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Ausgabe:

1900 Nr. 11

Spalte:

345-347

Autor/Hrsg.:

Lang, August

Titel/Untertitel:

Die Bekehrung Johannes Calvins 1900

Rezensent:

Benrath, Karl

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345 Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. II. 346

Gerüchte berufen konnte. So endete der ganze Feldzug
mit einer grofsen Schlappe nicht nur für den alten Glauben,
fondern auch für deffen Schirmherrn, den Kaifer, dem
die Vertreter der Städte mit der vollen Kraft der evan-
gelifchen Glaubenszuverficht gegenüber ftanden. Trotzdem
bleibt es unbegreiflich, dafs die katholifche Kirche
die letzten feierlichen, unter Leitung des päpftlichen Legaten
ausgearbeiteten, in ihrer Art einzigartigen amtlichen
Kundgebungen der mittelalterlichen Reichsreligion, nachdem
fie ihre Dienfte 1530 gethan, unbeachtet beifeite
liegen liefs, ohne fie in die Oeffentlichkeit zu bringen
oder auch nur bei fpäteren Verhandlungen, wie auf dem
Konzil zu Trient, zu berühren. Man kann fich freuen,
dafs die ehrliche Bemühung der damaligen hervorragend-
ften katholifchen Theologen durch Ficker und Pätzold
das gefunden, was fie längft verdient hatten. Kolde hat
die Confutation der Augustana in feine Ausgabe der
letzteren aufgenommen. Vielleicht nimmt Mirbt beide
in eine neue Auflage feiner ,Quellen zur Gefchichte des
Papftthums' auf.

Allerdings bleiben immer noch einige dunkle Punkte
weiter zu erforfchen. So wird mit Hilfe des noch un-
edirten Briefmaterials aus katholifchem Lager, z. B. in
den Weingarter Miffivbüchern des Staatsarchivs in
Stuttgart, zu eruiren fein, wer der vierte zur Umarbeitung
des Eck'fchen Elaborats berufene Gelehrte
(m VI nennt ihn Pätzold S. XXVIII) und die bei der
deutchen Ueberfetzung betheiligten Theologen, bei Pätzold
m VII und mr S. XXXIII waren. Ferner wird aufzuklären
fein, wie die zur Durchficht der Confutation
für den Druck berufene Kommiffion, zu der Cochleus
gehörte, arbeiten follte. Cochleus war doch fchon am
21. October abgereift. Mit Einholung fchriftlicher Gutachten
war nichts zu erreichen. Die Zuhilfenahme von
Nachtftunden für die Bearbeitung des Eck'fchen Textes
ergiebt fich aus dem Wortlaut der S. XXXIX, Anm. 2
genannten Quelle nicht, da fie von nächtlicher Unruhe
nach der Abreife des Landgrafen redet.

Nabern. G. Boffert.

Lang, Dompred. Lic. A., Die Bekehrung Johannes Calvins.

(Studien zur Gefchichte der Theologie und der j
Kirche, herausgegeben von N. Bonwetfch und R. See- !
berg. II. Bd., 1. Heft.) Leipzig, A. Deichert Nachf.,
1897. (VI, 57 S. gr. 8.) M. 1.35

Ueber die viel ventilirte Frage hat unter uns zuletzt
vor Lang D. Dalton in den ,Deutfch-evangelifchen Blättern
' 1893 S. 528—554 gehandelt. Es kommt ihm darauf
an, nachzuweifen, dafs ein .unmittelbarer und ausfchlag-
gebender' Einflufs Luther's auf Calvins Bekehrung nicht
llattgefunden hat. Das Mafs diefes Einflufses hat Lang j
wefentlich höher normirt, fofern er für die bekannte
feitens Calvin's dem Rector Cop zum Allerheiligentage
1533 ausgearbeitete Rede flreckenweife directe Abhängigkeit
von Luther's Predigt, zum nämlichen Fefte 1522 gehalten
, durch Nebeneinanderftellen der Ausführungen j
nachweift. Wenn nun jene Rectoratsrede thatfächlich 1
den Wendepunkt der religiöfen Entwickelung Calvin's
bezeichnet, fo ift damit Dalton's ablehnendes Votum be-
feitigt und man kommt wenigftens der Antwort auf die
Frage nach den bei der Entfcheidung mafsgebenden
Momenten einen guten Schritt näher. Seine volle Bedeutung
freilich gewinnt das Refultat Lang's erft dann,
wenn die Rectoratsrede auch wirklich gewiffermafsen die
Wafferfcheide bezeichnet, bis zu der keine klare oder
entfehiedene Stellungnahme Calvin's für die reformato- |
rifche Wahrheit heraustritt, während dann vom I. November
1533 ab feine Stellung unbedingt entfehieden bleibt. I
Und das fucht Lang fowohl gegen Pierfon feftzuflellen,
der die .Bekehrung' erft in der Widmung der ,Institutio'
von 1535 findet, als auch gegen Lecoultre (Laufanner I

Revue de Theologie etc. 1890, S. 5 ff.), der fie, entfprechend
der älteren Anfchauung, die fchon Beza vertritt, bereits
in den Aufenthalt des jungen Calvin in Orleans fetzt.
Man wird dabei allerdings über den Ausdruck .Bekehrung'
nicht rechten dürfen. Wir find und bleiben aufser Stande,
bei Calvin jenen geheimnifsvollcn Vorgängen nachzugehen
, welche den dogmatifch-ethifchen Begriff der Bekehrung
conftituiren; es mufs angefichts der zarten Scheu,
mit der er verbirgt, was im tiefften Innern vorgegangen

— nur einmal in dem Briefe gegen Sadolet 1539 0) lüftet
er in etwas den Schleier — ein mehr das Refultat des
gefammten Proceffes bezeichnender Begriff von .Bekehrung
' eingeftellt werden. Und da hat Lang Recht,
wenn er die Allerheiligenrede als entfeheidende Etappe
anfleht, bei welcher die Hinwendung Calvin's zur evange-
lifchen Wahrheit zuerft nachweisbar ift.

Indem nun Lang die Rede examinirte, hat er aufser
der fchon bezeichneten Entdeckung ihrer Abhängigkeit
von Luther noch eine zweite gemacht: die ihrer theil-
weifen, freilich auf gewiffe allgemeinere Punkte be-
fchränkten, Abhängigkeit von Erasmus, deffen Paraclesis
ad cliristianac pliilosopJäae Studium (vgl. S. 45 k) nach
ihrem Gedankengange und fogar mehrfach in ganzen
Wendungen benutzt ift.

Gliedert fich fo, auf ihre Originalität hin unterfucht,
die Rectoratsrede fchon in zwei Theile, fo hebt fich,
wie Lang S. 51 ff. ausführt, dann noch ein dritter und
letzter Haupttheil ab, in dem Calvin felber zum Worte
kommt und in dem er ein klares Zeugnifs von dem vollzogenen
Umfchwunge ablegt. ,So war denn', fchliefst
Lang S. 55, ,die religiöfe Erfahrung, die den Franzofen
zum Reformator macht, ganz ähnlich derjenigen Luther's,
des Vaters der Reformation. Nur vollzog fie fich bei
Calvin viel rafcher, plötzlicher, entfprechend dem Charakter
feines Volkes, entfprechend feinem eigenen Charakter
; endlich aber auch, weil im Jahre 1533 fich beffere
Berather darboten, das aufgeregte Gewiffen zu beruhigen,
als einft dem Augufiinermönch in feiner einfamen Zelle'.

Mit diefen Ausführungen deutet, wie mir fcheint,
Lang an, worauf es ihm eigentlich bei dem fcharfen
Herausheben der Plötzlichkeit von Calvin's Bekehrung
ankommt. Er will auf Calvin einen Einflufs Luther s
und der gefammten bis dahin herausgearbeiteten Momente
gewahrt wiffen, der fo weit ginge, wie folche
äufseren Anregungen eben gehen können. So fchliefst
fich Lang's Ergebnifs am Schliffs an die gefperrt gedruckte
Stelle im .Vorwort' (S. V) an: .Calvin und fein
Syftem ift nur zu begreifen aus der religiöfen und dog-
matifchen Entwickelung des gefammten Proteftantismus
heraus'. Es leuchtet ein, von wie grofser Bedeutung

— und fagen wir gleich dazu, wie richtig auch — diele
Beobachtung für die dogmengefchichtliche Werthung
Calvin's fein wird, welche Lang fich in dankenswerther
Weife vorgenommen hat zunächft durch Einzelforfchungen
herauszuarbeiten und darzubieten. Aber ob es dazu
nöthig wäre, auf die Plötzlichkeit der .Bekehrung', die
fich unmittelbar vor der Rectoratsrede vollzogen haben
n? u-ZU ^auen? Urid! wenn — wie inzwifchen Stähelin
(R. E3 S. 657) zu deduciren glaubt — Calvin überhaupt
nicht an der Cop'fchen Rede betheiligt wäre? Ref.
hält allerdings diefe Thefe für unhaltbar angefichts des
von Doumergue (Calvin I, S. 331) nun facfimiliVten Ueber-
bleibfels des Exordiums in Calvin's eigener Handfchrift
und der beigefügten Noten. Aber auch, wenn man die
Rectoratsrede keinem Anderen als Calvin zufchreibt, fo
darf doch nicht mit Lang gefchloffen werden, dafs die
.Bekehrung' zwifchen den 23. Auguft und das Ende
Octobers 1533 als die Zeit der hntftehung der Rede
deshalb zu fetzen fei, weil Calvin am 23. Auguft noch
einer Sitzung des Capitels in Noyon beigewohnt habe
als Inhaber einer dortigen Pfründe. Hat er doch an das
Ende der Rede noch ein Ave Maria gefetzt und — was
noch wichtiger ift — erft im Mai 1534 auf die Pfründe