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Ausgabe:

1900 Nr. 13

Spalte:

392-393

Autor/Hrsg.:

Visme, J. de

Titel/Untertitel:

Quelques traits du Jesus de l‘histoire 1900

Rezensent:

Lobstein, Paul

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 13.

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vorhanden. Ferner verräth fich der Zufatz hinter 11 u
deutlich als eine z. Th. auf Mifsverftand beruhende Ueber-
fetzung aus dem Hebräifchen. Nämlich für xolq de yav-
qioögiv sjiI xaxiq GvyyrjQq xaxd hat der Syrer offenbar
richtig: mit denen, die im Böfen auferzogen find, altert
das Böfe. Alfo ift yavQimöiv falfche Ueberfetzung von
n^bytiva oder dgl. Hebräifche Sprachfarbe hat im Lateiner
der Satz 31: filii sapientiae ecclesia justorum, et natio Worum
obedientia et düectio. Ferner geht das posuit (= er ver-
fprach) David puero suo excitare regem etc. wohl auf
hebräifches QipM (vgl. z.B. 4422) zurück, wie auch Herkenne
bemerkt hat. Undenkbar ift es auch nicht, dafs
der Zufatz des Lateiners hinter 2432 (f. o.) hebräifchen
Urfprungs wäre.

Sodann greift Schi, von den Zufätzen ausgehend den
übrigen Textbeftand der griechifchen Hff. an. In der
Einleitung behauptet er nämlich, dafs der Prototyp aller
uns erhaltenen griechifchen Hff. die ,Gloffen' enthielt,
die freilich in den meiften Hff. nachher wieder ausgeftofsen
feien (S. 6). Allein der Schule Ariftobuls, heifst es fpäter,
werde die Erhaltung des griechifchen Sirach verdankt
(S. 190). Einen Beweis für diefe aufserordentliche Behauptung
findet Schi, darin, dafs der Syrohexaplaris
einen Theil der Gloffen als folche kenntlich macht. Ori-
genes, fchliefst er, befafs alfo noch eine andere (nicht-
gloffirte) Textrecenfion, die er als kritifches Mafs für
die gloffirte verwerthete, und die Ausftofsung der Gloffen
in den betr. griechifchen Hff. ift auf die hexaplarifche
Ueberlieferung zurückzuführen (S. 7). Nachträglich bemerkt
Schi. (S. 129), dafs im Sinaiticus fich gelegentlich
ein Afteriskus findet (es ift das vor 163°, 10, 232d,
35 i8d der Fall), und das foll ,handgreiflich' beweifen,
dafs nicht nur der Sinaiticus, fondern zugleich auch der
Alexandrinus und der Vaticanus auf einen Codex zurückgehen
, der die Gloffen zwar enthielt, fie aber mitteilt
kritifcher Zeichen abfonderte.

Auf Grund diefer Conftruction der Textgefchichte
unternimmt Schi, eine wahre Razzia auf den griechifchen
Text. Eine Menge von Lesarten, aber auch von ganzen
Verfen, die fich in allen Hff. finden, führt er auf den
Gloffator zurück. Als Wegleitung dient ihm dabei die
Uebereinftimmung der Ausdrucksweife. Weil die .Gloffen'
öfter dydmjGiq (das übrigens auch in der LXX oft genug
vorkommt) haben, mufs z. B. 4020 (S. 114) ayä-
strjGiq Gopiaq vom Gloffator herrühren und ebenfo 4811
(S. 115) das ot ev dyajtrjGei xexoau.rjusvoi, (aber wichtige
Zeugen haben xexoiu.iju.evoi, wonach dvajtavGsi
zu lefen fein wird). Weil in dem Zufatz hinter 2511 jt'iGxiq
als Treue gegen Gott vorkommt, werden stloxiq und
jiiGxog überall, wo fie in diefem Sinne vorkommen, angefochten
. So zunächft 1 u, 13 insgefammt, obendrein
auf Grund der unrichtigen Behauptung, dafs fie im Syrohexaplaris
mit kritifchen Zeichen verfehen feien (S. 118 f.).
Ebenfo 4110 (S. 122) das ev üüGxei , obwohl es deutlich
= äXrj&ivmq = rittfcO (421) ift. Auch döiäxoejtxoq
foll 2610, 4211 unächt fein, weil das Wort in der Gloffe
hinter 26is, vorkommt (S. 37). Es ift aber = iiTnS,
das 4211 am Rande fleht (und nicht zu 42ioc gehört).
Inzwifchen find viele der hierbei von Schi, angefochtenen
Verfe durch die neugefundenen Fragmente als urfprüng-
lich hebräifch erwiefen.

Uebrigens find die Vorausfetzungen feiner Textkritik
haltlos. Uer Syrohexaplaris bezeichnet die ,Gloffen',
was Schi, feinen Lefern wiederum vorenthält, mit Afte-
risken. Alfo ift der hexaplarifche Text als folcher
nicht der ,gloffirte', der hier nach dem Mafsftab einer
kürzeren Textgeftalt kritifirt wäre, vielmehr liegt ihm
ein kürzerer Text zu Grunde, in den Zufätze aus einem
längerem Text eingetragen find, oder mit anderen Worten,
er repräfentirt die erfte Ueberfetzung, vermehrt um das
Plus der zweiten. Sodann konnte durch die Afterisken
Niemand veranlafst werden, diefe ,Gloffen' auszufcheiden.
Endlich mufste Schi, aus Swete's Ausgabe, oder auch 1

fchon aus Nestle's Collation fehen, dafs die Afterisken
des Sinaiticus erft dem Corrector angehören, dafs fie
alfo für den Sinaiticus felbft nichts beweifen und noch
weniger für A und B.

Ich bin auch auf diefe textkritifchen Operationen
Schlatters eingegangen, weil Ryffel (S. 245 ff.) ihm auch
hier, z. Th. fogar in den Einzelheiten, zugeftimmt hat.

Göttingen. R. Smend.

Visme, Dir. J. de, Quelques traits du Jesus de l'histoire.

Deux etudes. Montauban 1899. Paris, Fifchbacher.
(135S.gr. 8.) Fr. 1.25

Diefe Brofchüre enthält zunächft einen am 18. April
1899 der allgemeinen Paltoralconferenz zu Paris vorgelegten
Bericht. Derfelbe unterfucht, in einer ,hiftorifchen
und exegetifchen Studie', die Auslagen Jefu über feinen
Tod (Ce que Jesus a pense de sa mort, S. 5—58). Den
zweiten Theil der Schrift (S. 59—135) bildet eine eingehende
Befprechung des auch in diefem Blatte angezeigten
Werkes von Stapf er, Jesus-Christ: sa personne,
son autorite, son oeuvre (Th. Lztg. 1897, Nr. 15; 1898, Nr. 15);
diefe Befprechung erfchien zunächft in 8 Nummern der
unter den confervativen Proteftanten Frankreichs fehr verbreiteten
Kirchenzeitung Le Christianisme au XfXe siecle,
und wird hier als Separatabdruck veröffentlicht, was
fich aus der durch Stapfer's Schrift hervorgerufenen Aufregung
erklärt und rechtfertigt. —■ In der erften Studie
beantwortet De Visme die Frage Quand Jesus a prevu
sa mort dahin, dafs Jefus nicht erft nach der ,galiläifchen
Krifis' und dem Meffiasbekenntnifs des Petrus feinen
Tod vorausgefehen habe: wie er bereits nach der Taufe
innerlich fertig war, fo war feit jener Zeit der Todes-
und Selbftopfergedanke in feinem Bewufstfein gegenwärtig
und lebendig; den hiftorifch-kritifchen Gründen
für diefe Erklärung, welche namentlich das heitere Bild
eines ,galiläifchen Frühlings' als ungefchichtlich nachzu-
! weifen fucht, follen pfychologifche und religiös-dogma-
tifche Beweife ihre Vollendung geben (f. bef. 13—16). —
Jefus hat zwar mit zuversichtlicher Hoffnung feinen Beruf
an feinem Volke, nämlich die Stiftung des Gottesreiches,
in Angriff genommen; er konnte fich aber keinerlei
Illufion hingeben, da er aus den Propheten wufste, dafs
immer nur eine kleine Schaar, ein ,Reft' gerettet werde
(16—18). — Dadurch foll allerdings eine Entwickelung
nicht aus dem Leben Jefu entfernt werden, nur ift diefe
Entwickelung nicht un developpemcnt allant de Verreur ä
la verite, parcc que Verreur enseignee et vecue me pa-
rait tenir du peche (19). Diefe Entwickelung war ein
F"ortfchritt in der Erkenntnifs und im Gehorfam; ihr Er-
gebnifs war die Herstellung einer kleinen Gemeinde, die
Zurüftung eines peuple de franche volonte qui le reconnai-
trait pour son roi (26). — In der nun folgenden Prüfung
der Ausfprüche Jefu über feinen Tod wählt der Verf.
drei aus den Synoptikern, zwei aus dem Johannesevangelium
; das Wort von der ehernen Schlange Joh. 3,
14—15 (29—31), das Wort von der Feuertaufe Luc. 12,
49—5° (31—33), die Xvxqov-Stelle (33—30), das Wort
vom Samenkorn Joh. 12, 20—36 (40—44), die Abendmahlsworte
(45—51); er fchliefst mit einigen Bemerkungen
über das Gebet Jefu in Gethfemane und feinen Ruf am
Kreuze (51 — 52). Bei der Exegefe der fynoptifchen Aus-
fagen Jefu zeigt fich der Verf. von der fehr gediegenen,
aber hiftorifch nicht einwandfreien Arbeit H. Babut's
abhängig {Lapensce du Jesus sur sa mort d'apres les evan-
giles synoptiques, 1897). — Die kritifche Auseinanderfetzung
mit Stapfer fucht, bei aller Anerkennung des von St. gemachten
Verfuches, ein Charakterbild Jefu zu zeichnen,
diefes Bild als widerfpruchsvoll, als weder den Forderungen
des Glaubens noch den Aufgaben der Gefchichte
entfprechend darzuthun. Die Einwendungen und die Bedenken
, die der Verf. gegen das Unternehmen, ein Leben
Jefu zu fchreiben, geltend macht (77—79), erinnern an