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Ausgabe:

1900 Nr. 10

Spalte:

296-297

Autor/Hrsg.:

Mehlhorn, Paul

Titel/Untertitel:

Aus den Quellen der Kirchengeschichte. II. Heft: Bis zum 9. Jahrhundert 1900

Rezensent:

Preuschen, Erwin

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 10.

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dem Studium des vierten Evangeliums ergeben, dafs wir es
mit einem apologetifchen Werke zu thun haben, in welchem
die Gemeinde ihren Chriftusglauben gegen jüdifche Anfeindung
vertheidigt, fo würden die unmittelbaren Selbft-
zeugnifse des Verfaffers des vierten Evangeliums eine etwas
andere Beurtheilung erfahren muffen, als wenn man, wie
W. thut, direct vor jeder allgemeinen Orientirung ihren
Sinn zu ermitteln fucht. Ift das Evangelium nur ein
Moment im Streit der Parteien, dann ift es auch nicht
nothwendig, das fisfiaQTVQTjxev in c. 19,35 nur von dem
fchriftftellerifchen niedergefchriebenen Zeugnifs zu
verftehen, dann ift das betreffende Argument gewifs
fchon zuvor und öfters von dem ,Augenzeugen' producirt
worden. Erft durch den Streit erklärt fich das Gewicht
, das überhaupt auf die fiagxvQia fällt; fonft würde
allerdings Holtzmann's feine pfychologifche Einwendung
fehr viel mehr bedeuten als W. zugiebt, dafs nämlich,
wenn der Augenzeuge felber fchriebe, er fagen würde:
Der das bezeugt, hat es felber gefehen (p. 9). Ob
Job. 21.15f. nach dem Tode des Apoftels oder von ihm
felbft gefchrieben worden, darüber könnte man auf Grund
der Stelle allein endlos (treffen. Wer jedoch von
der durch die ganze joh. Darftellung begründeten Einficht
ausgeht, dafs das höhere Wiffen Jefu ein Streit-
object der Parteien war, und dann auf die negative
Wendung in V. 23 ovx eixev o 'irfioig ort ovx... achtet,
der wird darin eine Antwort finden auf das Argument
der Gegner, die fich eben auf den eingetroffenen Tod
des Jüngers ftützten. Darum braucht aber die Entgegnung
des Evangeliften nicht als eine reine Fiction an-
gefehen werden: es kann fehr wohl ein überliefertes
Wort Jefu in Bezug auf feine Deutung umftritten worden
fein. Den 24. V. in Cap. 21 zerbricht W. in zwei Theile,
von denen der erfte noch von Johannes verfafst, der
zweite hingegen wegen des Wechfels des Subjectes ein
Zufatz von fremder Hand fei. Die fonft verpönten
quellenkritifchen, verszerftückelnden Experimente können
alfo mitunter doch auch für apologetifche Zwecke von
Nutzen fein.

Lehrreiche Ausführungen und meift auch stringentere
Beweisführung als in dem erften Hauptabfchnitt bringt
der Verf. in dem zweiten Theile, in welchem die äufseren
Zeugnifse für das Vorhandenfein des vierten Evangeliums
von Theophilus von Antiochien an rückwärts bis auf
die apoftolifchen Väter verfolgt werden. Zur Erklärung
der von ihm anerkanntenThatfache, dafs diefesEvangelium
fich nur langfam Bahn gebrochen hat, werden mehrere
Momente geltend gemacht, denen man eine gewiffe Bedeutung
nicht abfprechen wird: unter anderem die Bemerkung
, dafs der geringe Einflufs des Joh.-Evangeliums
fich nicht nur bei den älteften Kirchenvätern wie Papias
und Polycarp zeige, fondern auch noch bei Tertullian,
alfo zu einer Zeit, wo von der Möglichkeit der Nichtanerkennung
des Werkes als apoftolifcher Schrift nicht
mehr die Rede fein kann. Es follen darum andere
Factoren feiner Verbreitung hinderlich gewefen fein, wie
die Schwerverftändlichkeit feines Inhaltes und das höhere
Alter der Synoptiker. Wenn nun aber W. von hier aus
mit Recht fchliefst, dafs das vierte Evangelium Anfangs mit
Schwierigkeiten zu kämpfen hatte, fo wird feine frühere
eifrige Beweisführung, im Gegenfatz zu Zahn die Spuren
des Widerfpruchs gegen Johannes aus dem muratorifchen
Kanon zu entfernen (p. 130T.), von ihm felbft über den
Haufen geworfen. Damit ift aber noch nicht gefagt,
dafs feine Reaction in der anderen Hinficht, in der Beurtheilung
der Aloger, nicht ernfte Beachtung verdiene.
Ueberhaupt läfst diefer Schlufstheil und auch mehrere
Paragraphen der erften Hälfte einen erfreulichen Eindruck
zurück, darum, dafs es fich der confervative Forfcher
nicht verdriefsen. läfst, von den kritifchen Argumenten
Kenntnifs zu nehmen und erft nach Prüfung derfelben die
Fragen zu entfcheiden. Wir möchten darum den Wunfeh
ausfprechen, dafs er diefer joh. Studie eine gleichartige

Fortfetzung geben möge, und wenn er die Weiterführung:
feiner Arbeit nur von der Aufnahme des erften Theiles
bei ,der pofitiv gerichteten Theologie' abhängig machen
will, fo können wir ihm die Verficherung geben, dass es
auch uns einzig und allein nur um die Erlangung ganz
pofitiv er Refultate zu thun ift.

Giefsen. Baldenfperger.

Mehlhorn, Paft. D. Paul, Aus den Quellen der Kirchengeschichte
. IL Heft: Bis zum 9. Jahrhundert. Berlin,
G. Reimer, 1899. (XIX, 256 S. gr. 8.) M. 5. —

Der Verf. hat fein, von mir in diefer Zeitfchrift
(Jahrg. 1896, 238 fr.) angezeigtes Unternehmen fortgefetzt.
Ich habe inzwifchen Gelegenheit gehabt, das erfte Heft
im Unterrichte praktifch zu erproben und darf danach
bekennen, dafs es feinen nächften Zweck gut erfüllt, fo-
fern es in den Gymnafien ermöglicht, Quellenftücke
wenigftens in Ueberfetzung vorzuführen, wo die Zeit zu
einer Ueberfetzung der Grundtexte nicht reicht. Dafür
find Mehlhorn's zuverläffige und forgfältigeUeberfetzungen
jedenfalls den uncontrollirbaren in Noack's kirchenge-
fchichtlichem Lehrbuch vorzuziehen. Aber im ganzen
halte ich es auch heute noch für praktifcher, den Schülern
Grundtexte vorzulegen, als Ueberfetzungen. Opfert man
damit auch etwas mehr Zeit, fo bleibt dafür der Eindruck
fefter haften. Die Ueberfetzung wird nur zu leicht bei
dem betäubenden Vielerlei, dem die Schüler bei dem
modernen Unterrichtsbetriebe ausgefetzt find, vergeffen.

Das zweite Heft führt die Gefchichte von Konftan-
tin d. Gr. bis zur Zeit Karl d. Gr., der noch Aufnahme
gefunden hat, wohl aus äufserlichen Gründen. Denn die
Verbindung von Germanenthum und |Chriftenthum, mit
deffen Schilderung das Heft abfchliefst, kann doch kaum
als Abfchlufs einer Periode gedacht fein. Der Stoff ift
innerhalb diefer Grenzen fo vertheilt, dafs zuerft die Ent-
ftehung der Reichskirche zur Darfteilung kommt (Kon-
ftantin, unter deffen Leben auch der arianifche Streit und
Nicäa abgehandelt wird, Julian, die Unterdrückung des
Heidenthumes). Im zweiten Abfchnitte werden hervorragende
Kirchenlehrer gefchildert (Chryfoflomus, Ambro-
fius, Auguftin). Der dritte Abfchnitt behandelt die kirchlichen
Zuftände und Einrichtungen (Glaubensnormen,,
Gegenftände der Verehrung, Feftzeiten und Kultusformen,
Priefterthum, Bufswefen, Liebesthätigkeit, Mönchthum).
Das zweite Capitel ift der Entftehung der Papftkirche
gewidmet, wobei von hervorragenden Päpften Leo d. Gr.
und Gregor d. Gr. berückfichtigt werden. Das dritte
Capitel, ,zur Kirchengefchichte der Germanen', zeigt die
Anfänge des Chriftenthums in Deutfchland, giebt Notizen
über Ulfilas, Bilder aus der gallifchen Kirche des 5. Jh.,
Auszüge aus Eugippius Vita Severini, fchildert die Miffion
unter den Deutfchen und ausführlicher Karl d. Gr., und
bringt zum Schlufse ein paar Proben von der germanifch-
chriftlichen Dichtung.

Diefe Ueberficht zeigt, dafs der Verf. einen weit-
fchichtigen Stoff zufammentragen mufste, um feiner Aufgabe
gerecht zu werden. Es wird jedem, der in den
Quellen der Zeit einigermafsen bewandert ift, leicht fein,
auf dies oder jenes hinzuweifen, was auch noch Berück-
fichtigung verdient hätte, oder die getroffene Auswahl
an dem einen oder anderen Punkte zu bemängeln. Das
wäre ein Unrecht an dem Verf. Denn das Zeugnifs ift
ihm ficher nicht zu vertagen, dafs er bei der Auswahl
ebenfo fehr Umficht, wie Gefchick bewiefen hat und was
etwa fehlt, kann ja jeder für fich felbft ergänzen. Hauptfache
bleibt bei einer derartigen Arbeit ftets die Zu-
verläffigkeit der Ueberfetzung, die Treue und Lesbarkeit
vereinigen mufs. Soweit ich nachgeprüft habe, ift
der Verfaffer hier feiner Aufgabe im Wefentlichen gerecht
geworden. Was etwa zu beanftanden wäre, find
Kleinigkeiten, die nicht weiter ins Gewicht fallen. Am