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Ausgabe:

1900

Spalte:

334-337

Autor/Hrsg.:

Baeumker, Clemens

Titel/Untertitel:

Die Impossibilia des Siger von Brabant 1900

Rezensent:

Siebeck, Hermann

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. II.

334

Notizen über religiös-ethifche Volksbräuche und Volks-
anfchauungen haben für uns aber neben ihrer allgemein
culturgefchichtlichen Bedeutung auch noch einen befon-
deren Werth, fofern durch diefe Parallelen die Bibelexe-
gefe eine reiche Förderung erfährt, wobei insbefondere
die gefetzlichen und cultifchen Partien des Alten Tefta-
mentes durch Parallelen der Rechtsverhältnifse und durch
religionsgefchichtlich merkwürdige Bräuche, wie z. B.
rückfichtlich der in der Auswahl der reinen und unreinen
Speifen herrfchenden Sitte, eine intercffante Beleuchtung
und nähere Erklärung finden können. In diefer Hinficht
ift allerdings noch reicher an Material der gleichfalls von ,
Bedjan herausgegebene Nomokanon des Barhebräus, der j
bald nach dem Ethicon erfchienen ift.

Nicht unwichtig find auch die literaturgefchichtlichen ,
Ergebnifse, die eine eingehende Betrachtung des Inhaltes
des Ethicoti bietet. Es werden fo viele Ausfprüche von
bedeutenden Männern und Schriftftellern der griechifchen
und der fyrifchen Kirche angeführt, dafs wir mancherlei
Neues erfahren, zumal von fyrifchen Autoren, deren Werke
noch nicht veröffentlicht worden find. Vieles hiervon und
ganz befonders auch die zur Verdeutlichung und Erhärtung
der von Barhebräus vorgetragenen Lehren und
Mahnungen beftimmten anekdotenhaften Gefchichtchen
aus dem Leben der Heiligen, Asketen und Kirchenlehrer
find uns freilich fchon bekannt, da diefes Material
zum gröfsten Theile dem fyrifchen ,Paradisus Patrum1 1
entnommen ift, der jetzt, gleichfalls in einer Ausgabe
Bedjan's (im 7. Bande feiner Acta Martyrum et Sanctorum),
gedruckt vorliegt. Die Bibelcitate ferner, die ihrem Wortlaute
nach der Pefchitta entnommen find, zeigen uns,
dafs das Buch Jefus Sirach als eine ,Unterweifung in der
guten Sitte', wie es in einer arabifchen Handfchrift der j
Bibliothek des Sinaiklofters genannt wird, bei den
orientalifchen Chriften fehr beliebt und hoch angefehen
war. Befonders werden feine guten Lehren betreffs des i
Umganges mit Frauen (9, I. 26, 9 auf S. 151) und der
guten Sitte bei Gaftmählern (31 [=gr.34], 281., 32 [= gr.35],
5 f. und 11 auf S. 136f.) herangezogen (vgl. u. a. noch Sir. 33,
27 [= gr. 36, 3L- II, 7- 7, 24 f. 27,2 auf S. 144, 148, 175
u. 188).

Wir glauben den Lefern diefer Zeitfchrift am meiften
zu dienen, wenn wir ihnen, ftatt einzelne Bemerkungen
über intereffante Stellen vorzuführen, einen Ueberblick
über die Dispofition und den gefammten Inhalt beider
Schriften verfchaffen, dadurch, dafs wir die Ueberfchriften
der einzelnen Capitel mittheilen. Das Ethicon zerfällt
in 4 Bücher. Das 1. Buch, das ,von der Regelung
der Bewegungen der Leibesübung' handelt, hat folgende
9 Capitel: 1) vom Gebete, 2) von den Bethätigungen der
Askefe, 3) vom Wachen und vom Schlafe, 4) von den
Pfalmgefängen und ihren Gründen, 5) von den Klageliedern
, 6) vom Falten, 7) von der Ruhe, 8) vom Einfiedler-
1 eben, und 9) vom Wallfahren nach Jerusalem. Das 2. Buch,
das ,von der Regelmäfsigkeit der Lebensführung zur leiblichen
Erhaltung' handelt, zerfällt in 6 Capitel: 1) vom Effen
und Trinken, 2) von der gefetzlichen Ehe-Gemeinfchaft,
3) von der Reinheit des Leibes, 4) von dem Benehmen
des [einzelnen] Lebensalters, 5) von der Handarbeit, und
6) von den Almofen. Das 3, Buch, das ,von der Reinhaltung
der Seele von häfslichen Leidenfchaften' handelt,
zerfällt in 12 Capitel: 1) von der Seele, ihren Kräften,
ihren Bethätigungen und ihren Beunruhigungen, 2) von
der Uebung der Seele und der Innehaltung der Sitten,
3) von der Lüfternheit und ihrer Heilung, 5) von den
Anfföfsigkeiten der Zunge, 6) von Zorn und Groll und
Neid, 7) von den Begierden des weltlichen Lebens,
8) von der Geldliebe, 9) von der Liebe zu eitler Ehre,
10) von der Heuchelei d. i. der Verftellung, 11) vom
Hochmuth, und 12) vom Stolz. Das 4. Buch, das ,von
der Ausfchmückung der Seele mit guter Lebensart' handelt
, zerfällt in 16 Capitel: 1) vom Unterricht, 2) von der
Zurechtweifung, 3) vom Glauben, 4) von der Reue,

S) von der Geduld, 6) vom Bekenntnifs, 7) von der
Hoffnung, 8) von der Gottesfurcht, 8) von der Armuth,
icf) von der Entfagung, 11) von der Zuverficht [auf Gott],
12) von der Bruderliebe, 13) vom Denken an Gott und
und der Reflexion über die Gefchöpfe, 14) von der
Reinheit der Gedanken, 15) von der Liebe zu Gott, und
16) von dem Gedanken an den Tod. Jedes diefer Capitel
zerfällt dann wieder in einzelne Abfchnitte. Beifpiels-
weife geben wir noch die Ueberfchriften der Abfchnitte
des 1. Capitels des 1. Buches und überdies die des
4. Capitels des 2. Buches, weil bei diefem letzteren Capitel
der Inhalt nicht recht aus der Ueberfchrift zu erkennen
ift. Das 1. Capitel des I. Buches hat folgende Abfchnitte:
1) von der Vortrefflichkeit des Gebetes, 2) von der Sammlung
des Verftandes beim Gebet, 3) von der Zerftreuung
zur Zeit des Gebetes, 4) von den Bethätigungen der
Vollkommenheit, 5) von der Freude der Vollkommenen
am Gebete, 6) von dem innerlichen Gebete, 7) von dem
reinen Gebete, 8) von den Gebetszeiten, 9) von der Darbringung
der Opfer (d. i. der Feier des Abendmahles),
die nicht zur Befugnifs der Einfiedler gehört. Hier fei
betreffs des Wortlautes des 4. und 5. Abfchnittes daran
erinnert, dafs Barhebräus auch fonft fleh der Terminologie
der pfeudodionyfifchenMyftikbedient. Die Abfchnitte
des 4. Capitels des 2. Buches aber haben folgende Ueberfchriften
: 1) von der Erziehung der Knaben, 2) von der
Lebensweife der Jünglinge und der Greife, 3) die weltliche
Lebensführung vor Königen, und 4) die richtigen
Mafsregeln [im Verkehr] mit tyrannifchen Königen.

Zum Schlufse fügen wir noch die Ueberfchriften des
bedeutend kleineren, nur einen Auszug aus dem allgemeinen
Ethicon bildenden ,Buches der Taube' an, deffen
Gliederung gleichfalls durch die pfeudodionyfifche Stufenfolge
bedingt ift. Das 1. Capitel handelt von der körperlichen
Thätigkeit, die im Klofter (xoivößiov) gefchieht,
das 2. von der feelifchen Thätigkeit, die in der [einzelnen]
Zelle (xtXXa) ausgeübt wird, das 3. von der geiftigen
Ruhe der Vollkommenen, und das 4. enthält, wie fchon
oben erwähnt wurde, eine ,Erzählung von dem ftufen-
weife erfolgten Fortfehreiten des Schriftftellers in der
Lehre', woran fleh ,einige (es find im Ganzen 100!) vifio-
näre Ausfprüche' anfchliefsen, die eine kurze Zufammen-
faffung der gefammten Lebensphilofophie des Barhebräus
bieten. Auch wurde fchon der Anhang zum Buche von
der Taube erwähnt, eine ,Erzählung von der Jugend des
Verftandes', die in myftifcher Einkleidung fchildert, wie
die höheren geiftigen Intereffen in ihm, als er noch ein
fpielender Knabe war, durch Engelsknaben geweckt
worden feien. Wir erwähnen noch, dafs von den 603 Seiten
fyrifchen Textes nur 78 Seiten auf das ,Buch der Taube'
und 4 Seiten auf den Anhang kommen. Der Text, den
Bedjan uns bietet, beruht auf fünf Handfchriften, von
denen zwei der Nationalbibliothek zu Paris und drei
dem Britifchen Mufeum angehören und nur eine unvoll-
ftändig ift.

Zürich-Fluntern. V. Ryffel.

Baeumker, Dr. Clemens, Die Impossibilia des Siger von
Brabant, eine philofophifche Streitfchrift aus dem
XIII. Jahrhundert. Zum erften Male vollftändig herausgegeben
und befprochen. (Beiträge zur Gefchichte
der Philofophie des Mittelalters. Texte und Unter-
fuchungen. Herausgegeben von Proff. DD. Clemens
Baeumker uud Georg Freih. von Hertling. Band II.
Heft VI.) Münfter 1898, Afchendorff, (VIII, 200 S.
Sr- 8.) M. 6. 50

— Zur Lebensgeschichte des Siger von Brabant. (Archiv für
Gefchichte der Philofophie XIII, 1, S. 73—80.)

Mandonnet, Pierre, O. P., Siger de Brabant et l'averroi'sme