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Ausgabe:

1900 Nr. 12

Spalte:

364-365

Autor/Hrsg.:

Büchler, Adolf

Titel/Untertitel:

Die Tobiaden und die Oniaden 1900

Rezensent:

Schürer, Emil

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 12.

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richte (deutfch von Volkmann, Bd. I. Leipzig 1790,
S. 539 f.), dafs die Abeffinier im HL nicht, wie einige
englifche Theologen, ein Geheimnifs oder eine Allegorie
auf Chriftum und die Kirche verborgen fähen, fondern
glaubten, dafs es von Salomo zum Lobe der Tochter j
Pharaos gedichtet fei. Da nun dies auch die Auffaffung j
Theodor's von Mopfueftia ist, und da L. Hackfpill (Zeit- !
fchrift für Affyriologie XI, 1896 S. 153 ffd in den äthio-
pifchen Evangelienhandfchriften fyrifche Einflüfse nach-
gewiefen hat, fo glaubte ich in meiner .Auslegung des
HL' in jener abeffinifchen Auffaffung Einflüfse Theodor's
fehen zu müffen. In der vorliegenden Abhandlung beweift
nun Euringer, bekannt durch verfchiedene Arbeiten
zur Septuaginta, dafs die Nachricht Bruce's falfch ist.
Denn 1. enthält die äthiopifche Ueberfetzung felbft
Spuren der allegorifchen Auffaffung; 2. enthalten die
meiften Handfchriften Lesarten, Gloffen, Ueberfchriften
und liturgifche Zufätze, welche die allegorische Auffaffung I
bezeugen; 3. finden fleh in anderen äthiopifchen Schriften j
Hinweife auf fie, und 4. kennen auch heutige Abeffinier
nur die allegorifche Deutung.

Der erfte Punkt ift am fchwierigften nachzuweifen.
Aber wenn der Aethiope V 10 tx/.sloxißfitvog axb
jivQiaömv durch ,geboren aus Taufenden' wiedergiebt, fo
ift fehr wahrfcheinlich, dafs er dabei wie Gregor von
Nyfla und Philo von Carpafia an Chriftus, den fchon
durch die Geburt vor allen Menfchen ausgezeichneten,
gedacht hat. Eine Fülle von Beweifen liegen aber für
den zweiten Punkt vor. Sämmtliche Handfchriften vom
14. bis 17. Jahrhundert — Eur. hat in Berlin und London
verfchiedene verglichen — enthalten in Lesarten und
Gloffen Hinweife auf die allegorifche Deutung. So wenn
in dem Refrain 2-, 35 5 s 84 die urfprüngliche Ueberfetzung
,wenn er auffteht und aufweckt die Liebe (afqerö)'
in allen Handfchriften durch die Lesart ,wenn er auf-
erfteht und auferweckt, werde ich ihn lieben ('a/aqerö)'
erfetzt ift und feit dem 15. Jahrhundert zu ,auferweckt'
noch das übject ,die Toten' gefügt wird. Und wenn
ctdeXcpiöog fiov Itatt durch valda 'ehiija ,der Sohn meines
Bruders' confequent durch vald 'e/jt/Ja ,der Sohn, mein
Bruder', wiedergegeben wird, fo ift das ficher mit Eur.
zu verliehen als ,der Sohn Gottes, welcher mein, der
Kirche, Bruder ift'. Manche Handfchriften enthalten
auch am Schlufse der verfchiedenen Abfchnitte Sequenzen
auf die Jungfrau Maria, welche Eur. hier erftmalig
mittheilt; andere felbftändige Marienlieder triefen von
Beziehungen auf das HL. Endlich kannte aber auch ]
ein moderner Abeffinier, den Euringers Lehrer Lagrange,
Rector an der Ecole pratique d'i'tudes bibliques zu Jerufa-
lem ausgefragt hat, nur die allegorifche Deutung.

Wie fteht es nun mit Bruce's Mittheilung? Dafs er
fie erfunden, ift fo wenig glaublich, wie, dafs man fie
ihm vorgelogen habe. Beides befonders auch deswegen
nicht, weil !P 45, der eine ähnliche Gefchichte wie das
HL erlebt hat, nach Bruce I, S. 520, 529 von den abeffinifchen
Juden und Chriften auf die Reife der Königin
von Saba nach Jerufalem bezogen wird: fie fei von einer
Tochter Hirams von Tyrus begleitet worden, und das
Ende des Pfalms deute darauf hin, dafs fie von Salomo
einen Sohn haben follte. der als König über eine heid-
nifche Nation (die Abeffinier) herrfchen werde. Diefe
Nachricht ift ficher nicht erfunden, weil fie eng mit der
Herleitung der abeffinifchen Dynaftie von Salomo zu-
fammenhängt. Aber wenn Eur. nun die Bibelhandfchriften
nachfehlüge, würde er wohl in allen Spuren der allegorifchen
Deutung diefes Pfalms finden. So auch mit
dem HL: es wird in Aethiopien neben der kirchlichen
Erklärung auch die wörtliche gegeben haben, ebenfo
wie im Mittelalter in Deutfchland und wie im Alterthum
in Alexandrien, Jerufalem u. f. w. Dafs diefe aber in
Aethiopien von Theodor von Mopfueftia abhängig war,
ift nicht nöthig; fie kann dort völlig autochthon fein.

Euringer's Arbeit gewährt einen intereffanten Ein- !

blick in die noch fo dunkle Gefchichte des äthiopifchen
Bibeltextes. Gewifs wird die kritifche Ausgabe des äthiopifchen
HL, welche er in der Vorrede in Ausficht ftellt,
diefelbe Gründlichkeit und Methode wie diefe Abhandlung
aufweifen.

Kiel. Lic. th. Wilh. Riedel.

Büchler, Prof. Dr. Adolf, Die Tobiaden und die Oniaden

im II. Makkabäerbuche und in der verwandten jüdifch-
helleniftifchen Litteratur. Unterfuchungen zur Gefchichte
der Juden von 220—160 und zur jüdifch-
helleniftifchen Litteratur. Wien, A. Holder, 1899.
(399 S. gr. 8.) M. 7.-

Mit völliger Beherrfchung des gelehrten Materiales,
aber auch mit einer Gründlichkeit, die man als Breite bezeichnen
darf, unterfucht der Verf. die Vorgefchichte der
makkabäifchen Erhebung und die Anfänge diefer felbft
(220—160 vor Chr.). Die Refultate, zu welchen er kommt,
find von den herkömmlichen Meinungen recht abweichend.
Nachdem der Faden der Unterfuchung bis S. 141 ohne
rechte Ruhepunkte fortgefponnen ift, werden S. 141—143
die Refultate folgendermafsen zufammengefafst:

Jafon, Menelaus und Alkimus waren nicht Hohepriefter
, fondern die politifchen Vertreter Judäas mit dem
Titel aQXiEQtvq; fie erhielten ihre Würde vom Könige
Syriens, konnten daher auch abgefetzt werden. Diefelbe
Würde bekleidete fchon früher, unter Seleucus IV., der
Tobiade Simon, den eine Quelle als ctQXieosvg, die
andere als jiQOOzäzrjg zov ieqov bezeichnet [Büchler
identificirt nämlich S. 39 f. den von Jof. Antt. XII, 4,
10—II erwähnten Hohenpriefter Simon mit dem gleichnamigen
Jtnoozäztjg zov ieqov II. Makk. 3, 4 und macht
ihn zu einem Tobiaden, obwohl davon weder an der
einen, noch an der anderen Stelle etwas gefagt ift.] Auch
Simons Vater Jofeph bekleidete dasfelbe Amt, und zwar
nicht nur unter Antiochus III, fondern fchon zur Zeit,
als Judäa noch zu Aegypten gehörte, unter Ptolemäus
V und IV [dafs diefer Jofeph der Vater Simons war,
ift wiederum nirgends gefagt]. Ptolemäus IV. hatte eben
diefe Würde ins Leben gerufen aus Anlafs der kriegeri-
fchen und politifchen Bewegung des Jahres 219/218, als
der an der Spitze Judäa's flehende Hohepriefter Onias
fich von Aegypten losfagen wollte. Da (teilte fich Jofeph
, der vorher fchon im Dienfte der ägyptifchen Verwaltung
der Provinz geftanden hatte, vielleicht Steuerpächter
in Jerufalem war, an die Spitze der den Ptole-
mäern zuneigenden Bevölkerung der Hauptftadt und erhielt
von Ptolemäus IV. die dem Hohepriefter entzogene
politifche Vorfteherfchaft Judäa's als aoxitQevg und jiqo-
ozaztjq zov Xaov [aus dem jiooözazrjq zov ttoov
II. Makk. 3, 4 wird nun bei Büchler S. 78 f. auf Grund
von Jof. Antt. XII, 4, 2, 161 ein jtooözäzvg zov Xaov.
Als Antiochus III. im J. 198 Coelefyrien eroberte, fchlofs
fich ihm Jofeph mit allen feinen Söhnen an und behielt
in Folge deffen auch unter der neuen Herrfchaft fein Amt,
in welchem ihm feine Söhne Simon und Menelaus
folgten. Nur fein jüngfter Sohn Hyrkan blieb trotz der
Wandlung dem Ptolemäer treu und bekämpfte feine
Brüder. Das Auftreten und Vorrücken des Antiochus IV.
veranlafste den Hyrkan zum Selbftmorde. An der Spitze
der ägyptifchen Partei in Judäa ftand jetzt die Familie
des Onias: fein Bruder Jafon (der zwifchen Simon und
Menelaus, in den erften Jahren des Antiochus IV. ,poli-
tifcher Vertreter' Judäa's war) und Onias' Sohn Onias.
[Die- Rollen haben alfo völlig gewechfelt: ehedem will
Onias von Aegypten fich losfagen und Jofeph wird von
Ptolemäus IV. gegen ihn eingefetzt; dann tritt Jofeph
mit feinen Söhnen auf Seite der Seleuciden und die
Familie des Onias fleht nun auf Seite der Ptolemäer |.
Während Antiochus IV. im Jahre 170 in Aegypten be-
fchäftigt war, vertrieben Jafon und fein Neffe Onias
die /Tobiaden' (die Familie des Jofeph) aus Jerufalem.