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Ausgabe:

1900 Nr. 9

Spalte:

271-276

Titel/Untertitel:

Acta Apostolorum apocrypha 1900

Rezensent:

Hennecke, Edgar

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 9.

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allgemein als ,Licht im höchften Sinne des Wortes' (p. 83).
,Eine gefährliche Klippe für die Auslegung' nennt W.
die Täuferftelle. In der That bewährt fie diefen ihren
Charakter auch in feinem Verfuch.

Der W.'fchen Arbeit haftet die auffallende Antinomie
an, dafs während die antithetifche Apologie fich durch
den ganzen Prolog hinziehen foll, fie doch von keinem
merklichen Einflufs auf den Aufbau und die Gliederung
desfelben gewefen ift. Auch kann die W.'fche Gliederung
nur um den Preis aufrecht erhalten werden, dafs
die 2. Täuferftelle (V 15) vom Prolog ganz losgelöft wird,
obfchon mit diefem Verfe kein Einfchnitt gegeben ift
und die Verfe 6 und 19 fchon in formeller Hinficht mit
gröfserem Recht als neue Anfätze gefafst würden. Diefe
Befchneidung des Prologs wird immer den Eindruck eines
Gewaltftreiches zurücklaffen.

Für die reiche Ausbeute der Kirchenväter in der
Detailexegefe wird gerade die ftreng hiftorifche Auf-
faffung dem Verf. dankbar fein, weil hier öfters wegen
der Gleichartigkeit der Weltbetrachtung Rückfchlüffe auf
die Meinung des Evangeliften ermöglicht werden. Freilich
darf diefer Mafsftab nicht einfeitig und dogmatifch gehandhabt
werden, fchon darum, weil die patriftifchen
Notizen oft auch nur perfönliche Eindrücke und Deutungen
des Textes wiedergeben. Näherliegend und ergiebiger
für die Beurtheilung der johanneifchen Gedankenwelt
wäre die fleifsige Benützung der vorchriftlichen jüdifch-
meffianifchen Literatur gewefen. Einen ernfteren Verfuch
in der Richtung macht der Verf. in feiner Erörterung
über die Quellen des joh. Logos; wir verweifen befonders
auf den Abfchnitt, welcher die jüdifchen Vorftufen behandelt
. Nebenbei fei bemerkt, dafs der Verf. die Wahl des
Wortes von Seiten des Evangeliften dadurch verurfacht
denkt, dafs die vier Richtungen, gegen welche er polemifirt,
einen Logosbegriff befafsen. Wie der Logos, fo mufs
aber auch die gefammte joh. Begriffswelt auf ihren Ur-
fprung geprüft und an den verwandten Ideen des Juden-
thums gemeflen werden. Wer fich vergegenwärtigt, wie
verfchiedene Gedankenftrömungen fchon in dem jüdifchen
Meffianismus neben einander herlaufen, der wird auch
auf die fchillernden joh. Vorltellungen und auf folche
Antinomien, wie fie W. unferer Exegefe vorhält (p. 201),
vorbereitet fein. Oefters begegnet man noch folchen
Stellen, in denen die Exegefe des Verf., wie es übrigens
für uns alle und unteren ganzen wiffenfchaftl. Betrieb
des Urchriftenthums noch vielfach der Fall ift, zu einfeitig
logifch und dogmatifch, und zu wenig hiftorifch gefärbt
ift. Noch öfters aber hat fich Ref. aufrichtig gefreut über
den offenen freien Blick des Verf. und über das glückliche
Zufammentreffen mit ihm in allgemeineren und befonderen
Fragen.

Giefsen. Baldenfperger.

Acta Apostolorum apocrypha. Post Constantinum Tischendorf
denuo ediderunt Ricardus Adelbertus Lipsius
et Maximiiianus Bonnet. Partis alterus, Volumen
prius: Passio Andreae, ex actis Andreae, martyria
Andreae, acta Andreae et Matthiae, acta Petri et
Andreae, passio Bartholomaei, acta Ioannis, martyrium
Matthaei edidit Maximiiianus Bonnet. Lipsiae, H.
Mendelssohn, 1898. (XXXVII, 262 S. gr. 8.)

Nach einem Zwifchenraum von fieben Jahren ift mit
dem Vorliegenden die Fortfetzung der Acta apostolorum
apocrypha, deren erften Theil R. A. Lipfius herausgegeben
hatte, in Geftalt eines erften Bandes des zweiten Theiles
erfchienen. Es kann dem Herausgeber, Herrn Prof. Max
Bonnet in Montpellier, bei der Maffenhaftigkeit des zu
bewältigenden handfchriftlichen Materials eine Verzögerung
(p. VIII) nicht zum Vorwurf gemacht werden; denn es
mufsten nicht nur die fchon bekannten Hff. nachverglichen
, neue unterfucht und abgefchrieben und eine

Claffification fämmtlicher Hff. oder Ueberfetzungen ange-
ftellt werden, was unter der Beihülfe zahlreicher Gelehrter
aus aller Herren Ländern gefchehen ift (ich zähle 25
Namen, unter Einfchlufs anderer Berather gegen 50, für
etwa 100 Hff.), fondern es war auch das jüngfte Material
von Apoftelacten, deffen Aufnahme in das vorliegende
Werk durch Vereinbarung mit dem anderen Herausgeber
ausgefchloffen war, zuvor zu unterfuchen oder gefondert
zu veröffentlichen, da in demfelben noch Spuren der
älteften Acten vorliegen. Nachdem Bonnet fchon 1883
als Supplementum codicis apocryphi / die griechifchen Tho-
masacten hatte erfcheinen laffen,und 1884 von ihmunterden
Schriften Gregors von Tours (Mon. Germ, kist., scr. rer.
Merov. I) p. 821 ff. deffen /. de miracitlis b. Andreae ap.
publicirt war, gab er 1895 als Suppl. cod. apocr. II die
Acta Andreae cum laudatione contexta nebft einem martyrium
desfelben Apoftels (gegenwärtig von Bonnet
narratio genannt, vgl. p. XVI des vorliegenden Theiles)
und einer kurzen lateinifchen passio heraus und fprach
fich in der Byzant. Zeitfchr. und fonft über dergl. Materien
aus.

Trotz diefer vorbereitenden Veröffentlichungen wurde
der vorliegende Band mit grofser Spannung erwartet, nicht
nur um des gefchichtlichen oder legendarifchen Stoffes
willen, deffen Bereicherung, zumal für die Johannesacten,
man erhoffen durfte, fondern auch wegen der einfchnei-
denden Bedeutung der fpeciellen dogmatifchen oder
ethifchen Auffaffung, die fich mit der älteften Ueber-
lieferung apokrypher Apoftelacten verknüpft. Man kann
nicht gerade fagen, dafs diefe Erwartung nun einer Ent-
täufchung Platz gemacht hätte. Denn gerade von den
älteften Stücken, den (fpäter) fogen. Leuciusfchriften, find
werthvolle Fragmente hier zum erften Male herausgegeben
worden, von den alten Andreasacten das einzige
ifolirt überhaupt vorhandene (bis auf die beiden kleinen
Fragmente bei Euodius-Auguftin), von den Johannesacten
wichtige Abfchnitte, die eine Verbindung zwifchen
bisher (Zahn 1880, James 1897) getrennt vorliegenden
Gliedern ermöglichen, von denen man nicht einmal
wufste, wie weit fie der alten Schrift wirklich zugehörig
und wie weit fie oder Sätze aus ihnen interpolirt waren.
So fieht noch Harnack 1897 die Metaftafe des Johannes
nicht als gnoftifch, d. h. urfprünglich, an, fondern nur
die zu Nicäa verlefenen Fragmente (Die Chronologie
I 542 Anm. 3). Es fchlingt fich aber, wie aus der voll-
ftändigeren Veröffentlichung Bonnet's nunmehr
hervorgeht, doch um die einzelnen Theile ein
inneres Band, deffen verknüpfende Kraft nicht nur
an den ,gnoftifchen' Zügen, fondern auch an einer ganz
beftimmten und durchaus charakteriftifchen Art der
Schreibweife des Verfaffers erfichtlich wird. Unter
diefen Umftänden erachte ich es auch für erft jetzt
feftftehend, dafs der urfprüngliche Verfaffer der
Johannesacten mindeftens mit demjenigen der
Andreasacten identifch ift, augenfeheinlich aber
doch auch zu demjenigen der Petrusacten (Actus
Petri Vercell.) nahe Beziehungen aufweift (vgl.
James). Es hätte angefichts jenes Textbeftandes wohl
die Frage aufgeworfen werden können, ob es nicht
rathfam fei, das fonach Zufammengehörige, fo fpärlich
es auch fein mag, bereits in der vorliegenden Veröffentlichung
zufammenzufcellen, da es doch allgemein anerkannt
ift, dafs auf diefer älteften (gnoftifchen) Ueber-
lieferung fich die fpätere, in katholifchem Sinne verkürzende
oder ausfehmückende, aufbaute.

Der Herausgeber hat einen anderen Weg einge-
fchlagen. Er bietet das Material der einzelnen Gruppen
zumeifc getrennt neben einander, ohne Rückficht auf die
präfumtive chronologifche Folge, offenbar Späteres vor
erfichtlich Früher em, fo gleich bei den Andreasacten, wo
p. 38 ff. erft an zweiter Stelle das aus dem cod. Vatic. 808
neuveröffentlichte alte Stück folgt, von dem er urtheilt,
dafs kaum ein Buch, vor allem in den Reden, voller und