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Ausgabe:

1900 Nr. 8

Spalte:

249-251

Autor/Hrsg.:

Smith, G.A.

Titel/Untertitel:

Henry Drummond 1900

Rezensent:

Hans, Julius

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249

Theologifche Literaturzeitung. 1900. Nr. 8.

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überlieferten myflifchen Schauen und cultifchen Lobfingen
meffen kann. Das aber fcheint mir gewifs, dafs fich in
dem Allen ein tiefgreifender Wandel in den Grundgedanken
methodiftifcher Frömmigkeit kundgiebt. Diefen
Wandel im Einzelnen zu kennzeichnen, wäre die Aufgabe
der 2. Auflage von Kolde's reichhaltigem Buch gewefen.

Offenbach. S. Eck.

Smith, Prof. G. A., D.D., Henry Drummond. Autorifirte
Ueberfetzung von H. Grofchke. Mit Vorwort von
F. Bettex. Berlin, M. Warneck, 1900. (X, 509 S.)

M. 5.— ; geb. M. 6.—

Die vorliegende Biographie Henry Drummonds hat
einen feiner nächften Freunde zum Verfaffer. Stellenweife
etwas breit, lieft fich das Buch doch angenehm und
leicht und giebt ein anfchauliches Bild von dem Lebensgange
und der Perfönlichkeit des edlen Schotten. Es ift
mit warmer Begeifterung für den Freund, aber nicht
ohne Kritik gefchrieben und zeigt ein klares und ge-
fundes Urtheil. An der Perfon und dem Charakter
feines Freundes allerdings findet der Biograph nichts
auszufetzen. Und Drummond fcheint in der That ein
trefflicher Menfch und eine äufserft liebenswürdige Perfönlichkeit
gewefen zu fein. Von ernfier und tiefer
Frömmigkeit, war er doch durchaus natürlich in feinem
Wefen und voll regen Intereffes für die verfchiedenften
Lebensgebiete; mit hohen Gaben ausgerüftet, fuchte er
doch nie das Seine, fondern das, das des andern ift. Mit
aufserordentlich warmer Anerkennung hören wir denn auch
folche, die ihn kannten, von ihm reden. Profeffor Geikie,
der bekannte Geologe, fagt: ,Ich habe keinen Menfchen
gekannt, der eine fo durchfichtige Lauterkeit, ein fo
ftrenges fittliches Pflichtgefühl, fo viel Herzensfreundlichkeit
und grenzenlofe Hilfsbereitfchaft glücklicher mit
einer reichen Bildung, mit poetifcher Phantafie und wiffen-
fchaftlicher Begabung verbunden hätte als H. Dr.' Ein
anderer Univerfitätslehrer, der ihm als Student nahe getreten
war, fchreibt: ,Ich habe in keinem anderen fo viel
abfolut Bewundernswerthes gefunden, denn er befafs alle
Tugenden und alle Reize, die in meinen Augen einen
vollkommenen Menfchen ausmachen'. Und Moody, der
amerikanifche Evangelift, deffen religiöfes Denken und
Fühlen doch nicht in allen Punkten mit dem feinigen
übereinftimmte, urtheilt über ihn: ,Er trug, fo lange ich
ihn kannte, das Gepräge feines Meifters, mir oft zum
Vorwurf. In diefer feiner Perfönlichkeit liegt wohl vor
Allem auch das Geheimnifs feines Erfolges.

Drummond ftudirte auf einem College der fchot-
tifchen Freikirche Theologie und brachte auch ein Se-
mefter in Tübingen zu. Ehe er noch feine Studien beendigt
hatte, begann die Evangelifationsbewegung von
Moody und Sankey, und der 22 jährige Student wurde bald
als Mitarbeiter in diefelbe hineingezogen. Er zeigte
eine fo grofse Begabung für diefe Thätigkeit, dafs man
ihn in derfelben fefthalten wollte. Aber er widerftand
dem Reize, der für ihn felbft darin lag, kehrte zu feinen
theologifchen Studien zurück und brachte fie zum förmlichen
Abfchlufs durch ein Examen. Er hatte jedoch
eine entfehiedene Abneigung dagegen, angeflehter Pfarrer
zu werden und ,als Geifllicher einer feften Gemeinde für
diefelben Leute wöchentlich zwei Predigten machen zu
müffen'. Sein Wunfeh ging dahin, eine Stellung zu haben,
die ihm genügenden Broterwerb ficherte, und daneben
feine Evangelifationsthätigkeit treiben zu können. Diefer
Wunfeh wurde ihm erfüllt. Er hatte neben feinen theologifchen
Studien mit grofsem Eifer Naturwiffenfchaft
getrieben. Es gelang ihm deshalb, die Stelle eines natur-
wiffenfchaftlichen Docenten am College der fchottifchen
Freikirche in Glasgow zu erhalten und fpäter Profeffor
der Naturwiffenfchaft in der theologifchen Facultät
— eine eigenthümliche fchottifche Einrichtung — diefer

j Stadt zu werden. Diefe Lehrthätigkeit liefs ihm genügend
I Mufse, eine Stadtmiffionsflation zu bedienen und eine evan-
gelifatorifche Thätigkeit befonders an den Studenten auszuüben
, in der er mehr und mehr feinen Lebensberuf
erkannte und die ihn auch über die Grenzen Grofsbri-
tanniens hinaus nach Amerika, Deutfchland und Auflralien
führte. Aus diefer feiner Arbeit wuchfen auch feine
Schriften hervor und erklärt fich zum Teil der Inhalt
derfelben. Die Art, wie über die Theilnahme Drummonds
an der Evangelifationsthätigkeit und feine eigene Ausübung
derfelben in der vorliegenden Biographie berichtet
wird, ift oft etwas ermüdend. Diefelben Angaben über
die Gröfse der Verfammlung und den allgemeinen Eindruck
werden immer wieder wiederholt, ohne dafs
Charakteriftifches und wirklich Inftructives hervorgehoben
wird. Aber das Urtheil, das der Verfaffer über die
Evangelifation überhaupt, über ihre Licht- und Schattenfeiten
abgiebt, ift fehr lefenswerth und beweift eine genaue
und gründliche Kenntnifs der Sache.

Das Buch, durch das Drummond hauptsächlich berühmt
geworden ift, ift bekanntlich fein ,Naturgefetz in
der Geifteswelt'. Es hat einen aufserordentlichen Erfolg
gehabt. Nach 2 Jahren waren 30,000 Exemplare verkauft
, bis zum J. 1898 fchon mehr als 123,000. Auch
die deutfehe Ueberfetzung fand grofse Verbreitung.
Viele waren der Meinung, für die Verformung von Religion
und Wiffenfchaft den rechten Weg hier endlich gezeigt
zu fehen. So enthufiaftifch werden wenige mehr
urtheilen. Das Buch hat feine Schönheiten und Vorzüge.
Aber mit Recht hebt der Biograph hervor, dafs der
Grundgedanke desfelben, die Behauptung nämlich, dafs
auf dem Gebiete des Geifteslebens ganz dasfelbe Gefetz
herrfche wie auf dem der Natur, nicht nur von dem
Verfaffer nicht bewiefen werde, fondern irrig und verfehlt
fei. Und Drummond felbft fagte nicht nur fchon nach
wenigen Jahren: ,Wenn ich jetzt das Buch fchriebe, würde
ich es anders machen', er äufserte auch wenige Wochen
vor feinem Tode einem Freunde gegenüber, er wünfehe
1 fehr, es aus dem Buchhandel zurück zu ziehen. Sein
j zweites gröfseres Buch ,Die Entwickelung des Menfchen'
{The Ascent of Man) ftellte denn auch nicht blofs eine
l Modifikation, fondern in mancher Hinficht eine Zurücknahme
der im erften enthaltenen Ideen dar. Er fetzte
fich in ihm die entgegengefetzte Aufgabe, wie in jenem.
Während er in jenem Analogien naturgefttzlicher Vorgänge
im geiftigen Leben auffuchte, wollte er hier
ethifche Kräfte oder wenigftens den Anknüpfungspunkt
für moralifches Gefühl und moralifche Gewöhnung fchon
in den Anfangsftadien des Lebens, die bisher nur als
phyfifch bedingt galten, nachweifen. Diefes Buch hatte
keinen fo grofsen allgemeinen Erfolg wie das erfte.
Doch fand es mehr die Anerkennung berufener Kritiker.
Aber es liegt auch hier, wenn ich recht fehe, mehr die
geiftreiche Durchführung einer anfpiechend erfcheinenden
Hypothefe, als ein auf induetivem Wege gewonnenes
Refultat wiffenfehaftlicher Forfchung vor.

Drummonds Stärke lag überhaupt nicht auf wiffen-
fchaftlichem Gebiete. Sein Beftes gab er in den prakti-
fchen Anfprachen, deren mehrere auch in deutfeher
Ueberfetzung Verbreitung gefunden haben. Man mag
an ihnen auszufetzen haben, was man will, fie verrathen
eine aufserordentliche Begabung, die religiöfen Wahrheiten
dem Herzen nahe zu bringen, die Gedanken der
Schrift lebendig und wirkfam zu machen. Viele fanden
freilich, fie feien nicht fchriftgemäfs genug und es würden
wefentliche chriftliche Wahrheiten confequent in ihnen
zurückgeftellt. Drummond hatte allmählich eine freiere
Stellung zur Schrift gewonnen. Während er Anfangs
nicht wufste, wie er fich zur Anklage gegen Robertfon
Smith ftellen follte, dem man den Procefs machte, weil
er die mofaifche Urheberfchaft des Pentateuchs beftritt,
beklagte er fpäter entfehieden die kirchliche Verurtheilung
1 diefes Mannes und kam überhaupt von der alten Infpira-