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Ausgabe:

1900 Nr. 13

Spalte:

396-397

Autor/Hrsg.:

Cumont, Franz

Titel/Untertitel:

Textes et monuments figures relatifs aux mysteres de Mithra 1900

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 13.

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Jakobus fei uns aber nur fragmentarifch und vermifcht
mit fremdartigen Zufätzen erhalten. Denn die Abfchnitte
4 1-10 und 5 i-6 feien urfprünglich nicht, wie die Jakobusrede
, an eine judenchristliche, fondern an eine jüdifche
Adreffe gerichtet gewefen. Ein diefes Sachverhalts unkundiger
Redactor habe die verfchiedenartigen Stücke
mit einander verwoben und noch einige weitere Gloffen
eingefügt: 1 19b-20, 413-15, 417, 5 12 (S. 193fr.). — Dafs
unfer Verfaffer den Jakobusbrief, obgleich er ihn nicht
für vorpaulinifch hält, doch als ein Document des ur-
chriftlichen Anfchauungskreifes vor den Paulusbriefen
befpricht, kann ich verftehen. Aber unverftändlich ift
mir, wie bei den kritifchen Anfchauungen des Verf. auch
der Hebräer- und I. Petrusbrief an diefe Stelle kommen.
Den Hebräerbrief hält der Verf. nicht für ein Schreiben
eines paläftinenfifchen Chriften an Judenchriften, fondern
für ein Schreiben eines alexandrinifchen Helleniften an
Heidenchriften, wahrfcheinlich an folche, welche urfprünglich
grofsentheils Profelyten des Judenthums gewefen
waren und nun in Gefahr waren, wieder einer judaifiren-
den Strömung zu folgen (S. 203). Wenn der Brief auch
vor dem J. 70 gefchrieben fein foll, weil er auf die Zer-
ftörung des Tempels nicht Bezug nimmt, fo foll er doch
erft in die Ausgänge des apoftolifchen Zeitalters fallen.
Der gleichen Zeit nach dem Tode des Paulus foll auch
der I. Petrusbrief zugehören. Bei diefen beiden Briefen
nimmt unfer Verf. eine Beeinfluffung durch den pauli-
nifchen Gedankenkreis wahr, ein Streben, fich diefem
v Gedankenkreis zu nähern, im Unterfchiede von Jakobus,
•der der paulinifchen Lehre gegenüber eine ablehnende
Stellung einnehme (S. 202). Aber warum find dann nicht
diefe Briefe nach Paulus behandelt? Der im Vorworte
geltend gemachte Gefichtspunkt, dafs der Hebräer- und
I. Petrusbrief ein Auffteigen von dem Standpunkte des
Jakobus zu dem des Paulus zeigen, das dem Jakobus
verfagt blieb (S. VII), würde die Behandlung diefer Briefe
vor Paulus doch nur dann rechtfertigen, wenn man den
Standpunkt diefer beiden Briefe als vorbereitend für den
Standpunkt des Paulus betrachten könnte. Man kann
aber in Wirklichkeit gerade fo gut fagen, dafs diefe
beiden Briefe den reinen Paulinismus nicht mehr zeigen,
als dafs fie ihn noch nicht erreicht haben. Nach den
eigenen kritifchen Prämiffen des Verf. wäre an diefer
Stelle feines Werkes zwifchen Jefus und Paulus neben
dem Jakobusbriefe der I. Johannesbrief zu erörtern gewefen
, den der Verf. auf den Apoftel Johannes zurückführt
. Die praktifchen Ermahnungen diefes Briefes
fchliefsen fich doch gerade fo unmittelbar an die johan-
neifchen Reden Jefu an, wie die des Jakobusbriefes an
die fynoptifche Verkündigung Jefu. Auch in der Abwehr
eines mifsverftandenen Paulinismus (I. Joh. 3 7) zeigt
fich eine dem Jakobusbriefe verwandte Stellung und
Stimmung. Unfer Verf. nimmt auch ein Beeinflufstfein
des Paulus nicht zwar durch die johanneifche Literatur,
wohl aber durch eine auf Johannes zurückgehende mündliche
Ueberlieferung an. Dafs für die ethifche Betrachtung
des Paulus Jefus zugleich Perfönlichkeit und Princip
ift, erklärt er daraus, dafs die Selbftzeugnifse Jefu, die
fpäter im vierten Evangelium fchriftlich fixirt wurden,
fchon vorher in der chriftlichen Gemeinde überliefert waren
und fo auch den Paulus beeinfluffen konnten (S. 399—402).

Bei der Darstellung der Ethik des Paulus combinirt
der Verf. die ,genetifche' und die ,fyfternatifirende' Methode
in der Weife, dafs er fowohl bei der Befprechung
der grundlegenden ethifchen Begriffe des Paulus: Gefetz,
Fleifch und Sünde, Welt und Tod, Bekehrung und Glaube,
neues Leben, als auch bei der Befprechung der Ausge-
ftaltung des neuen Lebens den Stoff der einzelnen
Paulusbriefe nach einander durchgeht. Diefes Verfahren
ift durchaus zweckmäfsig und ich halte diefen Theil des
Werkes für den beftgelungenen. Dafs der Verf. den
Epheferbrief, obgleich er ihn nicht als authentifch pauli-
nifch betrachtet (S. 265), doch unter den Paulusbriefen

mit verwerthet, läfst fich eher rechtfertigen, als dafs er
ebenfo mit den Paftoralbriefen verfährt. Die Erwägung,
dafs diefen letzteren kleine Privatfehreiben des Paulus
zu Grunde liegen und dafs fie ,Ausklänge paulinifchen
Geiftes' darstellen (S. 258, 378), hätte nicht den Aus-
fchlag geben dürfen der Thatfache gegenüber, dafs die
praktifchen Vorfchriften diefer Briefe doch fchon von
anderen religiöfen Begriffen beherrfcht find und auf
wefentlich andere Gemeindeverhältnifse Bezug nehmen,
als die echten paulinifchen.

Im letzten Theile befpricht der Verf. die ethifche
Eigenart der fynoptifchen Evangelien und der Apoftelge-
fchichte, dann die johanneifchen Schriften, den Judas-
und II. Petrusbrief. Eine kurze Betrachtung über den
fortdauernden Werth der neuteftamentlichen Ethik für
das Chriftenthum der Gegenwart macht den Befchlufs.

Jena. H. H. Wen dt.

Cumont, Prof. Franz, Textes et monuments figures relatits
aux mysteres de Mithra publies avec une introduetion
critique. T. I, Introduetion. Bruxelles, H. Lamertain,
1899. (XXVIII, 377 S. 4.)

Auf diefes bedeutende Werk möchten wir unfere
Lefer wenigftens in der Kürze aufmerkfam machen.
Es fehlte längft an einer zufammenfaffenden Arbeit,
welche die zahlreichen Einzelforfchungen über die Ge-
fchichte und Verbreitung des Mithräs-Cultus in fich
vereinigte und die Refultate daraus zog. Das Bedürfnifs
darnach wurde um fo dringender, je mehr fich in neuerer
Zeit die Funde von Infchriften und Monumenten häuften.
Durch Cumont's monumentales Werk wird diefes Bedürfnifs
nun in ausgezeichneter Weife befriedigt. In
dem bereits früher erfchienenen zweiten Bande (1896) hat
er die Texte der Schriftfteller, die Infchriften und die
bildlichen Darstellungen, welche fich auf den Mithras-
I cultus beziehen, in einer Vollständigkeit mitgetheilt, die
I vielleicht eine lückenlofe genannt werden darf. Der
jetzt erfchienene erste Band bezeichnet fich befcheiden
als ,Einleitung', ift aber thatfächlich eine erfchöpfende
Unterfuchung und Darstellung der Gefchichte desMithras-
cultus von feinen ersten Anfängen in der perfifchen Urzeit
bis zu feinem Untergang im vierten Jahrhundert n. Chr.
Der Band zerfällt in einen unterfuchenden und einen
darstellenden Theil (I. Critique des documents p. 1—220,
II. Conclusions p. 221—350). Jener untersucht theils die
Gefchichte des Mithrascultus, feine Wandlungen und
feine Ausbreitung, theils die Bedeutung der überlieferten
Monumente und Ceremonien. Diefer fafst die Refultate
in Betreff der Gefchichte zufammen, handelt von den
Beziehungen des Mithrascultus zum römifchen Kaiferthum
und zu den andern Religionen des römifchen Reiches,
und giebt namentlich eine eingehende Darftellung der
geheimnifsvollen Lehre (S. 293—312), fowie der Ceremonien
und der Verfaffung der Mithras-Cultvereine
(S. 313—330). Ueber das Verhältnifs des ,Mithriacismus'
zur Religion des Avefta äufsert fich Cumont S. 11 f.
folgendermafsen: ,Le mithriacisme u'est donc pas, Conane
on l'a cru a tort, une alteration du zoroastrisme avesti-
que. II s'est developpe a ebte de lui et indtpendamment
de lui, ils sont l'une et lautre une Transformation de
l'antique religion des tribus iraniennes. Le mazdeisme
Occidental — fentends celui pratique en Cappadoce et
dont les mysteres de Mithra sont derives — etait reste
a certains egards plus pres de l'ancicnne religion perse
que celui qui etait professe par le clerge sassanide et
dont lAvesta est le livre sacre

Für den christlichen Theologen ist die Gefchichte
diefer orientalifchen Religion nicht nur deshalb von hervorragendem
Intereffe, weil fie jahrhundertelang eine
mächtige Rivalin des Christenthums war, fondern auch
deshalb, weil die Frage ernstlich zu erwägen ift, ob nicht