gedalt
des Briefwechfels der oberitalienifchen Bifchöfe Chromatius
und Heliodorus mit Hieronymus vorgefetzt worden.
Und zwar id das Alles etwa um 530 in Oberitalien, wohl
in/üCr Diöcefe Aquileja, gefchehen, die Abfaffung des
mcht im Rom erfolgt (fo auch Duchesne und
Zöckler [Real-Encycl. I3, 144]; anders, aber wohl unrichtig
, Harnack a. a. O. 1888, 351 f.). Wenige Jahre
nach feinem Abfchlufse, 544, empfahl Caffiodor das MH
feinen Mönchen zur Leetüre, und zur Zeit Gregors des
Grofsen galt es in Rom als die allein echte Quelle für
die Ueberlieferungen über die Märtyrerzeit. Inzwifchen
war es noch durch mancherlei Zufiüfse bereichert worden,
über deren Gedalt, wie auch über die Zeit ihrer Aufnahme
, indeffen nur Vermuthungen möglich find: dahin
gehören die kampanifchen, die ficilifchen, die fpanifchen
Notizen; dahin gehört vor Allem die grofse afrikanifche
Quelle, die, in keiner Beziehung zu MK dehend, aus der

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