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Ausgabe:

1900 Nr. 12

Spalte:

366-367

Autor/Hrsg.:

Thielmann, Ph.

Titel/Untertitel:

Bericht über das gesammelte handschriftliche Material zu einer kritischen Ausgabe der lateinischen Übersetzungen biblischer Bücher des alten Testamentes 1900

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 12.

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[Onias ift nach Büchler S. 118 f. nicht der im Jahre 171
ermordete Hohepriefter diefes Namens, fondern fein
gleichnamiger Sohn.] Diefes hatte das Einfehreiten des
aus Jerufalem zurückkehrenden Antiochus IV. zur Folge,
der die ägyptifche Partei in Jerufalem vernichtete und
den Jafon und Onias zur Flucht nach Aegypten zwang.
Dort gründete Onias einen Tempel, während Jafon wahr-
fcheinlich nach Cyrene floh, deffen Juden fich für Verwandte
der Spartaner ausgaben (To ift nach S. 126 ff. die Notiz
IL Makk. 5,9 von der Flucht Jafon's zu den Lacedämoniern
zu verliehen, vgl. mit I. Makk. 12]. — Der Hohepriefter
Onias war feit dem Amtsantritte Jofephs auf fein Hohe-
priefterthum befchränkt und von dem politifchen Vor-
fteher des Volkes in feinen Rechten vielfach gefchmälert.
Er hat fein Amt wahrfcheinlich von 218 bis zu feiner
Ermordung 171, alfo 47 Jahre lang bekleidet [aus den
beiden bei Jof. Antt. XII, 4, 10 erwähnten Onias II.
und III. wird nämlich bei Büchler S. 42 durch Elimini-
rung des dazwifchen liegenden Simon II. ein Onias].
Nach feinem Tode gab es bis zur Ernennung des Has-
monäers Jonathan keinen Hohenpriefter. — Durch die
Familie der ,Tobiaden' (d. h. Jofephs) wurde der Hellenismus
in Judäa gefördert; aber rückfichtslos führte den-
felben in Jerufalem erft Jafon ein, um hiermit Antiochus
IV. für fich zu gewinnen (der ihn als Parteigänger
der Ptolemäer kannte).

Wer mit den Quellen vertraut ift, wird aus diefem
Referate erfehen, wie ftark das Bild, welches Büchler
von dem Gang der Dinge fich macht, von den Berichten
der Quellen abweicht. Auf die mancherlei Unwahr-
fcheirdichkeiten der Conftruction habe ich durch einge-
ftreute Bemerkungen bereits aufmerkfam gemacht. Das
Stärkfte ift die Erfindung des ,politifchen' Hohenpriefter-
Amtes neben dem religiöfen (oder nationalen, wie es
Büchler auch nennt). Ein ciQxiEQEvq, der kein Pricfter,
fondern ein rein politifcher Beamter des Königs war, ift
an fich ein Unding, vollends aber, wenn daneben noch
ein aQ/itQevg im alten Sinn fortexiftirt haben foll —
alfo zwei Beamte neben einander, die beide den Titel
i'nyj:Qtvg führten, und deren Aemter doch völlig ver-
fchiedene waren! Aber auch abgefehen von allen Un-
wahrfcheinlichkeiten leidet Büchler's Conftruction an dem
Grundfehler, dafs fie auf Schritt und Tritt aufs gewalt-
famfte und willkürlichfte mit den Quellen verfährt. An
die Stelle der Quellenberichte wird ein Product der
Dichtung gefetzt, für welches jede fichere Bafis fehlt.
Wir wollen damit keineswegs für die Glaubwürdigkeit
des zweiten Makkabäerbuches und des Jofephus eintreten
. Aber ftatt der Skepfis, die ihnen gegenüber
fehr berechtigt ift, waltet hier ein ftarkes Vertrauen in
die Zuverläffigkeit der eigenen Divination.

Auf die bisher charakterifirten Erörterungen folgt
S. 143—171 eine Kritik der ,Erläffe Antiochus' III.
zu Gunften der Juden', welche für Fälfchungen aus der
Zeit des Pompeius und Cäfar erklärt werden; dann ein
umfangreicher Abfchnitt über ,die Juden in Aegypten
und die Gründung des Oniastempels' S. 172—276
(nämlich: 1. Ptolemaios IV. Philopator und die Juden
im Fajjum [der Kern des III. Makkabäerbuches ift hi-
ftorifch und bezieht fich auf eine Verfolgung der Juden
im Fajjum unter Ptolemäus IV], 2. das Alter der jüdi-
Ichen Anfiedelungen in Aegypten, 3. die Gründung des
Oniastempels [derfelbe ging zur Zeit des Hasmonäers
Jonathan in die Hände der Samaritaner über]), endlich
eine Unterfuchung über ,das II. Makkabäerbuch und
feine Quellen' S. 277—398. Auch in diefen Abfchnitten
begegnet man überall dem gründlichften Wiffen bei gleichzeitigem
Mangel an nüchterner hiftorifcher Methode. Es
ift fchmerzlich, zu fehen, wie der letztere Umftand es
verhindert, dafs die Arbeiten des Verfaffers diejenigen
Früchte bringen, die fie bei Anwendung ftrengerer Selbft-
zucht zweifellos bringen würden.

Göttingen. E. Schür er.

Thiel mann, Prof. Dr. Ph„ Bericht über das gesammelte
handschriftliche Material zu einer kritischen Ausgabe der
lateinischen Uebersetzungen biblischer Bücher des alten
Testamentes (Sitzungsberichte der Münchener Akademie
, philof.-philol. und hiftor. Claffe, 1899, Bd. II,
S. 205—243). München 1900.

Im Jahre 1883 gab Thielmann im Programm der
Studienanftalt zu Speier .Beiträge zur Textkritik der
Vulgata, insbefondere des Buches Judith' heraus. Seitdem
war fein Intereffe ftets den lateinifchen Ueber-
fetzungen biblifcher Bücher, namentlich der Apokryphen
, zugewandt. Es folgten als weitere Frucht
feiner Studien die Unterfuchungen über den Charakter
der lateinifchen Ueberfetzung der Weisheit Salomonis
und des Jefus Sirach (Archiv für latein. Lexikographie
und Grammatik VIII, 1893, S. 235—277, 501 — 561, IX,
1894, S. 247—284). Sein Hauptaugenmerk aber war
darauf gerichtet, das handfehriftliche Material für eine
kritifche Ausgabe der altlateinifchen Texte wenigftens
eines Theiles der Apokryphen zu fammeln. Durch
Unterftützung der Münchener Akademie ift ihm dies fo-
weit gelungen, dafs er nun über die zu einem gewiffen
Abfchlufs gelangten Vorarbeiten Bericht erftatten kann.
Möglichfte Vollftändigkeit wurde für folgende fünf Bücher
erftrebt:

1) Weisheit Salomonis (S. 207—214). Hierfür find
nicht weniger als dreifsig Handfchriften (27 vollftändige
und 3, welche Fragmente enthalten), theils von Thielmann
felbft, theils von Anderen für ihn verglichen worden.
Sie gehören dem VIII.—X. Jahrh. an und find nach folgenden
Rubriken geordnet: fpanifcheTexte.angelfächfifche
Texte (darunter der Amiatinus), vorkarolingifche fran-
zöfifche Texte, Süddeutfchland Schweiz und Italien,
Theodulfbibeln, Alkuinbibeln. Aufserdem wurden noch
33 Handfchriften excerpirt.

2) Jefus Sirach (S. 214—217). Auch für diefen ift
ein reiches Material zufammengebracht worden. Verglichen
find 20 Handfchriften des vollftändigen Textes
und 3 Fragmenten-Handfchriften. Proben wurden von
14 Handfchriften entnommen.

3) Efther (S. 217—221). Von dem altlateinifchen
Texte diefes Buches find neun Handfchriften bekannt,
welche fämmtlich verglichen wurden (mit Ausnahme
zweier von Sabatier benützten und jetzt verfchollenen).
Von diefen neun enthalten jedoch vier nur die beiden
erften Capitel des altlateinifchen Textes, und aufserdem
das ganze Buch nach der Vulgata. Für den Vulgata-
Text flehen Thielmann Collationen von 11 Handfchriften
zur Verfügung.

4) Tobias (S. 221—224). Die 12 fchon von Berger
nachgewiefenen Handfchriften des altlateinifchen Textes
find fämmtlich verglichen worden (der cod. Legionaisis
allerdings nicht direct, fondern nach dem aus ihm abge-
fchriebenen cod. Vatic. 4859; vom Legion, felbft find nur
einzelne Stücke entnommen worden). Für den Vulgata-
Text find 10 Handfchriften verglichen.

5) Judith (S. 224—227). Während Sabatier von dem
altlateinifchen Texte diefes Buches nur 5 Handfchriften
kannte und Berger deren 11 nachgewiefen hat, ift die
Zahl derfelben bei Thielmann auf 15 geftiegen. Vom
Vulgata-Text wurden 5 Handfchriften verglichen.

Für die Beftimmung der Herkunft der Handfchriften
und ihrer Verwandfchaft unter einander find von befon-
I derer Wichtigkeit die in manchen Handfchriften den
einzelnen Büchern vorangefchickten Inhalts-Angaben
{capitulationes oder summaria). Auch diefe find von Thielmann
forgfältig beachtet worden. Er giebt S. 228—232
für die genannten fünf Bücher ein nach den Initien geordnetes
Verzeichnifs der verfchiedenen Summarien nebft
Angabe der Handfchriften, in welchen fie vorkommen.

Die Gefichtspunkte, nach welchen die Texte heraus-