Recherche – Detailansicht

Ausgabe:

1900 Nr. 9

Spalte:

261-262

Autor/Hrsg.:

Füllkrug, Gerhard

Titel/Untertitel:

Der Gottesknecht des Deuterojesaja. Eine kritisch-exegetische und biblisch-theologische Studie 1900

Rezensent:

Volz, Paul

Ansicht Scan:

Seite 1

Download Scan:

PDF

261

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr 9

262

Füllkrug, Lic. Gerhard, Der Gottesknecht des Deuterojesaja.

Eine kritifch-exegetifche und biblifch-theologifche
Studie. Göttingen, Vandenhoek & Ruprecht, 1899.
(VII, 119 S. gr. 8.) M. 2.80

Die Literatur über den Ebed Jahwe fchwillt an, ohne
dafs man zum Ziele käme. Die vorliegende Arbeit möchte
dielen dunklen Punkt des A. T. durch ifolirende Beleuchtung
heller machen; dabei ift es dem Verf. mehr
darum zu thun, die vorhandenen Anflehten über die
Ebedftücke zufammenzuftellen, als etwas Eigenes dazu
zu fügen. Im erften, kritifch-exegetifchen Theile, werden
die verfchiedenen Lieder einzeln unterfucht und überfetzt
, ihr Umfang abgegrenzt (42 1-7, 49 1-6, 5° 52 13 bis
53 12), die Deutung auf ein Individuum als einzig mögliche
und die Abfaffung durch Dtjes behauptet. Verf.
fühlt, dafs die Stücke mit ihrer Umgebung nicht orga-
nifch zufammenhängen, aber er erklärt dies dadurch, dafs
Dtjes allemal vorher und nachher feine fchriftftellerifche
Thätigkeit einige Zeit ausfetzte; in Cap. 53 habe er eine
ältere Vorlage zu einer prophetifchen Schilderung des
Gottesknechtes umgearbeitet. Der zweite, biblifch-theologifche
Theil ift der Frage nach dem Wefen des Ebed
gewidmet. Der E. ift ein Mann der Zukunft, der Erlöfer
Israels aus dem Exil, der Vermittler der Heilszeit für
Israel und die Völker; er ift ein Gegenftück zu Mofe
und in feinem Beruf und Ergehen typifch für Israels
Aufgabe und Gefchick in der Welt. Die gleichen Gedanken
, die die ganze Schrift Dtjes (d.h. nach S. 75 ff.
Cap. 40—53) beherrfchen: die Analogie zwifchen dem
Auszug aus Aegypten und aus Babylonien, die Erlöfung
aus dem Exil, die Heilszeit für Israel und die Welt, durchziehen
auch die Ebedftücke. Auf den letzten Seiten
feines Buches ftellt Verf. die Anflehten der nachexilifchen
Schriften des A. T. und der des N. T. über den E. zu-
fammen und bezeichnet die Ebedlieder, weil fie vom
Erlöfer handeln, als foterifche Weisfagungen, die erft
in Chriftus ihre eigentliche Erfüllung gefunden haben.

Während früher die Frage, ob der Ebed ein Col-
lectivum fei oder ein Individuum, die Gemüther bewegte,
hat fich jetzt die andere vorgedrängt, ob er eine Perfon
der Gegenwart oder der Zukunft fei. Verf. entfeheidet
fich für das Letztere, aber gewifs mit Unrecht. Wie foll
man die Anrede Jahwes an den E. 42 0 verliehen, wenn
er noch nicht da ift, wie können die Schilderungen von
der Arbeitsweife und insbefondere von dem widrigen
Gefchick des E. anders aufgefafst werden denn als ein
Bericht gegenwärtiger Erfahrung, wie künftlich wäre die
Form des Selbftgefprächs in Cap. 49 und 50 bei der
Deutung auf eine Zukunftsperfon! Es gelingt dem Verf.
(S. in f.) nicht, derartige Einwände aufser Kraft zu fetzen.
Eine unbefangene Exegefe aller der Ebedlieder zwingt
vielmehr zu der Annahme, dafs der E. im Zeitpunkt der
Dichtung exiftirt. Sodann ift die Auffaffung des E. als
des Befreiers aus dem Exil und Gründers der Heilszeit
unmöglich. Die in 42 2-4 u. 501 ff. gefchilderten Züge
paffen nicht auf die von F. angenommene Heilsfigur;
der Befreier Cyrus bleibt nach 42 7 wie vorher in diefem
feinem Amt; im ganzen 53. Capitel ift viel mehr das Loos
des E. für fich als fein Heilsberuf für die andern verhandelt
, und wenn auch annehmbar ift, dafs Dtjes fpäterhin
zu dem Glauben gekommen wäre, der Ebed werde die Erlöfung
durch ftellvertretendes Leiden für die Sünde des
Volkes bringen, fo bliebe es doch nach den übrigen Ebed-
ftücken feltfam, dafs Dtjes durch ein folches Gedicht über
einen unglücklichen Gerechten zur Schilderung feines Ebed-
Erlöfers angeregt worden wäre; vor Allem aber müfste
doch aus dem Texte der Ebedlieder deutlich heraustreten
, dafs die Aufgabe des E. Israels Befreiung und
die Begründung der neuen Zeit wäre. Das ift gerade der
Irrthum des Verf., dafs er den Beruf des E. dem Text
zuwider in der Arbeit an Israel findet. Dem gegenüber
ift mit allem Nachdruck zu betonen, dafs in Cap. 42 und

49 die einzige oder wenigftens die Hauptaufgabe des E.
die Völkermiffion ift. Gleich 421 macht das zur
Genüge deutlich; 42 4. 6, 49 1.6 zeugen dafür, in 49 5 f. ift
der Text verwirrt, auch in 42 e ift wohl am beften mab
a">53y zu lefen und berit = lebendige Verkörperung des
Gefetzes (parallel dem "Iis) zu faffen. Nach 490 vermuthe
ich, dafs im Exil die Erkenntnifs fich durchrang, die
Verftreuung Israels unter die Völker fei von Gott gefügt,
damit die Jahwefurcht, die göttliche Thora, das Licht zu
den Heiden komme. Erleuchtete Kreife vertraten die
Ueberzeugung, dafs nicht der fehnliche Wunfeh nach
Rückkehr in die Heimat das verbannte Volk Jahwes
beherrfchen follte, fondern das Bewufstfein von dem
herrlichen Berufe, im Ausland für Jahwe miffioniren zu
können. Denn wahrhaftig, die Sammlung Jfraels ift ein
Kleines gegenüber dem Fluge der Jahwereligion durch
die Welt! — Aber wer ift der Ebed? Man fühlt fich
immer wieder verfucht, in Stellen wie 52 13-15, 53 12 den
E. auf Israel zu deuten, das durch feinen Tod (das Exil)
wie durch feine Miffionsarbeit den Völkern das Heil gebracht
hat. Aber die individuellen Züge fprechen zu
fehr gegen die Collectivauffaffung. Daher machte man
einen Compromifs und verftand unter dem E. den Re-
präfentanten eines Standes, etwa der D^TTnb von Jef. 8 16
(50 4I. etwas wie -q*J rpynn[ns]t"iy"lb). Aber auch dagegen
proteftiren die individuellen Details in Cap. 49 und 50,
die aufserdem eben nicht auf eine einzige typifche Ge-
ftalt hinweifen, fondern auf verfchiedene Träger des
gleichen Berufes. Ich vermuthe daher, dafs 42 1-4,
42 (5) c f., 49 1-6, 50 4-9 Stücke aus einer Sammlung von
Miffionsliedern find, die unter jenen bene nebiitn (Jf. 8 is)
umgingen und von verfchiedenen Angehörigen diefes
Kreifes theils als Zeugnifs für ihr Berufsbewufstfein, theils
als Schilderung ihrer perfönlichen Erlebnifse gefprochen
wurden. Cap. 53 dagegen fleht wohl für fich der Zeit
wie der Art nach.

Es ift aus alledem erfichtlich, dafs die Haupt-
fchwierigkeit nicht in dem Punkt liegt, wie der ,Einzel-
ebed' den ,Volksebed' Israel erlöfen könne (S. 87), fondern
in unferer Unwiffenheit über die Miffionsarbeit
Israels an den Völkern in exilifcher und nachexilifcher
Zeit. Die Anflehten der Mitarbeiter auf dem gleichen
Gebiete zu ftudiren und überfichtlich zufammen zu ftellen,
wie die vorliegende Schrift es thut, ift nicht umfonft;
aber noch werthvollere Förderung erfährt die Wiffen-
fchaft durch folche Veröffentlichungen, die auf Grund
felbftftändiger und nachhaltiger Vertiefung in die Exegefe
der altteftamentlichen Literatur einen eigenartigen
Beitrag liefern.

Tübingen. P. Volz.

The Chronicles of Jerahmeel or the Hebrew Bible Historiale.
Translated for the First Time from an unique Manu-
script in the Bodleian Library by M. Gast er, Ph. D.
Together with an introduetion, critical notes, a füll
index and five Facsimiles. Printed and published under
the patronage of the Royal Asiatic Society. London
1899. (CXII, 341 S.) (Oriental Translation Fund. New
Series IV.)

Die von Gafter veröffentlichte Chronik des Jerachmeel
ift der erfte Theil eines Sammelwerkes Eleafars des Leviten
, eines rheinifchen Juden des 13. oder 14. Jahrh.
Diefes ift in einer Oxforder Handfchrift, die von Rabbi-
nowitz in Italien erworben wurde, erhalten. Gafter giebt
uns den erften Theil diefer Chronik, der den Zeitraum
von Schöpfung der Welt bis zum Tode des Judas Mac-
cabaeus umfafst. Ausgelaffen ift zwifchen den Capiteln
63 und 64 der Abfchnitt, der die aramäifchen Partieen
des Daniel in hebräifcher Ueberfetzung und die Zufätze
der Septuaginta in aramäifcher Sprache enthält, weil G.