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Ausgabe:

1900

Spalte:

11-13

Autor/Hrsg.:

Lechler, Karl von

Titel/Untertitel:

Die biblische Lehre vom heiligen Geiste 1900

Rezensent:

Weinel, Heinrich

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. I.

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nicht aufser allem Zufammenhang mit der auf dem Wege
der literarifchen Kritik entdeckten Redequelle, aufweiche
jener doch wie gemünzt erfcheint, zu faffen vermag (vgl.
S. 118 f., 228 f.), fo habe ich fo ziemlich alle Hauptpunkte
angedeutet, bezüglich welcher überhaupt noch weitere
Debatten unter Lehrern und Belehrbaren denkbar find.
In einem Anhange (S. 234 f.) überfchreitet der Verf. das
engere Gebiet der fynoptifchen Frage, indem er das Ver-
hältnifs der drei erften Evangelien zu Johannes, dem
Hebräerevangelium und dem Petrusevangelium befpricht.
Manches, was hier in Kürze gefagt ift, wird vielleicht den
Eindruck des keck Hingeworfenen machen. Es ift aber
Alles wohl überlegt und liefse fich mit guten Gründen
weiterhin vertheidigen. Ich kann zum Schluffe nur den
Ausdruck meiner Freude über ein Werk wiederholen,
welches Kern und Tragweite des fynoptifchen Problems
fo fcharf erfafst und die thatfächlich vorliegenden Anhaltspunkte
für feine Löfung unter fteter Bevorzugung des
Einfachen vor der Künftelei fo knapp und überfichtlich,
fo klar und überzeugend dargelegt hat — ein wahres
Labfal zumal für den, welcher fich einen Widerwillen
geholt hat an den Verdunkelungen und Verfchweigungen
Zahn's. ,Der Jubel aller ängftlichen Seelen über das
grofse verkehrte, rückläufige Werk foll uns daran mahnen,
für den Segen der freien Forfchung des fcheidenden
Jahrhunderts doppelt dankbar zu fein' (S. VII). Der
Druck ift fehr correct. Doch lies S. VIII, Z. 13 v. u. H
ftatt J., S. 114 Z. 10 und 12 v. o. letzten und erflen ftatt
erften und zweiten, S. 116 Z.4 und 7 v. u. Mr und Ms ftatt
Ms und Mr, S. 174, Z. 9, 11, 12, 15 v. u. Barabbas ftatt
Barrabas, S. 236, Z. 14 v. u. 13 statt 14, und streiche
S. 185, Z. 10 v. u. mehr.

Strafsburg i. E. H. Holtzmann.

Lechler, Gen.-Superint. a. D. Prälat DD. Karl v., Die
biblische Lehre vom heiligen Geiste. Gütersloh, C. Bertelsmann
, 1899. (VII, 307 S. gr. 8.) M. 4.80; geb. M. 5.60

Das Buch ift ein fpätgeborenes Kind der Theo-
fophie. Die Geifter eines Böhme und Oetinger haben
feine Wiege umfchwebt, und wäre nicht auch der fanfte
Geift J. T. Beck's dabei gewefen, fo hätte das Kind ein
fchlimmer Gefelle werden können. So aber ift es von
dem mildem Schimmer des Biblicismus verklärt und
vor dem Aeufserften bewahrt worden.

Im erften Abfchnitte (der Geift Gottes als Natur-
geift) entwickelt L. als eine Analogie zu dem Gedanken
der Fleifchwerdung die Idee einer durch alle Stufen der
Schöpfung hindurchgehenden Naturwerdung des
Geiftes Gottes, S. 274. Im Anfchlufs an Gen. 1 wird
dargelegt, dafs Gott, um die Welt, fo wie fie in feinem
Geifte lebt, zu fchaffen, die Geftalt und Dafeinsweife
der Welt annimmt, S. 53, dafs fein Geift der Finfternifs
gleich wird und ihre ,Geftalt' fich aneignet, S. 52 ff. Die
Berechtigung diefer Vorftellung von einer Differenzirung
des Geiftes wird daraus entnommen, dafs in der Apo-
kalypfe Joh. fieben Geifter Gottes, als ,fieben Ich, fieben
göttliche Perfönlichkeiten', S. 66, angeführt werden.
Die Entwickelung der Naturgebiete und Naturwefen
ift alfo nichts anderes als das in Einzelwirkungen fich
auseinanderlegende Wehen und Weben des Geiftes
(riSrVIE Gen. 1). Der Geift verbindet fich weiter mit
den Elementen: mit dem Waffer, um den Leib des
Täuflings, zumal fein Herz, umzugeftalten — denn Wiedergeburt
ift in erfter Linie ein leiblicher Begriff —, S. 77_

91, dann mit der Luft, der er .fakramentale Bedeutung'
verleiht, S. 91 —104, fchliefslich mit dem Feuer, in dem
Gott fein innerftes Wefen kund thut. L. weifs genau,
wie Gott dem Mofe erfchienen ift: ,Es war eine Coloffal-
geftalt, umkleidet mit den Zeichen der höchften Macht
und Hoheit' u. f. w. Weiter geht der Geift ein in die
Pflanzen- und Thierwelt und wirkt auf dem Gebiete des

menfchlichen Leibeslebens wunderbare Leibesfchöpfung
(Simfon, Johannes, Jefus), auf dem des natürlichen Seclen-

; lebens lammt dem Nervenfyftem Kunft, Volksheldenthum
und niedere Prophetie. — An der Spitze des zweiten

l Abfchnittes (der Geift Gottes als heiliger Geift) fteht
wieder ein theofophifcher Gedanke: Der Geift wird in der
unwiffenden und fündigen Seele felbft ein Dunkel, um
aus dem Dunkel des Menfchen die Lichtgeftalt des freien
Gottesmenfchen hervorzubringen. Das Gefetz der Schwere
(der Geift ,fällt') wie das Parallelogramm der Kräfte
leiten an, das Kommen des Geiftes zu verliehen, S. 185.
187. Im Weiteren fucht der kirchl. Myftiker zu beweifen,
dafs man nur durch falfche Deutung aus den lutherifchen
Symbolen die Lehre herauslefe, der Geift wirke nur
durch Vermittelung von Wort und Sacrament. Hier
erftreckt fich alfo die myftifche, pneumatifche Exegcfe
auch auf die Symbole. Eine Infpirationslehre wird darauf
vorgetragen, die von modernen Gedanken angekränkelt
und weit genug ift, um dem Myftiker feine fpecielle Erleuchtung
wie der evangelifchen Kirche eine Traditions-

1 lehre zu retten. Nach einer Befprechung der Gnaden-

! gaben und der ftrafenden Wirkungen des Geiftes wird das
Verhältnifs der Kirche zum Geift behandelt. — Im dritten
Abfchnitt (der hl. Geift als ewige Perfönlichkeit und als
Glied der dreieinigen Gottheit) betont L. zuerft mit
Recht, dafs in der Schrift der Geift bald als perfönlich
und bald als unperfönlich gefchildert werde, eine Er-

| kenntnifs, die leider noch nicht weit verbreitet und vor
allem noch nicht richtig erklärt ift. L.'s Erklärung ift der

! theofophifche Gedanke: der Geift gehe in freier Selbftbe-

I ftimmung in die Natur ein, ohne fich in diefen Regionen
als den abfoluten Geift zu nennen. Bei der Befprechung
des Verhältnifses von Geift und Sohn wird das Weibliche
im Wefen des Geiftes (hn) feftgeftellt; es zeigt
fich in dem liebenden Sichunterordnen, in dem Eingehen
ins Einzelne, in dem Formgebenden und Formvollendenden
, S. 282. Bei der Syzygie kommt auch diefer moderne
Gnoftiker an, der fich erft jetzt, am Ende des
Buches, offen zur Theofophie bekennt, nun er daran
geht, die Tiefen der Trinität uns zu erfchliefsen. Er
weifs von dem Verkehr Gottes mit feinem Geifte und
von der wefenhaften Selbftunterfcheidung in Gott zu
erzählen, die fich nicht nur in der Dreiheit der göttlichen
Perfonen, fondern auch in der nochmaligen Spaltung
der dritten Hypoftafe in eine Siebenheit deutlich
kund thut. Schliefslich zeigt er uns vom Begriff des
Lebens und der Liebe aus, wie gerade die Subordination
im Sinne einer Selbftunterordnung jeder der Hypoftafcn
unter die andern das Wefen der Trinität ausmacht.

Eine Kritik diefer Darlegungen ift eigentlich über-
flüffig. Intereffant find folche Speculationen gewifs. Als
Refultate eines Menfchenlebens, das dem Nachdenken
über diefe ,Geheimnifse' gewidmet war, find fie in ihrer
Art auch ehrwürdig. Die Mafsftäbe moderner Wiffen-
fchaft an fie anlegen, würde heifsen, die Gebilde der
Fata Morgana mit dem Senkblei richten und mit dem
Zollftab meffen wollen. Keineswegs foll geleugnet
werden, dafs diefe Speculationen die Ankhauungcn des
A. und N. T.'s hier und da beffer und fchärfer treffen,
als manche anderen Darftellungen, die mit hiftorifchcr
Methode, allerdings mit unvollkommener, gearbeitet find,
und deren Verfaffer wederfalfch überfetzen, S.287, noch
auch den Textus reeeptus anwenden, S. 268, wie Lechler thut.
Aber die Menge des Wunderlichen, oft Grotesken, wie
das S. 239ff. über die Leiber der Juden Auseinandergefetzte
, und die Fülle des Eingetragenen verdecken
diefe richtigen Erkenntnifse, und die erbauliche Sprache
läfst fie nicht zur Geltung kommen. Schliefslich find
fie auch nicht das Verdient! einer richtigen hiftorifchen
Betrachtung, fondern verdanken ihr Dafein dem fall zufälligen
Zufammentreffen der realiftifch-myftifchen Gedanken
mit den antiken realiftifchen Anfchauungen, die
doch in eine ganz andere Umgebung hineingehören.