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Ausgabe:

1900 Nr. 9

Spalte:

269-271

Autor/Hrsg.:

Weiss, Karl

Titel/Untertitel:

Der Prolog des heiligen Johannes 1900

Rezensent:

Baldensperger, Wilhelm

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Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 9.

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mache und meint wohl damit eine Probe befonderer
Glaubensftärke abzulegen. Die Frage ift nur immer, ob
eine religiöfe Zuverficht minderwerthig ift, die es Gott
zutraut, dafs er feine Zwecke in der Gefchichte ohne den
aufserordentlichen Apparat des Verf. nur durch die von
ihm gewollten Gefetze des Gefchehens verwirklichen kann.

Giefsen. Baldenfperger.

Weiss, Beneficiat Dr. Karl, Der Prolog des heiligen Johannes
, eine Apologie in Antithefen. (Strafsburger
theolgifche Studien. Herausgegeben von A. Ehrhard
und E. Müller. LDL Band, 2. u. 3. Heft.) Freiburg i. B.
Herder, 1899. (XII, 208 S. gr. 8.) M. 3.80

Diefe forgfältige, unter fleifsiger Heranziehung der
patriftifchen, der neueren katholifchen und z.Th. auch der
proteftantifchen Literatur (es fehlt z. B. jede Bezugnahme
auf H. Holtzmann's Handcommentar und N. Theologie)
durchgeführte Erklärung des johanneifchenPrologs vertritt
den Standpunkt, dafs diefer Prolog wie das vierte Evangelium
überhaupt apologetifch-antithetifchen Charakter
tragen. Noch ehe die exegetifche Arbeit felbft in Angriff
genommen wird, führt ein einleitender Abfchnitt im An-
fchlufs an die verwandten Anfchauungen neuerer Forfcher
und der Kirchenväter aus, dafs der Evangelift Johannes
neben den Lehren der Johannesjünger, auch das Judenthum
, den Gnofticismus, die alexandrinifche und griechifche
Philofophie in feinem Werke bekämpfe. Es ift, wie es
auch der erfte Johannesbrief nahe lege, eine allfeitige
Rückfichtnahme auf die damaligen geiftigen Bewegungen
und Anflehten, eine univerfale Polemik, ein univerfaler
Standpunkt, wie er dem greifen Kirchenfürften, dem
heiligen Johannes, dem letzten apoftolifchen Streiter in
Ephefus, als welchen W. fich den Verfaffer vorftellt, ange-
meffen erfcheint. Der Verf. ftimmt in der Beurtheilung
des Johannesevangeliums dem Ausfpruch von Schanz in
vollftem Mafse zu, dafs ,wir es mit einem Werke des
Lebens und nicht der Schule zu thun haben'. Eine po-
lemifche Tendenz wird dann auch insbefondere vom
Prolog ausgefagt, der nicht nur antithetifchen Parallelismus
darbietet, fondern deffen Thefen ihrem Inhalte nach Antithefen
zu eben fo vielen Irrthümern waren.

In dem einleitenden Abfchnitte wird der Lefer noch
des Weiteren über die Gefammtauffaffung des Verf., über
den Umfang, das Thema und die Eintheilung des Prologs
orientirt, wobei man es doch als methodifch unzweck-
mäfsig empfindet, dafs diefe allgemeinen Ausführungen,
die einftweilen nur hypothetifche Geltung haben follen,
nicht erft am Schlufse als Refultat der Einzelexegefe zu-
fammengefafst worden find. Der Prolog erftrecke fich
nur bis zu V. 14, weil hier die Menfchwerdung des Logos
angezeigt wird und damit die Aufgabe des Prologs, der
es nur mit dem Logos dociQxoq zu thun habe, zu Ende
ift. Gegen die anderen Auffaffungen, welche fchon in
V 6 und felbft in V 5 eine Beziehung auf den incarnirten
Logos annehmen, werden die Verftöfse gegen die Ordnung
der Darfteilung, Hyftera-Protera und Tautologien,
die fich dann ergeben , in's Feld geführt. Das Thema,
das in den 14 erften Verfen behandelt wird, lautet: Der
Logos ift das oberfte Princip für alle Stufen des
Seins in der vorchri ftlichen Zeit. Der innere Grund
dafür liege in feiner Göttlichkeit (V. 1 u. 2), der äufsere
wird gefunden in der Thätigkeit des Logos von der
Schöpfung bis zur Incarnation, in welcher vorbereitenden
Phafe er fucceffive als Princip des blofsen Seins (V 3),
als Princip des geiftigen Seins (V 4) und als Princip des
übernatürlichen Seins, der Gnade (V 5—14) erfcheint.

In wie fern nun diefe thetifchen Aufftellungen des
Prologs apologetifchen Sinn haben, und der ganze Prolog
,eine Apologie in Antithefen' darftellt, erfährt man erft
in der Exegefe der einzelnen Verfe. So werden gleich
die erften Worte hv aoyr] im Gegenfatz gegen die Leugner

der Präexiftenz Chrifti im temporellen Sinne von der Vorzeitlichkeit
oder Ewigkeit des Logos verftanden, die
engen Beziehungen desfelben zu Gott in V 1 u. 2 im
Gegenfatz gegen den Grundirrthum der philofophifchen
und theofophifchen Richtungen der chriftlichen Urzeit,
denen der Logos Mittelwefen, Weltgedanke, Abftraction,
aber nicht Gott war. In V4» beftreitet der Verf. wohl mit
Recht, dafs von irgend einer belebenden Thätigkeit des
Logos die Rede fei, und meint, dafs an fein eigenes per-
fönlich geiftiges Leben zu denken fei. Damit foll aber
auch der chriftliche Logos als Perfon den aufserchriftlichen
Logoi, denen die Perfönlichkeit mangelte, gegenübertreten.
In ähnlicher Weife wird auch in den folgenden Ausfagen
eine mehr oder weniger verdeckte Spitze gegen anders
Denkende wahrgenommen.

Zu der gleiche Tendenz verfolgenden Arbeit des
Ref. über den johanneifchen Prolog hat W. in einem
befonderen Anhang Stellung genommen, feine Zuftim-
mung in gewiffen Hauptpunkten, und feine Abweichung in
mancher anderen Beziehung, befonders in Bezug auf die
Antithefe zwifchen dem Logos und dem Täufer, kund
gegeben. Er ftimmt zwar in Bezug auf die erfte Täufer-
ftelle V 6 f. mit dem Referenten darin überein, dafs die-
felbe noch keineswegs den Beginn der evangelifchen Gefchichte
anzeige und dafs die Berufung auf das Zeugnifs
des Täufers ,eine treffliche Tactik in Rückficht auf die
Johannesjünger' zu fein fcheine, ,um die Schüler durch
das Zeugnifs des Meifters für die Wahrheit zu gewinnen'.
Weiter will W. nicht gehen, obfehon dadurch noch keineswegs
erklärt ift, warum gerade dies Täuferzeugnifs ausführlich
durch 3 Verfe hindurch behandelt wird, während
der Evangelift imUebrigen fich einer fo knappen Schreibart
befleifsigt und fich den vielen anderen ebenfo grund-
ftürzenden Irrthümern gegenüber, mit welchen er im
Kampfe liegen foll, mit einer fo leifen, flüchtigen Polemik
zufrieden giebt. Ja, warum überhaupt die Erwähnung des
Täufers hier mitten im Prolog (da doch die Johannes-
fchule ebenfogutaneineranderen fpäterenStelleabgefertigt
werden konnte), wenn nicht der Logos rpcöq des Verfes 5
gleich die Erinnerung an den Gegenfatz des Johannes
<pmq (8) wachgerufen hätte? Es kann ja darüber geftritten
werden, bis zu welchem Grade die von dem Ref. angenommenen
antithetifchen Züge des erften Abfchnittes
des Prologs auch Geltung haben. Angefichts des Gebrauchs
, der fonft im Evangelium von dxeoxaXuEVoq
jtctQa &tov im Sinne einer Empfehlung gemacht wird,
ift z. B. der Einwand des Verf. naheliegend, dafs die
Formel auch Joh. iß eine Anerkennung bedeutet. Aber es
dürfte doch wiederum nicht überfehen werden, dafs Johannes
felbft das djtEdxaXuivoq in 3 is von fich im
Unterfchied von 6 Xoiöxoq ausfagt. Es kann eben auch
eine geringere Empfehlung einer gröfseren gegenüber
treten. Und es wäre ein ungefchicktes Verfahren
des Evangeliften gewefen, den Täufer gerade in dem
Moment, wo er ihn als Zeugen für Chriftus einführt,
völlig zu depotenziren. Aber wie es fich auch mit den
einzelnen Zügen verhalte, die directe Gegenüberftellung
der beiden Perfonen felbft, des Logos und des Täufers,
müfste fich doch einem Exegeten aufzwingen, der, wie
unfer Verf. mit Bezug auf die Täuferftelle (6—8) fchrei-
ben kann, dafs fie ,ihr volles Recht und ihre grofse Bedeutung
erhält, wenn wir ins Auge faffen, dafs die Johannesjünger
ihren Meifter mehr und mehr dem Xoyoq
aOdQxoq an die Seite flehten. Sie fchrieben ihm auch
Präexiftenz und damit eine gewiffe Wirkfamkeit vor der
irdifchen Geburt zu' (p. 101). Trotzdem ift nun nach W.
in der Anordnung des Prologs die ganze Täuferftelle
weiter nichts als ein Beweis, der äufsere Zeugenbeweis
für den Logos als Princip des übernatürlichen Seins.
So kommt es, dafs felbft der deutliche Wink des Evangeliften
in V 8 (ovx i]v exelvoq xb (pmq) zuletzt verloren
geht, und das cpcöq aXrjfrivöv des folgenden Verfes nicht
mehr als Gegenfatz dazu gefafst wird, fondern nur ganz