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Ausgabe:

1900 Nr. 10

Spalte:

300

Autor/Hrsg.:

Mason, Arthur James

Titel/Untertitel:

The five theological orations of Gregory of Nazianzus 1900

Rezensent:

Krüger, Gustav

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299 Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 10. 300

weift, aber jedenfalls fo weit klar liegt, dafs es dem kirchlichen
Dogma gegenüber eine neutrale Haltung einnimmt,
wenn nicht geradezu von einer Spannung geredet werden
mufs. Ich weife noch auf das wichtige Ergebnifs hin,
das Pieper jüngft in feiner kirchlichen Statiftik Deutfch-
lands (S. 231), aus ftatiftifchen Unterfuchungen über die
Communicanten gewonnen hat: ,Nimmt man den Ausgangspunkt
von der älteften Feftftellung zur Sache im
Jahre 1862, fo kann nirgendwo ein Zweifel darüber be-
ftehen, dafs während des letzten Menfchenalters die
Theilnahme am heutigen Abendmahle mehr oder weniger
ftark in rückläufiger Bewegung ift, auch in folchen Län- i
dern, die nach ihrem ausgeprägt lutherifchem Charakter
diefem Sakrament die höchfte Bedeutung zufchreiben;
die Bevölkerung theilt eben nicht mehr in früherem
Grade die Werthlegung auf das Sakrament, oder hält
feine Erfordernifs zum Heil nicht für ein unbedingtes,
wie es die Kirchenlehre ihres Landes noch glauben läfst'.
Das heifst, auch auf proteftantifchem Boden deckt fich
die ,Kirchenlehre' nicht mit dem thatfächlich vorhandenen
proteftantifchen Chriftenthum. Von einem Eingehen auf
diefes letztere wird um fo weniger Abftand genommen
werden dürfen, als die von Seeberg mit Recht hervorgehobene
Relativität des Dogma's nach proteftantifcher
Auffaffung eine noch gröfsere ift als im Rahmen des
römifchen Katholicismus. — Was fpeciell noch das Ver- j
hältnifs zu den ,Haerefen' und ,Secten' anlangt, fo wird
an verfchiedenen Stellen (§ 52 über die Katharer, Wal-
denfer, Begarden, § 63 über Wyclif, Hus u. f. w., § 84 [
über den Janfenismus), über fie gehandelt. Aber auch
hier kommt der Proteftantismus zu kurz. Denn es wird
nur der Bewegungen gedacht bis zum Abfchlufse der
Dogmenbildung in der lutherifchen und in der refor-
mirten Kirche (vgl. § 77, 82), freilich nicht der Socinianer
trotz S. 202, aber nicht fpäterer Erfcheinungen, während
auf der anderen Seite der Altkatholicismus S. 454 Be-
rückfichtigung findet. Ein umgekehrtes Verfahren wäre
eher zulälfig. Denn während für den römifchen Katholiken
der Austritt aus der Kirche das Ausfeheiden aus
dem römifchen Katholicismus bedeutet, ift der Austritt
aus einer der proteftantifchen Hauptkirchen noch nicht einmal
nothwendig ein Abtreten vom Boden des Lutherthums
oder des reformirten Chriftenthums, gefchweige denn vom
Boden des Proteftantismus, nur die äufsere Rechtsftellung
des Betreffenden wird eine andere. Haben nicht auch der
Methodismus und Baptismus, die viele Millionen von Anhängern
zählen, das Recht erworben, als befondere Typen
der Ausprägung des evangelifchen Chriftenthums zu gelten 'f
Die Befchränkung auf die Landeskirchen — beiläufig bemerkt
, wird die anglikanifche Staatskirche in ihrem ganz
eigenartigen Charakter neben dem Lutherthum und dem
reformirten Kirchenwefen nicht ausreichend gewürdigt —
fcheint mir den heutigen Verhältnifsen nicht mehr zu ent-
fprechen. Selbftverftändlich foli damit nicht gefagt fein,
dafs die Dogmengefchichte alle Secten näher berückfich-
tigen müfste — der Gefichtspunkt ftatiftifcher Vollftändig-
keit kommt hier gar nicht in Frage —, fondern nur, dafs
fie an den wichtigeren Erfcheinungen des aufserlandes-
kirchlichen Proteftantismus nicht vorübergehen foll.

Ift es richtig, dafs auch auf proteftantifchem Boden
neben der in den Bekenntnifsfchriften niedergelegten
Kirchenlehre die thatfächlich in der Kirche vorhandenen
und vertretenen abweichenden Auffaffungen des Evangeliums
in den Bereich dogmengefchichtlicher Erörterung
zu ziehen, dann wird man auch auf die Verwerthung der
Gefchichte der Theologie nach dem Abfchlufse der Bekenntnifsfchriften
nicht verzichten können. Aber dies hat
nicht mit Rückficht auf ein .neues Dogma' zu gefchehen,
fondern weil und fofern die Theologie der Träger jener
Mannigfaltigkeit des Proteftantismus ift. Die r"rage der
Heranziehung der neueren Theologie kann demnach
m. E. bejaht werden auch ohne ,die Zweckbeziehung zum
werdenden Dogma', die der Verfaffer in der wichtigen

Anmerkung am Schlufs feines ganzen Werkes S. 457 f.
als nothwendig hinftellt. —

Hinter diefen principiellen Bemerkungen, zu denen die
Leetüre diefes anregenden Buches Anlafs gab, mögen Einzelheiten
zurücktreten. Wenn es einen neuen Ausgang halten
wird, dürfte es fich empfehlen, dafs auf die verfchiedenen
Auffaffungen der Inte?itio des die Sakramente verwaltenden
Priefters hingewiefen wird, und auch der Syllabus von 1864
follte als Reception der ultramontanen Beurtheilung des ge-
fammten modernen Culturlebens dann ein Wort erhalten.

Marburg i. H. Carl Mirbt.

Mason, Arthur James, D.D., The live theological orations
of Gregory of Nazianzus. Edited for the syndics of
the University Press. Cambridge, University Press,
1899. (XXIV, 212 S. 8.) Geb. Sh. 5.—

Meine erfte Fdmpfindung beim Anblick diefes hübfeh
ausgeftatteten Büchleins war die des Neides, und diefe
häfsliche Empfindung hat bis heute noch nicht edleren
Regungen Platz gemacht. Mafon, auch den deutfehen
Forfchern durch feine gute Arbeit über die diokletianifche
Verfolgung bekannt, gedenkt mit Unterftützung der Uni-
verfität Cambridge patriftifche Texte für Theologie-
Studirende herauszugeben, ein Unternehmen alfo, das
etwa mit meiner Sammlung ausgewählter kirchen- und
dogmengefchichtlicher Quellenfchriften, doch in der angegebenen
Befchränkung, zu vergleichen ift. Dafs er es
gerade mit Gregors fünf theologifchen Reden eröffnet,
dafs er nicht nur den Text giebt, fondern einen Com-
mentar beifügt, und dafs man die 14 Bogen hubfeh gebunden
für 5 Mark kaufen kann, beweift, dafs entweder
die englifchen Studirenden fehr viel mehr Bücher kaufen
als die unfrigen oder dafs man mit etwaiger Rentabilität
des Unternehmens gar nicht rechnet. Vielleicht trifft
auch Beides zu, beneidenswerth ift eine folche Lage in
jedem Falle. Ob es bei uns je Theologie-Studirende
geben wird, die Gregors von Nazianz Reden kaufen?

Die Ausgabe verdient alles Lob. Mafon hat fich
nicht mit blofsem Abdruck der Benedictinerausgabe begnügt
, wie f. Z. Goldhorn, deffen Ausgabe in Thilo's
Bibliotheca Patrum Graecorum Dogmatica M. übrigens nicht
zu kennen fcheint. Zwar beanfprucht er für feinen Text
nicht das Prädicat ,kritifch', hat aber doch die beiden
Parifer Handfchriften der Benedictiner wenigftens mit
Stichproben verglichen, aufserdem eine von Dr. Gl eye
in München hergeftellte Collation des den Benedictinern
unbekannt gebliebenen Münchener Codex und Collationen
von 4 Oxforder Handfchriften, die ihm die Herren Bäte
und Lake zur Verfügung Hellten, benutzt. Zu diefem
Apparat kommt endlich noch eine von Mafon felbft
verglichene Cambridger Handfchrift. So ift denn fein
Text gegenüber dem der Benedictiner, der nicht in dem
bellen Rufe fleht, ficherer fundirt, und ich glaube auf
Grund meiner Proben behaupten zu dürfen, dafs er auch
beffer ift. Der Commentar giebt manchen werthvollen
Wink zum Verftändnils des Textes, um fo angenehmer,
als es wenigftens eine deutfehe Ueberfetzung der Reden
m. W. nicht giebt. Merkwürdiger Weife find fie in die
Kemptener Ueberfetzung nicht aufgenommen worden.
Wenn die folgenden Bände des Unternehmens fo gut
find wie diefer erfte, werden fich Lehrer und Studirende
über folche trefflichen Hilfsmittel nur zu freuen haben.

Giefsen. G. Krüger.