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Ausgabe:

1900 Nr. 14

Spalte:

420-426

Autor/Hrsg.:

Reinke, Johann

Titel/Untertitel:

Die Welt als That. Umrisse einer Weltansicht auf naturwissenschaftlicher Grundlage 1900

Rezensent:

Otto, Rudolf

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 14.

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fchen Zeitalters zu zeigen. . . Wir thun nichts anderes, als
dafs wir die gegebenen Texte mit Rückficht auf unteren
Gegenftand erklären; die Arbeit ift alfo exegetifch; apo-
logetifch wird fie dadurch, dafs das Einzelne dem Grundgedanken
angegliedert und in feiner Bedeutung für den-
felben gezeigt wird'. Dementfprechend ift auch die
Schrift gegliedert. Der erfte Theil (S. 17—101) gilt der
Prüfung der Ueberlieferung und Beftimmung des Charakters
der Handlung Jefu. Der zweite Theil (S. 102—
196) erörtert die Bedeutung der Abendmahlshandlung
Jefu. Der dritte Theil (S. 197—270) .Stellung der Abendmahlsgedanken
im neuteftamentlichen Chriftusbegriffe',
foll die Bedeutung der Handlung Jefu ,im Lichte der auf
Chriftus bezüglichen Grundgedanken der Gefammtoffen-
barung darfteilen'. Der Zufammenhang der Beweife
erhellt aus folgenden Ausfagen: ,Die Kraft diefes Be-
weifes liegt darin, dafs an der hiftorifchen Thatfächlich-
keit der Abendmahlseinfetzung durch Jefus nicht zu
zweifeln ift. . . . Sie ift ein Beweis für die Gottheit Chrifti I
durch ihren erhabenen Gedankeninhalt: Jefus ftellt durch j
diefelbe feinen Kreuzestod als Opfertod für das Heil I
der Welt dar' ... ,In der Handlung Jefu reflectirt fich das
ganze Geheimnifs der Incarnation in feinem Zufammenhang
mit dem Lebensfchickfal Jefu' (S. 13).... ,Wenn
Jefus fich felbft als Opferfpeife giebt, um den Teilnehmern
an feinem Opfermahle göttliches Leben mitzutheilen, fie
in Lebensgemeinfchaft zu fetzen mit der abfoluten Wahrheit
und Heiligkeit, fo darf er nicht blofs äufserlich geheiligt
fein, wie dies bei dem vorbildlichen Opferfleifch
der Fall ift, fondern er mufs im wahren und eigentlichen
Sinne geiftig-fittlich die Gottesfülle in fich tragen, fein
Wefen mufs ganz von dem göttlichen durchdrungen fein,
er mufs in wefenhafter Verbindung mit Gott flehen, um
der Gotterfüllte, Gottgewollte, das Gottesbrot zu fein; er
mufs perfönlich Gott fein'. (126). Der Schwerpunkt der
ganzen Beweisführung liegt in der Faffung der Handlung
Jefu als eines Opfers und in der näheren Beftimmung
des Opferbegriffs. Der grofsartige biblifch-theologifche
Apparat, den der fehr gutinformirte und über ausgedehnte
Hülfsmittel verfügende Verfaffer (das Literaturverzeich-
nifs S. VII—X enthält 88 Schriften, die er wirklich kennt
und vielfach benutzt) in Bewegung fetzt, fleht hier zweifellos
im Frohndienfte der katholifchen Dogmatik/Nachdem
bereits im 2. Theil der Schrift ,der das ganze beherr-
fchende Grundgedanke des Beweifes' entwickelt worden,
nimmt fich der dritte Theil wie eine ziemlich über-
flüffige Zugabe aus. Die weitere Unterfuchung bringt zu
dem bereits gewonnenen Ergebnifs keine neuen Gedanken
, fie foll das frühere Refultat nur umfaffender darlegen
und eingehender begründen. ,Um über den Abendmahlsgedanken
in feiner Bedeutung für die Perfon Chrifti
volle Klarheit zu gewinnen, müffen wir nunmehr den
Blick höher richten zu der Offenbarung, welche das
göttliche Wort von fich felbft gegeben hat, um zu zeigen,
wie der Abendmahlsgedanke ganz aus dem neuteftamentlichen
Chriftusbegriffe herausfliefst, um im Glänze des
Gefamtbildes, das die hl. Schriftfteller von der Perfon
Chrifti entwerfen, unfere bisherige Darfteilung zu beleuchten
und deren Richtigkeit zu erproben. Bilden die
Ausfagen der neuteftamentlichen Schriftfteller nur die
Vorausfetzung der im Abendmahl niedergelegten Gedanken
, fo erlangt unfer Beweis allgemeine Giftigkeit und
volle Durchfchlagskraft; wir finden dann beftätigt, dafs
der Abendmahlsgedanke uns den richtigen Gefichtspunkt
zum Verftändnifs der Perfon Jefu geboten hat und gewinnen
ein ficheres Urtheil über die einzelnen Bezeichnungen
im neuen Teftament' (196). Es kann hier fich
nicht darum handeln, die biblifch - theologifchen Ausführungen
diefes letzten Theiles der Hehn'fchen Schrift
zu prüfen. Dafs der ,neuteftamentliche Chriftusbegrifff
als ein einheitlicher erfcheint, dafs unter die ,urapofto-
lifchen Schriften' neben den Synoptikern die Apoftel-
gefchichte, der Jakobusbrief, der Judasbrief, der zweite

Petrusbrief, der erfte Petrusbrief gezählt werden, dafs
der Hebräerbrief als Werk des Paulus gilt, dafs die Apo-
calypfe im Anfchlufs an das vierte Evangelium und an
die Johannesbriefe den Kreis der biblifch-theologifchen
Erörterungen vollendet, wird keinen Lefer Wunder
nehmen. Ebenfo wenig, dafs die exegetifchen und hiftorifchen
Auseinanderfetzungen häufig in dogmatifche Reflexionen
ausmünden oder durch erbauliche Betrachtungen
durchkreuzt werden, wobei ftets der Opfergedanke den
alles beherrfchenden Mittelpunkt bildet. S. 219: ,Die
Bezeichnung „Knecht Gottes" in der Apoftelgefchichte
fetzt den Glauben an die heilende und verföhnende
Kraft des Todes Jefu, alfo deffen Opfercharakter, voraus.'
S. 235: ,Die Neubelebung und Gleichgeftaltung nach dem
Bilde Gottes durch Gnade und Heiligkeit in der Vereinigung
mit dem Opfer Chrifti hat zur Folge, dafs wir
zu Chriftus in das Verhältnifs zu Brüdern, zu Gott wieder
in das Verhältnifs von Söhnen treten, wir werden wieder
Kinder Gottes'. S. 246: ,Der Logos hat Fleifch angenommen
, um durch feine perfönliche Erfcheinung unter
den Menfchen, durch fein fchmerzliches Opfer dieMenfch-
heit mit Gott zu vereinigen, fich ihr geiftig und facra-
mental als Lebensbrot darzubieten'. S. 264: ,Die geheime
Offenbarung (Apocalypfe) ift deshalb von behenderem
Intereffe für unferen Gegenftand, weil fie den Genufs
Gottes im Opfer und in der Verklärung in ihrer Einheit
fo klar vor Augen ftellt'. Selbftverfländlich liefert die
katholifche Lehre den Schlüffel zum Verftändnifs diefes
durch die Gefammtoffenbarung der biblifchen Schriften
fich hindurchziehenden Opferbegriffes, fo dafs von diefen
Prämiffen aus der Rückfchlufs auf die Gottheit Chrifti ein
durchaus legitimer ift. Der Ton der Auseinanderfetzungen
mit differirenden Anflehten zeichnet fich überall durch
fachliche Haltung und würdigen Ausdruck aus. Die Genugtuung
, die eine hiltorifch gefchulte Theologie, wie
fie auf dem Boden der evangelifchen Kirche erwächft,
gegenüber diefem Verfuche katholifcher Apologetik empfinden
könnte, wird durch die Erwägung wefentlich
herabgeftimmt, dafs auch bei uns in gewiffen Kreifen
ähnliche Unterfuchungen nicht nur möglich fein dürften,
fondern thatfächlich hervorgetreten find.

Strafsburg i. E. P. Lobftein.

Reinke, Prof. Dr. J., Die Welt als That. Umriffe einer Weltanficht
auf naturwiffenfehaftlicher Grundlage. Berlin,
Gebr. Paetel, 1899. (IV, 483 S. gr. 8.) M. 10.—

Verf. ift Profeffor der Botanik und Director des
botanifchen Gartens in Kiel. Sein Buch reiht fich nach
Inhalt und Abficht an W. Haacke's ,Die Schöpfung des
Menfchen und feiner Ideale' 1895, an Raoul Pictet's:
ptude critique du materialisme et du spiritualismei, 1896,
an A. Wagner's ,Grundprobleme der Naturwiffenfchaft',
1897. Es ift mit diefen zufammen ein ßn-de-szec/e-Sympiom
der erfreulichften Art, ein Symptom zwar nicht der umkehrenden
Wiffenfchaft', die es nicht geben kann, aber
etwa der ,einkehrenden Wiffenfchaftler', einkehrend nämlich
von der blofsen Empirie zur Reflexion, von den allzu
oben liegenden und gefchwinden Deutungen der Wirklichkeit
zur Anerkennung ihrer Tiefen und Räthfel.
Weniger elegant und rhetorifch dafür mannigfaltiger an
Gefichtspunkten und Material als das Buch des Genfer
Chemikers, durch Belege aus der Botanik das des anti-
darwinfehen Zoologen willkommen ergänzend, nicht
annähernd fo methodifch und in den Problemen gefchult,
aber dafür concreter wie das zum Theil abftracte Buch
des , unmodernen Naturforfchers', unterfcheidet es fich
von allen dreien dadurch, dafs es herzhafter auf feinen
direct apologetifchen Endzweck losgeht, und hat es mit
ihnen gemein eine energifche Revifion und Kritik deffen,
was man vorläufig wohl immer noch die .moderne' Welt-
anfehauung nennen mufs: die moniftifch-materialiftifche,
rein caufale Welterklärung. Mit allen dreien theilt es die