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Ausgabe: | 1900 Nr. 8 |
Spalte: | 251-253 |
Autor/Hrsg.: | Rieker, Karl |
Titel/Untertitel: | Grundsätze reformierter Kirchenverfassung 1900 |
Rezensent: | Frantz, Adolf |
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251 Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 8. 252
tionslehre gänzlich zurück. Das trat natürlich bei feiner i
Behandlung des Schriftwortes, fo ehrfurchtsvoll er dem-
felben gegenüberftand, doch indirect in mancher Weife
hervor. Und wenn er auch, nach feiner eigenen Erklärung
, die Grundpofitionen der kirchlichen Dogmatik
feflhielt, fo ging feine Neigung doch entfchieden dahin,
die ethifchen Seiten des Chriftenthums zu betonen. Das
prägt fich in allen feinen Veröffentlichungen aus und
davon hat er fich auch durch wohlwollende und übelwollende
Vorftellungen nicht abwendig machen laffen.
Daher rühren jene ungünftigen Urtheile. Was ihm aber
von den einen als Mangel angerechnet und zum Vorwurf
gemacht wird, das hat ihm gerade den Weg zu den
Herzen anderer gebahnt.
Drummond hat auch drei gröfsere Forfchungsreifen
in andere Erdtheile gemacht, und zwar nach dem helfen-
gebirge in Nordamerika, nach Centraiafrika und nach den
Neu-Hebriden. Von den Tagebüchern, die er auf diefen
Reifen geführt, bringen einige Capitel unterer Biographie
längere Auszüge. Ein Anhang endlich enthält vier An-
fprachen, die er an die Studenten der Univerfität zu
Edinburg gehalten hat, wohin er fonntäglich von Glasgow
aus zu diefem Zwecke zu fahren pflegte. Sie find zur
Illuffration feiner Evangelifationsthätigkeit von Werth
und Intereffe. Das empfehlende Vorwort dagegen, das I
E.Bettex auf Wunfeh der Verlagsbuchhandlung gefchrieben,
hätte wegbleiben können. Eine Biographie Henry Drum-
mond's hätte keiner befonderen Einführung bei dem deut- |
fchen Publikum bedurft. Und wenn man fie doch für noth-
wendig hielt, fo ift es fraglich, ob Herr Bettex am meiften
berufen war, diefen Dienft zu leiften. Er fühlt fich zwar, j
wie er fagt, mit dem Helden des Buches geiftesverwandt.
Aber ich weifs nicht, ob ihn diefes fein Gefühl nicht täufcht.
Jedenfalls waren es Leute feines theologifchen Standpunktes
, befonders auch in der Infpirationsfrage, von
denen Drummond während feines Lebens am meiften
zu leiden hatte.
Augsburg. J. Hans.
Rieker, Prof. Dr. Lic. Karl, Grundsätze reformierter Kirchen- !
Verfassung. Leipzig, C. L. Hirfchfeld, 1899. (VII, 208 S.
gr. 8.) M. 6. —
Wie Verf. im Vorwort zutreffend hervorhebt, ifl die
reformirte Kirchenverfaffung bisher von der Wiffenfchaft |
ziemlich fliefmütterlich behandelt worden und das Intereffe
hat fich in Deutfchland faft ausfchliefslich der Ver-
faffung der lutherifchen Kirche zugewandt. Trotz der '
hiftorifchen Unterfuchungen von Lechler und unge- J
achtet der Ausführungen von Stahl und Sohm ift das
Gebiet der reformirten Kirchenverfaffung noch in vielen
Beziehungen eine terra incognita. Um fo freudiger ift
es daher zu begrüfsen, dafs Verf. fich der fchwierigen,
aber auch dankbaren Aufgabe unterzogen hat, an die
Erforfchung diefes dunkeln Gebietes heranzutreten. Allerdings
giebt er nicht eine Darftellung des ganzen Syftems
der reformirten Kirchenverfaffung, befchränkt fich vielmehr
darauf, ,die Grundfätze, allgemeinen Grundanfchau-
ungen, treibenden Grundgedanken der reformirten Kirchenverfaffung
vom rein wiffenfehaftlichen Standpunkte aus
darzulegen', wobei er der Natur der Sache nach auf eine
fortlaufende Vergleichung mit der lutherifchen Verfaffung
angewiefen ift. Aber auch das, was er bietet, bedeutet
eine ganz erhebliche Förderung und Bereicherung der
Wiffenfchaft. Wenn auch feinen gründlichen und fcharf-
finnigen Ausführungen im Ganzen durchweg beizuftimmen
ift, fo will ich doch nicht unerwähnt laffen , dafs nach
meiner Auffaffung einzelne der vom Verf. aufgeftellten
Sätze, fo zutreffend auch der zu Grunde liegende Gedanke
ift, doch etwas zu fchroff formulirt find, fodafs es
an Widerfpruch nicht fehlen wird. Um einen Ueber-
blick über den reichen Inhalt des Buches zu gewähren,
follen der Gang und die Refultate der Unterfuchungen
kurz angeführt werden. Verf. befchränkt feine Unterfuchungen
auf die an Calvinifche Grundfätze anknüpfende
Kirchenverfaffung und fcheidet insbefondere den Zwinglianismus
und Anglicanismus von vorn herein aus. Nachdem
er unter der Ueberfchrift ,Gefchichte der Quellen
und Literatur' eine gründliche Ueberficht über die Ausbreitung
der reformirten Verfaffung gegeben hat (S. 6—
56), geht er zur Darfteilung der Grundfätze reformirter
Kirchenverfaffung über und nimmt da feinen Ausgangspunkt
von dem reformirten Kirchenbegriff, den er fcharf
präcifirt und wobei er überall die Gegenfätze zu der lutherifchen
Auffaffung hervorhebt. Sodann unterfucht er
die Bedeutung der Verfaffung für die Kirche. Er legt
die Nothwendigkeit einer Verfaffung dar und führt insbefondere
aus, dafs dem Calviniften nicht wie dem lutherifchen
Chriften die Verfaffung ein döiaponov, fondern
ein Kennzeichen der wahren Kirche Chrifti fei (S. 91). In
Betreff der Frage, ob die Verfaffung für den Reformirten
ebenfo wie für den Katholiken Jus divinum fei, wird zwar
eine gewiffe Berechtigung der Sohm'fchen Auffaffung
zugegeben. Nichtsdeftoweniger aber will Verf. doch nicht
fo weit gehen wie Sohm und die reformirte Anfchauung
mit der katholifchen identificiren. Was fodann die Verfaffung
felbft anlangt, fo wird ein Formal- und ein Ma-
terialprincip unterfchieden. Nach dem Formalprincip ift
nur diejenige Verfaffung die richtige und wahre, die aus
Gottes Wort gefchöpft ift und mit der Ordnung der
apoftolifchen, überhaupt der chriftlichen Urkirche überein-
ftimmt. Dabei wird in erfter Linie die Schriftmäfsigkeit,
erft in zweiter Linie der urchriffliche Charakter der rechten
Verfaffung betont. Im Anfchlufs daran wird die Calvinifche
Begründung der nach Gottes Willen und Chrifti
Anordnung in der Kirche beftehenden Aemter entwickelt,
wobei Verf. hervorhebt, dafs Calvin dabei nicht ganz
einheitlich verfahren ift, fondern zwei von einander etwas
abweichende Theorien aufgeftellt hat. Das Materialprincip
dagegen, welches fich als das eigentlich beflimmende,
primäre Motiv der calvinifchen Verfaffungslehre darftellt,
ift negativ der Ausfchlufs jeglicher menfehlicher Herrfchaft
in der Kirche, pofitiv die Alleinherrfchaft Chrifti
in feiner Kirche (Chriftokratie). Diefes Princip, dafsChriftus
allein das Haupt feiner Kirche fei, wendet lieh nicht blofs
gegen alle Hierarchie, gegen Papftthum und Episcopat,
fondern durch dasfelbe wird auch jegliche Herrfchaft
eines Laien über die Kirche und damit das landesherrliche
Kirchenregiment ausgefchloffen. Trotz diefer feiner
Abneigung gegen Menfchenherrfchaft mufs allerdings
auch der Calvinismus zugeftehen, dafs Chriftus feine Herrfchaft
über die Kirche durch Menfchen ausübt. Aber
ein Schutz gegen die hierin liegende Gefahr einer Verletzung
des Materialprincips und Statuirung der Hierarchie
wird dadurch gewährt, dafs die Träger der kirchlichen
Aemter bei grundfätzlicher Gleichheit unter einander kein
imperium oder dominium haben, fondern nichts anderes
find als Diener Chrifti, dafs alle wichtigeren Entfchei-
dungen von einem Collegium getroffen und dafs zur
Regierung der Kirche Laien unter Controlle des ganzen
Volkes zugezogen werden. Endlich dient nach der Anficht
des Verf. zur Aufrechterhaltung der Königsherrfchaft
Chrifti der gottesdienftliche Charakter der Sitzungen und
Verfammlungen der Presbyterien und Synoden. Nach
diefen Ausführungen geht Verf. über zu einer Vergleichung
der reformirten Presbyterien und Synoden mit den gleichnamigen
Einrichtungen der modernen evangelifchen Kirchenverfaffung
. Er kommt nach eingehender Unter-
fuchung, deren Darlegung uns zu weit führen würde, zu
dem Refultate, dafs die modernen Presbyterien und Synoden
etwas Anderes find, als die reformirten Einrichtungen
gleichen Namens. Auf Grund diefes Ergebnifses
bezeichnet er die Auffaffung als unhaltbar, dafs die moderne
Kirchenverfaffung eine Verbindung der lutherifchen
Verfaffungselemente mit den reformirten Presbyterien und